Kiew und Budapest nähern sich an: Neuer Außenminister, neue Politik
Ungarn ist der ukrainischen Führung in mancher Hinsicht ein Dorn im Auge. Die Regierung von Viktor Orbán stand hinter einer Reihe von Vetos in der EU in Bezug auf die Ukraine und forderte regelmäßig Friedensgespräche mit Russland. Budapest weigert sich weiterhin, Waffen an Kiew zu liefern, und pflegt seine Beziehungen zu Moskau.
Die frostigen Beziehungen zwischen den beiden Ländern lassen sich darauf zurückführen, dass Budapest Kiew die Unterdrückung der ungarischen Minderheit in der Ukraine – schon vor dem Krieg – vorwirft. Nach dem Besuch des neuen ukrainischen Außenministers in dieser Woche in Budapest könnte sich die Situation jedoch ändern.
Ungarn tue sein Möglichstes, um die nachbarschaftlichen Beziehungen zu verbessern und erwarte das Gleiche von Kiew, sagte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó nach Gesprächen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Andrij Sybiha am Dienstag, 1. Oktober.
Der neue ukrainische Außenminister, der von „Radio Free Europe“ zitiert wurde, betonte, dass die Gespräche zwischen den beiden Ländern intensiviert werden müssten. Sybiha hat seine Antrittsreise nach Budapest unternommen. Die ungarische Minderheit im Land sei Teil der Ukraine, sie verteidigen die Ukraine, ihr Leben und ihre Unabhängigkeit mit Waffen, sagte der Minister in Budapest.
Die Ukraine bekommt Ungarns Unterstützung
Das diplomatische Treffen zwischen den Außenministern der beiden Länder ist das erste seit vier Jahren in Budapest.
Minister Szijjártó sagte bei dem Treffen, dass die Orbán-Regierung weiterhin auf eine Verhandlungslösung beharre. Ungarn unterstütze alle internationalen Initiativen, die die Möglichkeit mit sich bringen, so schnell wie möglich Frieden zu erreichen, sagte Szijjártó.
Während sich die ungarische Regierung oft gegen gemeinsame EU-Hilfen für die Ukraine ausgesprochen hat, sicherte Szijjártó der Ukraine Unterstützung auf bilateraler Basis zu. Die ungarische Regierung ist gegen eine gemeinsame Kreditaufnahme und Verschuldung der EU.
Budapest nehme jedoch nicht nur Flüchtlinge aus der Ukraine auf, sondern träge auch zum Wiederaufbau bei. „Schon während des Krieges waren und sind wir an den Wiederaufbaubemühungen beteiligt“, sagte Szijjártó. Ungarns Regierung habe bisher 66 Milliarden Forint (circa 165 Millionen Euro) für Hilfsleistungen an die Ukraine ausgegeben.
Bis zu 150.000 Ungarn leben in der Ukraine
Die Frage der Minderheiten in der Ukraine – von 100.000 bis 150.000 Menschen – war schon lange ein zentraler Punkt für Budapest. Historisch gesehen bedeutet das Wort Ukraine „Grenzland“. Der Staat, der im Jahr 1991 unabhängig wurde, beherbergt eine Vielzahl von Volksgruppen, inklusive eines großen russischen Bevölkerungsanteils. Die Grenzen der Ukraine erstrecken sich auf Gebiete, die ursprünglich unter polnischer, habsburgischer und russischer Herrschaft standen.
Sándor Seremet, leitender Forscher vom Ungarischen Institut für Auswärtige Angelegenheiten, analysierte kürzlich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern in der ungarischen Presse. Dem Experten zufolge waren die Beziehungen zwischen den Nachbarn bis zum Jahr 2017 gut.
Ungarn war eines der ersten Länder, die die Unabhängigkeit der Ukraine anerkannte. Budapest war auch das Erste, mit dem die unabhängige Ukraine diplomatische Beziehungen aufnahm.
Budapest habe aktiv mit Kiew in Bereichen wie Handel, Verkehr, Energie, kulturelle und humanitäre Zusammenarbeit und Visaliberalisierung zusammengearbeitet. Ungarn unterstützte die territoriale Integrität der Ukraine und verurteilte öffentlich die Annexion der Krim.
Die ungarisch-ukrainischen Beziehungen waren für viele Jahre eingefroren
Die Beziehung zwischen den beiden Ländern hat sich aufgrund des 2017 verabschiedeten Bildungsgesetzes der Ukraine abgekühlt. Dieses Gesetz schränkte das Recht, die Muttersprache als Unterrichtssprache zu wählen, erheblich ein. Die ungarische Minderheit war damit erheblichen Repressionen ausgesetzt, wie es die ungarische Regierung beklagte.
Seitdem begann Budapest – auch angesichts des russisch-ukrainischen Konflikts – die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine nicht zu unterstützen. Dies solle so lange gelten, bis die Ukraine garantiere, den früheren Rechtsstatus der nationalen Minderheiten wiederherzustellen.
Auf der Konferenz der Parlamentspräsidenten in Prag im Jahr 2023 wies der ungarische Parlamentspräsident auf die Verantwortung der Ukraine hin.
„Die russische Aggression gegen die Ukraine begann nicht mit dem ersten russischen Schuss, […], sondern mit der russischen Politik, die die Existenz der ukrainischen Nation, der ukrainischen Sprache und der ukrainischen Nationalkultur infrage stellt“, sagte István Jakab.
Die Tatsache, dass alle EU-Mitgliedstaaten der Ukraine in dieser Frage zur Seite stünden, zeige, wie wichtig es sei, für nationale Werte einzutreten. Der ungarische Politiker erklärte, dass die EU denselben Respekt von Kiew für ihre Minderheiten erwarten sollte. Nach Meinung von Jakab stellte die Ukraine mit seiner Politik der Unterdrückung von Minderheiten im eigenen Land „auch ihre Existenz selbst infrage“.
Wende zu Beginn der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft
Im Mai 2023 schien die Situation zwischen den beiden Ländern aufgrund von Orbáns Vetos zu eskalieren. Geheimen Dokumenten zufolge schlug Präsident Wolodymyr Selenskyj angeblich vor, dass die Ukraine die von der Sowjetunion gebaute Druschba-Ölpipeline sprengen sollte. Sie ist eine wichtige Route, die Öl nach Ungarn liefert.
Schließlich entspannte sich aber die Lage. Der Leiter der ukrainischen Delegation bestätigte im Juni dieses Jahres auf einer Konferenz in Luxemburg, dass die Ukraine sich verpflichten würde, die Forderungen Ungarns in Bezug auf Minderheitenrechte zu erfüllen.
Im Rahmen eines Abkommens werde die Ukraine einen Aktionsplan zum Schutz der Rechte von Angehörigen nationaler Minderheiten verabschieden. Dazu gehören unter anderem der Kampf gegen Diskriminierung und Hetze, die Verwendung von Minderheitensprachen und der Unterricht in Minderheitensprachen.
Ministerpräsident Viktor Orbán hat aufgehört, den EU-Beitritt der Ukraine zu blockieren. Im Juli – am ersten Tag der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft – reiste Orbán persönlich zu Gesprächen nach Kiew.
Das Thema der Unterdrückung der ungarischen Minderheit in der Ukraine wurde auch während des Treffens in Budapest am 30. September mehrfach angesprochen. Der ukrainische Außenminister betonte, dass sich sein Land dafür einsetze, die Rechte der Minderheit zu gewährleisten. Die Zusammenarbeit könnte somit auch für die ungarische Regierung deutlich attraktiver sein.
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