Prozess am Amtsgericht Tiergarten
Berlin: Prozess zu Angriff auf jüdischen Studenten beginnt
Im Februar 2024 wurde bei einem mutmaßlich antisemitischen Angriff ein Student der FU Berlin schwer verletzt. Zu Prozessauftakt gestand ein Mitstudent mit Kampfsporterfahrung den Angriff. Ein antisemitisches Motiv bestritt er.

Wie die Justiz entscheidet, ist offen.
Foto: Teka77/ iStock
Etwas mehr als ein Jahr nach einem mutmaßlich antisemitischen Angriff auf einen Studenten der Freien Universität (FU) Berlin hat am Dienstag der Prozess gegen einen 24-jährigen ehemaligen Lehramtsstudenten begonnen. Ihm wird gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.
Zu Prozessauftakt gestand der Angeklagte, seinen jüdischen Mitstudenten am 2. Februar 2024 vor einer Bar in Berlin-Mitte geschlagen zu haben. Er bestritt das von der Staatsanwaltschaft geäußerte antisemitische Motiv.
Der Prozess findet unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen statt, das mögliche Strafmaß reicht von 6 Monate bis zehn Jahre Haft. Ein Urteil könnte am 17. April gesprochen werden.
Der Grund: Weil in einer Chatgruppe gelöscht wurde
Er habe das 32-jährige Opfer bis zum Tatabend nur aus einer Chatgruppe gekannt. Dort habe sein Kommilitone als Administrator fungiert und unter anderem Teilnehmer entfernt, die Aufrufe zu propalästinensischen Demonstrationen teilten. Außerdem entfernte der 32-Jährige Plakate an der Universität. Bei dem Opfer handelt es sich um dem Bruder des Comedians Shahak Shapira, was für besondere Aufmerksamkeit sorgte.
Als er den 32-Jährigen im Februar 2024 zufällig in der Bar gesehen habe, habe er ihn, nachdem er das Lokal verlassen hatte, auf sein „respektloses“ Verhalten in der Chatgruppe und das Abreißen der Plakate angesprochen, sagte der Angeklagte.
Dann habe er „leider Gottes“ die Fassung verloren und zunächst zweimal mit der Faust zugeschlagen. Anschließend habe er seinem Kommilitonen mit dem Fuß ins Gesicht getreten. Das tue ihm entsetzlich leid, und er bitte um Entschuldigung, sagte der 24-Jährige. „Es war eine Kurzschlussreaktion.“
Der 24-Jährige, dessen Eltern aus dem Libanon stammen, habe seine Kampfsporterfahrung unterschätzt, schreibt die „Welt“. Er biete dem Opfer ein Schmerzensgeld von zunächst 5.500 Euro an, gefolgt von weiteren monatlichen Zahlungen.
Mehrere Operationen waren notwendig
Bei dem Angriff seien die Nase und eine Augenhöhle gebrochen worden, sagte der 32-jährige Geschädigte, der auch als Nebenkläger auftritt, bei seiner Vernehmung. Mehrere Operationen seien nötig gewesen, um sein Gesicht zu rekonstruieren. Er erlitt eine komplexe Mittelgesichtsfraktur sowie eine Hirnblutung.
Er habe einen Monat nur im Sitzen schlafen und flüssige Nahrung zu sich nehmen können. Erst im Oktober sei ein Metalleinsatz aus der Augenhöhle, der zur Rekonstruktion der Knochen eingesetzt worden sei, operativ entfernt worden. Wahrscheinlich seien die Schäden teilweise bleibend, sagte das Opfer.
Wegen der Behandlung seiner Verletzungen haben er etliche Monate seines Lehramtsstudiums verpasst und nicht arbeiten können, sagte der Student. Es sei unklar, ob er sein Studium innerhalb der Regelstudienzeit abschließen könne. Er reichte auch Klage gegen die FU ein.
In die Öffentlichkeit gehe er nur noch mit Personenschutz. In dem Chat habe er nicht nur antisemitische, sondern auch rassistische, homophobe oder frauenfeindliche Posts gelöscht, sagte der 32-Jährige.
Der Angeklagte habe ihn einige Zeit vor dem Vorfall in der Bar persönlich angeschrieben und ihn dafür kritisiert, Menschen aus der Gruppe entfernt zu haben. „Ich habe ihm erklärt, dass Menschenhass nicht unter Meinungsfreiheit fällt und dass man darauf vor allem als Lehrkraft achten sollte.“
Ordnungsrecht an Berliner Hochschulen wieder eingeführt
Der Fall hatte über die Grenzen der Hauptstadt hinaus für Empörung gesorgt. Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, war beim Auftakt des Prozesses anwesend. Er sagte im Vorfeld: „Dieses Verfahren zeigt eines ganz deutlich: nämlich, wie gefährlich Antisemitismus ist und wie wichtig seine konsequente Verfolgung und Ahndung durch die Justiz sind.“
Prof. Dr. Günter M. Ziegler, Präsident der FU Berlin, erklärte am 5. Februar 2024 nach dem Angriff: „Wir sind zutiefst entsetzt über den brutalen, mutmaßlich antisemitisch motivierten Angriff auf einen jüdischen Studenten unserer Universität und verurteilen die Tat auf das Schärfste.“ Und weiter: „Antisemitismus jeglicher Form, Rassismus und Diskriminierung werden nicht geduldet.“
Als Konsequenz wurde im Juli 2024 an den Berliner Hochschulen das erst vor wenigen Jahren abgeschaffte Ordnungsrecht wieder eingeführt.
Damit können Gewalt gegen Hochschulmitglieder sowie auch Bedrohung oder sexuelle Belästigung geahndet werden. Die Strafen reichen vom Ausspruch einer Rüge über den Ausschluss von bestimmten Lehrveranstaltungen bis hin zur Exmatrikulation.
Der Angeklagte erhielt nach Bekanntwerden des Angriffs ein Hausverbot an der FU Berlin. Im Sommer exmatrikulierte er sich eigenen Angaben zufolge selbst. Er lebe und arbeite mittlerweile in München, habe ein Antigewalttraining absolviert und mache eine Psychotherapie. (afp/red)
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