Orbán trifft Selenskyj: Hintergründe des Überraschungsbesuchs in Kiew

Zum Auftakt der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft reiste Viktor Orbán nach Kiew. Dies war sein erster Besuch in der Ukraine seit Kriegsbeginn. Dort sprach er sich für einen Waffenstillstand aus. Die Frage des Friedens steht im Mittelpunkt der Präsidentschaft.
Titelbild
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán trifft den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew am 2. Juli 2024.Foto: Zoltán Fischer/Pressebüro des Ministerpräsidenten in Ungarn
Von 2. Juli 2024

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

Am Vorabend seines Treffens mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj betonte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán in einem Interview, dass das größte Problem Europas heute der Krieg zwischen der Ukraine und Russland sei. Wenn es in den kommenden Tagen „überraschende Nachrichten von überraschenden Orten“ gebe, dürfe man sich nicht wundern.

Das Hauptthema des Überraschungsbesuchs in Kiew war Orbán zufolge ein befristeter Waffenstillstand.

„Die Regeln der internationalen Diplomatie sind langsam und kompliziert. Ich habe den Präsidenten gebeten, zu prüfen, ob man nicht die Reihenfolge umkehren und einen schnellen Waffenstillstand einführen könnte, um die Friedensgespräche zu beschleunigen“, sagte Orbán nach den Gesprächen.

Orbáns Überraschungsbesuch in Kiew am Dienstag, dem 2. Juli, wurde nicht offiziell bekannt gegeben. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass ernsthafte Vorbereitungen im Gange gewesen waren.

Andrij Jermak, der Stabschef des ukrainischen Präsidenten, schrieb auf seinem Telegramm-Kanal, dass „viel für diesen Besuch getan wurde“, denn „es ist wichtig, über die Zukunft Europas, die Sicherheit, das Völkerrecht und die Friedensformel zu sprechen“.

Das Verhältnis zwischen Kiew und Budapest gilt als angespannt. Foto: Zoltán Fischer/MTI/Pressebüro des Ministerpräsidenten in Ungarn

In der Vergangenheit hatte Orbán gemeinsame EU-Hilfen für die Ukraine mit der Begründung verzögert, diese sollten lieber bilateral zwischen den einzelnen Staaten geregelt werden. Gleichzeitig hatte Orbán wiederholt versucht, Sanktionen gegen Moskau zu blockieren.

Ein weiterer Streitpunkt zwischen den beiden Regierungschefs sind die Rechte der ungarischen Minderheit in der Ukraine. Diese Probleme sollten jedoch die Friedensbemühungen der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft nicht behindern, so Orbán.

Europas Rolle auf dem Weg zu einer Friedenslösung

Ungarn hat am 1. Juli für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Sein Hauptziel sei, Schritte in Richtung einer Friedenslösung zu setzen, kündigte Orbán in dem Interview vor seiner Reise an.

Das Verhältnis zwischen Kiew und Budapest gilt als angespannt

Der ungarische Ministerpräsident betonte, dass der Krieg, unter dem die Ukrainer derzeit leiden, die europäische Sicherheit stark beeinträchtige. Orbán begrüßte die Initiativen des ukrainischen Präsidenten „für den Frieden“. Ein Waffenstillstand sei jedoch notwendig, so Orbán, da diese diplomatischen Prozesse Zeit bräuchten. So könne unnötiges Blutvergießen vermieden werden.

Orbán kündigte auch an, dass er einen Bericht für die EU-Regierungschefs über die Gespräche in Kiew vorbereiten werde. Auf dessen Grundlage könnten die notwendigen europäischen Entscheidungen getroffen werden.

Selenskyj lobte Orbán dafür, dass er bereits am zweiten Tag der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft in die Ukraine gereist sei. Er bedankte sich für die humanitäre Hilfe der Ungarn und zeigte sich zuversichtlich, dass die ungarische EU-Ratspräsidentschaft ein Erfolg werde.

Der Präsident äußerte sich nicht öffentlich zum Waffenstillstandsvorschlag des Ministerpräsidenten.

Auch die Frage der EU-Mitgliedschaft der Ukraine wurde angesprochen. In diesem Zusammenhang erklärte der ukrainische Präsident, dass die Parteien großen Wert auf die Zusammenarbeit legten, denn es sei klar, dass dies „ein langer Prozess sein wird“.

Darüber hinaus wurde die Regelung der ungarisch-ukrainischen Beziehungen vorangetrieben, die laut Selenskyj den Beginn eines neuen Weges zwischen den beiden Ländern markiert.

Orbáns guter Draht nach Moskau als Vorteil?

Der ungarische Regierungschef wird in der EU oft für seine guten diplomatischen Beziehungen zu Moskau kritisiert.

Nach Ansicht mancher Experten könnte sich dies für die ungarische EU-Ratspräsidentschaft jedoch als Vorteil erweisen. Zumindest dann, wenn er seine Kontakte nutzt, um in diplomatischen Verhandlungen zwischen den Parteien zu vermitteln.

Anton Bendarzsevszkij, Experte für Sicherheitspolitik im postsowjetischen Raum, äußerte sich dazu gegenüber dem ungarischen Analyseportal „Economx“.

Laut Bendarzsevszkij führt der Weg zum Frieden nur über die ukrainische und die russische Seite. „Orbán wird sich auch als Vermittler zwischen Moskau und Kiew anbieten, in der Hoffnung auf eine Kompromisslösung, die – wenn nicht gleich den Frieden – so doch den Weg zu einem Waffenstillstand ebnet“, so der Experte.

Bis zum Frieden sei es noch ein weiter Weg, aber eine Vermittlerrolle erscheine realistisch.

Orbán: „Dinge beim Namen nennen“

Die Ungarn wollen als EU-Ratspräsidentschaft „an allen Orten, die für Europa wichtig sind“, präsent sein und sich mit allen Situationen auseinandersetzen. „Ich werde für die europäischen Staats- und Regierungschefs Berichte über jede Situation vorbereiten, die dann vom Europäischen Rat diskutiert und von den europäischen Staats- und Regierungschefs beschlossen werden können“, erklärte Orbán vor seiner Reise nach Kiew.

Früher oder später, so Orbán, würden Amerikaner und Russen miteinander verhandeln. „Welchen Platz wird Europa in diesem Deal einnehmen? Werden wir Teil davon sein? Wer vertritt unsere Interessen? Was genau sind unsere Interessen? Das sind die wichtigsten Fragen für die nächste Zeit“, betonte er.

Orbán sagte in dem Interview auch, er sei überzeugt, dass Donald Trump, falls er wiedergewählt werden sollte, innerhalb von 24 Stunden einen Waffenstillstand erreichen werde. Europa müsse dann mit eigenen Antworten auf die Friedensfragen bereit sein.

In Bezug auf die diplomatischen Verhandlungen betonte Orbán, dass die ungarische Besonderheit gerade darin bestehe, „die Dinge beim Namen zu nennen“.

„Ganz Europa würde verloren gehen, wenn Probleme unter den Teppich gekehrt würden, anstatt sie ehrlich anzusprechen“. Die ungarische Ratspräsidentschaft wolle die schwierigsten Themen sehr offen ansprechen, ohne zu versuchen, die Entscheidungsträger zu beeinflussen. Mit der Reise in die Ukraine haben die Gespräche nun begonnen.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion