Lampedusa: Meloni und von der Leyen vor Ort – an einem Tag kamen mehr als 5.000 Menschen übers Meer
In der vergangenen Woche hatte die Mittelmeerinsel Lampedusa den größten Ansturm von Bootsmigranten ihrer jüngeren Geschichte erlebt. Am Dienstag, 12. September, waren an einem einzigen Tag mehr als 5.000 Menschen angekommen. Insgesamt sollen es im Laufe der gesamten Woche mehr als 8.000 gewesen sein.
Der Stadtrat hatte daraufhin den Notstand ausgerufen. Am Sonntag wollen sich Italiens Premierministerin Giorgia Meloni und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gemeinsam ein Bild von der Lage vor Ort machen.
Lage in Lampedusa hat sich mittlerweile wieder beruhigt
Mittlerweile scheint sich die Lage weitgehend beruhigt zu haben. Bereits am Freitagmorgen hatten Einsatzkräfte etwa 700 Migranten in Richtung Sizilien und Festland überführt. Am gleichen Tag konnten noch weitere 2.500 Personen in andere Regionen des Landes verbracht werden.
Zeitweilig hatten sich im Laufe der Vorwoche mehr Migranten als Einwohner auf der 6.500-Seelen-Insel aufgehalten. Ein dort befindliches Lager bietet lediglich Platz für einige hundert Personen. Teilweise kam es in der Vorwoche auch zu Zusammenstößen zwischen Migranten und der Polizei. Nach einem Gedränge bei der Essensausgabe musste diese ein Freiwilligenteam vorübergehend unter ihren Schutz stellen.
Medien berichteten auch vom Tod eines fünf Monate alten Kindes auf einem Flüchtlingsschiff. Auf einem anderen hätten Rettungsteams traumatisierte Frauen aufgefunden, die möglicherweise sexuellen Missbrauch erfahren hätten. Am Tag mit den meisten Ankünften waren Hilfsorganisationen zufolge mehr als 120 Flüchtlingsboote vom tunesischen Sfax aus in See gestochen.
Meloni fordert „sofortige“ europäische Mission im Mittelmeer
Italiens Premierministerin fordert nun ein stärkeres Engagement durch die Europäische Union, um Szenen wie in der Vorwoche perspektivisch vermeiden zu können. Italien als eines der primären Erstankunftsländer fühlt sich von den europäischen Partnern bei der Bewältigung der Fluchtbewegungen allein gelassen.
Meloni fordert eine europäische Mission im Mittelmeer, um die Boote bereits am Ablegen zu hindern. Eine solche Mission müsse „sofort“ starten, so Meloni. Auch einen Einsatz der Marine wollte die Regierungschefin nicht ausschließen. Von der Leyen habe sie eingeladen, „um sich persönlich den Ernst der Lage, in der wir uns befinden, bewusst zu machen“.
Italien richtete zudem Vorwürfe an Frankreich und Deutschland, es ebenfalls an Solidarität vermissen zu lassen. So hatte Frankreich unter dem Eindruck der Massenankunft seine Grenzkontrollen verstärkt. Deutschland wiederum hatte den „freiwilligen Solidaritätsmechanismus“ ausgesetzt, mit dem man die Hauptankunftsländer entlasten wollte.
Seit Oktober 2022 soll Deutschland bis zu 1.700 Migranten und Flüchtlingen in diesem Rahmen freiwillig Aufnahme zum Zweck der Durchführung eines Asylverfahrens gewährt haben. Ursprünglich hatte man zugesagt, 3.500 Asylbewerber aus besonders belasteten Staaten an Europas Außengrenzen im Süden zu übernehmen. Mittlerweile hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser diesbezüglich eine Kehrtwende angekündigt.
Proteste gegen geplantes Zeltlager in Lampedusa
Mit einem allzu begeisterten Empfang kann EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in Lampedusa unterdessen nicht rechnen. Am Samstag protestierten Bewohner von Lampedusa gegen Pläne, ein neues Zeltlager zur Unterbringung von Migranten zu errichten.
Der stellvertretende Bürgermeister des Ortes, Attilio Lucia, äußerte dem „exxpress“ zufolge, Flüchtlinge seien auf der Insel „nicht willkommen“. Der Lega-Politiker sagte im Rahmen der Kundgebung:
Lampedusa muss frei sein. Wir wollen vom Tourismus und der Fischerei leben, nichts weiter! Niemand in Italien will afrikanische und asiatische Eindringlinge, die Geduld hat ein Ende.“
Die nationalen und europäischen Institutionen hätten „nicht die geringste Ahnung davon, was heute in Lampedusa geschieht“. Man könne und wolle sich dem Migrationsphänomen nicht länger stellen, solange die Europäische Union „kurzsichtig“ bleibe.
Razzien gegen mutmaßliche Schlepper – und vor allem gegen Migranten
Fragen kamen zudem bezüglich des Abkommens auf, das die EU – ebenfalls auf Betreiben Melonis – im Juni mit Tunesien abgeschlossen hatte. Der Absichtserklärung zufolge sagte Präsident Kais Saied zu, das Land werde die „organisierte Kriminalität der Schleuser und Schlepper bekämpfen“.
Im Gegenzug soll die Regierung in Tunis 900 Millionen Euro erhalten. Von diesen seien 105 Millionen zur Bekämpfung der Schlepperei gedacht – der Rest für Wirtschaftsförderung, Digitalisierung und erneuerbare Energien.
Die Ereignisse der Vorwoche, als Dutzende Flüchtlingsboote von Sfax aus in Richtung Lampedusa gestartet waren, scheinen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Wie der ORF berichtet, habe es im gesamten Land groß angelegte Razzien gegen Migranten gegeben.
Zudem habe es Festnahmen von Personen gegeben, die der Schlepperei verdächtig seien. Die Sicherheitskräfte hätten Lastwagen gestoppt, die Menschen zu den Stränden transportierten, und mutmaßliche Schlepperboote beschlagnahmt.
Kritiker werfen Tunesien schwere Verstöße vor
Tunesien habe dabei Spezialkräfte eingesetzt, die unter anderem mit Flugzeugen, Suchhunden und Militärfahrzeugen ausgestattet gewesen seien. Kritiker des Abkommens der EU mit der Regierung in Tunis werfen diesen schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Migranten und Flüchtlinge vor.
Just am Tag der Unterzeichnung des Abkommens war bekannt geworden, dass Tunesien mindestens 80 Migranten ohne Wasser und Nahrung in der Wüste ausgesetzt habe. Dies sei nicht der erste Vorfall dieser Art gewesen, heißt es durch die Organisation Human Rights Watch. Die Vereinigung hat „schwere Misshandlungen“ afrikanischer Migranten durch tunesische Sicherheitskräfte dokumentiert. Wie „n-tv“ berichtet, reichten die Vorwürfe von Gewalt über Folter, Massenvertreibung und Zwangsräumungen bis hin zu Diebstahl von Geld und Wertsachen.
Der 2022 durch einen Putsch an die Macht gekommene Präsident Kais Saied beschuldigte Migranten im Februar sogar, Teil einer „kriminellen Verschwörung“ zu sein. In Brüssel hält man die jüngste Vereinbarung mit Tunesien dennoch für eine „Blaupause für Abkommen mit weiteren Ländern in Afrika“.
(Mit Material der dpa)
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