Aus für Islamismus-Expertenrat: Faeser-Ministerium am „Höhepunkt des Wegsehens“

Gute Zeiten für Islamisten? Das Bundesinnenministerium stellt den „Expertenkreis Politischer Islamismus“ ein. CDU-Bundesvize Linnemann hofft, „dass uns diese Naivität nicht eines Tages böse auf die Füße fällt“. Ein Berliner Ex-Abgeordneter warnt vor dem starken Einfluss der Islamisten in der Berliner Politik.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) löst den „Expertenkreis Politischer Islamismus“ auf.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) löst den „Expertenkreis Politischer Islamismus“ auf.Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Von 6. September 2022

Im Juni 2021 rief der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) den „Expertenkreis Politischer Islamismus“ ins Leben. Seehofer sagte damals: „Wir müssen entschlossen gegen jede Ideologie vorgehen, die sich gegen die Werte und Normen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung richtet.“

Das Gremium sollte sich zunächst für ein Jahr mit den Erscheinungen des politischen Islam auseinandersetzen und dessen Strategien analysieren. Das heutige Faeser-Ministerium will das Heimatschutzprojekt mit elf Experten aus den Bereichen Islamwissenschaften, Islamische Theologie, Öffentliches Recht, Politik- und Sozialwissenschaften nicht fortsetzen – und bekommt Kritik und Unverständnis dafür.

Eine politisch-ideologische Entscheidung

Vielleicht wäre die Entscheidung mehr oder weniger still und heimlich über die Bühne gegangen, hätte nicht ein Gremiumsmitglied auf Twitter geschrieben:

Trotz zahlreicher Probleme mit dem Islamismus hat das Bundesinnenministerium entschieden, den Expertenkreis politischer Islamismus nicht weiterzuführen. Eine politische Entscheidung, die tief blicken lässt.“ (Prof. Dr. Susanne Schröter, Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam, Frankfurt)

Ein anderes Gremiumsmitglied, der Staatsrechtler Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz von der Uni Würzburg, geht nach Angaben der Hochschulverbandszeitschrift „Forschung und Lehre“ von einer „politischen Entscheidung“ aus.

Dabei ist dem Bundesinnenministerium durchaus klar, dass der Islamismus auf die „teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“ abzielt, wie es auf der Ministeriumsseite heißt. Der „islamistisch motivierte internationale Terrorismus“ stelle für Deutschland und die westlichen Staaten eine anhaltende Bedrohung dar, ist man sich sicher.

Dennoch bestätigte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums der dpa, dass statt des Gremiums nur noch ein regelmäßiger Fachtag geplant sei.

Gefährlicher Höhepunkt des Wegsehens

Das „Deutsch Türkische Journal“ zitiert dazu den stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden Carsten Linnemann: „Man kann nur hoffen, dass uns diese Naivität nicht eines Tages böse auf die Füße fällt.“ Auch Linnemanns Parteikollege, der Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries, sieht in der Auflösung des Expertenkreises den vorläufigen Höhepunkt einer „Politik des Wegsehens und der Ignoranz gegenüber dem Islamismus“.

Kritik kommt auch von der AfD. Deren Innensprecher, Gottfried Curio, erklärte: „Vorrangiger Tätigkeitsbereich des Gremiums war es, Strategien von Islamisten zu erforschen und Strategien zum Schutz besonders gefährdeter Gruppen wie von Frauen und Jugendlichen zu entwickeln.“ Curio verweist auf Warnungen von Gremiumsmitgliedern, dass es bisher nicht gelungen sei, „die Attraktivität und Anziehungskraft des politischen Islamismus einzudämmen“ und gerade in Schulen von einem umfassenden Abdriften in anti-freiheitliche Parallelgesellschaften berichtet werde.

In Nancy Faesers Auflösung des Expertenkreises sieht der AfD-MdB eine „einseitig linke Ideologiegetriebenheit“ im politischen Handeln und eine vorsätzliche Verharmlosung des Islamismus. Curio verweist dazu auf die aktuelle Polizeistatistik mit 532 islamistischen Gefährdern und 519 relevanten Personen – „dreimal so viele wie bei Links- und Rechtsextremismus zusammen“.

Berliner Sekularität am Ende?

Der ehemalige Berliner Abgeordnete Erol Özkaraca verweist auf Facebook auf einen brisanten Hintergrund: „In Berlin haben die Islamisten quer durch die Parteien einen starken Einfluss, denn die Gegner des politischen Islams wurden in vielen Parteien politisch mundtot gemacht, ausgegrenzt und diffamiert. Sie haben den Islamisten aus egoistischen Karrieregründen die Arbeit abgenommen“, so der Rechtsanwalt.

Özkaraca war 2017 aus der SPD ausgetreten, nachdem der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD) – zusammen mit vom Verfassungsschutz wegen islamistischer Tendenzen beobachteten Vereinen – an einer umstrittenen „Friedensdemo“ für die Terroropfer vom Berliner Breitscheidplatz teilgenommen hatte, schrieb seinerzeit die „Bild“. Özkaraca kritisierte damals den „Auftritt des Regierenden auf dem Breitscheidplatz und die Manifestierung eines meiner Auffassung nach zu toleranten Umgangs mit dem politischen Islam und Islamisten“.

Heute warnt Özkaraca davor, dass die Islamisten ihren Kampf gegen den „muslimischen Rassismus“ in der Zukunft mit ihrer „religiösen Symbolik“ fortsetzen werden – „im Staat, in den Parteien, Verbänden, Vereinen und Moscheen“. Dem Berliner Neutralitätsgesetz als letzter Bastion der staatlichen Berliner Säkularität und religiöser Neutralität prophezeite Özkaraca, zu fallen. Der Kampf sei verloren.

Politischer Islamismus

Auf der Website des Expertengremiums definiert man den politischen Islam als „Bestrebungen, die sich unter Berufung auf den Islam gegen den demokratischen Verfassungsstaat, seine Institutionen und/oder gegen demokratische Grundrechte und universale Menschenrechte richten“. Diese seien problematisch, unabhängig davon, ob sie bei der Verfolgung ihrer Ziele Gewalt als Mittel ablehnten oder nicht.

Die Erscheinungsformen und ideologischen Merkmale des politischen Islamismus zeigen sich dem Gremium nach insbesondere in der Ablehnung Andersgläubiger, den „Ungläubigen“ oder Nichtgläubigen. Dies geht unter anderem einher mit Rassismus und Antisemitismus sowie der „Verabsolutierung des eigenen Islamverständnisses“. Ziel des Ganzen ist eine allgemein verbindliche Lebens- und Staatsordnung, die den Grundsätzen einer offenen, pluralistischen Gesellschaft und des demokratischen Verfassungsstaates widerspreche, wird von den Experten erklärt.



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