Norwegen: Geopolitische Bedeutung für Deutschland und die EU
Norwegen ist durch die Sanktionspolitik gegenüber Russland zum wichtigsten europäischen Gaslieferanten der EU aufgerückt. Deutschland importierte im Jahr 2020 über 30 Prozent seines Erdgases aus Norwegen.
Im Juli flossen über drei Pipelines pro Tag zwischen 0,1 und 0,15 Milliarden Kubikmeter Gas nach Deutschland. Vor dem Ukraine-Krieg war Norwegen der zweitwichtigste Gaslieferant nach Russland mit rund 25 Prozent der gesamten EU-Erdgasimporte.
Drei Pipelines führen nach Deutschland: Norpipe, Europipe und Europipe 2
Knapp 70 Kilometer östlich von Bergen bildet das Troll-Feld den Grundpfeiler der norwegischen Offshore-Gasproduktion. In dem 1979 entdeckten Vorkommen liegen Schätzungen zufolge rund 40 Prozent der norwegischen Erdgasvorräte unter dem Meeresboden. Nirgendwo sonst wird in Norwegen mehr Erdgas gefördert.
Auf einem dieser Erdgasfelder ist „Troll A“ in Betrieb – die weltweit größte Förderplattform für Erdgas. Von dort gelangt das Erdgas per Pipeline zum Festland. In der nahe gelegenen Aufbereitungsanlage Kollsnes wird es gereinigt und für den Export vorbereitet. Durch Pipelines kommt das Erdgas anschließend nach Kontinentaleuropa.
Drei dieser Pipelines (Norpipe, Europipe und Europipe 2) führen nach Deutschland, sie enden in Dornum und Emden. Durch diese fließt eine Jahreskapazität an Erdgas von rund 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr entweder in Gasspeicher oder direkt zu den Verbrauchern. Das entspricht etwa der Menge, die Nord Stream 2 jährlich nach Deutschland hätte liefern sollen.
„Troll ist der größte Gasproduzent auf dem norwegischen Festlandsockel und deckt jeden Tag sieben bis acht Prozent des gesamten europäischen Energieverbrauchs“, sagte Gunnar Nakken, Senior Vize-Präsident von Equinor. Equinor ist Norwegens größtes Unternehmen, ein börsennotierter Erdöl- und Erdgaskonzern mit Sitz in Stavanger. 67 Prozent der Aktienanteile werden vom norwegischen Staat gehalten. Seit den 1970er-Jahren wird auf dem norwegischen Kontinentalschelf Erdgas gefördert. Aus über 80 Feldern werden täglich rund vier Millionen Barrel Gas und Öl gewonnen.
Gasförderung soll steigen
Im Jahr 2021 exportierte Norwegen mehr als 115 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa, wobei Deutschland (43 Prozent) und Großbritannien (29 Prozent) die größten Empfänger waren, wie „esut“ berichtet. Die Gasförderung soll bis Ende dieses Jahres auf 122 Milliarden Kubikmeter ansteigen, sodass Norwegen der EU zusätzliche zehn Prozent mehr Erdgas zur Verfügung stellen kann, als ursprünglich geplant war.
Für dieses Ziel investieren mehrere europäische Unternehmen, darunter Wintershall Dea aus Deutschland, gemeinsam umgerechnet 1,4 Milliarden Euro in die Erschließung eines neuen Erdgasfeldes vor der norwegischen Küste. Der norwegische Energieriese Equinor teilte am Dienstag (22.11.) mit, dass das Gas nach Großbritannien und Europa fließen soll. Equinor beteiligt sich mit 51 Prozent, Wintershall Dea mit 19 Prozent, die staatliche norwegische Gesellschaft Petoro mit 20 Prozent und Shell mit 10 Prozent.
Seit Anfang Oktober exportiert Norwegen erstmals auch Pipelinegas über die neue Baltic Pipeline (Kapazität: 10 Milliarden Kubikmeter) über Dänemark nach Polen. Polen hat sich über diese Pipeline und mit zusätzlichen Flüssiggas-Importen mittlerweile völlig unabhängig von russischen Gaslieferungen gemacht.
Gute Beziehungen pflegen
Die bilateralen politischen Beziehungen zu Norwegen sind laut dem Auswärtigen Amt hervorragend, für Deutschland ist Norwegen ein bedeutender Partner. In diesem Jahr feierte Norwegen das 45-jährige Jubiläum seiner Erdgaspartnerschaft mit Deutschland.
Norwegen sieht Deutschland als wichtigsten Partner in Europa und als Schlüsselland im Verhältnis zur EU an. Ein primäres Ziel der verstärkten Zusammenarbeit mit Deutschland ist es, „multilaterale Institutionen, internationale Verhaltensregeln und einen möglichst freien Welthandel zu verteidigen“.
Bundeskanzler Olaf Scholz versuchte bei einem Kurzbesuch in Oslo Mitte August höhere Gaslieferungen auszuhandeln. Allerdings stößt Norwegen hier an seine Grenzen. Ministerpräsident Jonas Gahr Støre teilte dem Kanzler daher mit, dass es bei den bisherigen Liefermengen bleibe.
Rekordeinnahmen für Norwegen
Dabei kann sich das westskandinavische Land schon jetzt als Profiteur der Energiekrise betrachten. Neben dem höheren Abverkauf von Erdgas stiegen die Gewinne auch durch die stark gestiegenen Großhandelspreise deutlich an.
Die Einnahmen aus dem Export fossiler Energieträger betrugen laut dem „Standard“ in der Vergangenheit rund 50 Milliarden Dollar jährlich. In diesem Jahr erwarten Fachleute hingegen über 200 Milliarden Dollar an Einnahmen.
Hauptgrund dafür ist, dass selbst viele der langfristig abgeschlossenen Verträge Spotmarkt-gebunden sind, sagt Ingmar Schlecht vom „Center of Energy and Environment“ der Züricher Hochschule ZHAW. Abnehmer hätten in den vergangenen Jahren darauf spekuliert, von fallenden Gaspreisen zu profitieren, wie dies auch einige Zeit der Fall war.
Aufgrund der ausfallenden Lieferungen aus Russland stiegen die Preise in den vergangenen Monaten allerdings in enorme Höhen. Derzeit hat sich der Gaspreis zwar wieder stabilisiert, allerdings auf rund zehnfacher Höhe des historischen Wertes, so der Energieexperte.
Sicherheitsrisiko Pipeline-Anschläge
Angesichts der jüngsten Anschläge auf die beiden Nord Stream-Gasleitungen ist die Sicherheit und der Schutz kritischer Infrastrukturen an Land und unter Wasser mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt.
Es ist nicht auszuschließen, dass solch ein Angriff erneut passiert. Auch Oslo berät über Konsequenzen – zumal Norwegen deutlich mehr Pipeline-Kilometer vor seiner sehr langen Küste und begrenzte Fähigkeiten der norwegischen Streitkräfte gegen entsprechende Sabotageaktionen hat.
(Mit Material von AFP)
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