In Hongkong verhafteter deutscher Student wehrt sich gegen falsche Darstellungen
In der letzten Woche wurden in Hongkong zwei deutsche Studenten verhaftet. Sie wurden beschuldigt sich aktiv an gewaltsamen Protesten gegen Polizeikräfte beteiligt zu haben. Entsprechende Agenturmeldungen wurden von einigen deutschen Medien recht unkritisch übernommen, sodass der Eindruck entstehen konnte, die Beschuldigungen wären bewiesene Tatsachen.
Der Student Marius, der in einem Handelsblattinterview nur unter seinem Vornamen auftrat, ist seit einigen Tagen wieder zurück in Deutschland, nachdem er in Hongkong, gegen eine Kaution in Höhe von etwa 115 Euro, wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Irritiert von der Berichterstattung in Deutschland und daraus resultierenden Nachrichten in verschiedenen sozialen Medien, die ihn und seinen Kommilitonen als gewaltbereite Krawallmacher darstellten, die auch den Tod anderer Personen in Kauf nehmen würden, wandte er sich an das Handelsblatt.
In dem Interview schilderte er, wie er in seinem Studentenwohnheim in Hongkong die zunehmende Solidarisierung der einheimischen Studenten miterlebte, nachdem die Polizei in Hongkong immer öfter gewaltsam auch gegen friedliche Demonstranten vorging. Er erlebte, wie Studenten aus seinem Umfeld verletzt von Demonstrationen zurückkehrten, vorübergehend Verhaftete von Foltermethoden bei der Polizei sprachen und wie einige Studenten urplötzlich verschwanden.
Freiheit oder sich arrangieren mit dem Unterdrücker-System
In seiner Erzählung erwähnte er auch, wie er selbst darüber nachdachte, ob er, wenn seine Freiheit so bedroht wäre wie die der Einwohner Hongkongs, Widerstand leisten würde, der ihn das Leben kosten könnte oder lieber versuchen würde mit weniger Freiheit „in Frieden“ zu leben. Doch gibt er zu, dass er in Deutschland noch nie so intensiv mit diesem Problem konfrontiert war.
Er selber habe sich nie an den Demonstrationen beteiligt. Am Anfang, als alles noch ruhig ablief, habe er sich die Demonstrationen aus der Nähe angesehen, später als die ersten Protestler von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen angegriffen wurden, habe er immer Abstand gehalten.
Am Tag seiner Verhaftung sei er mit seinem Kommilitonen zusammen unterwegs gewesen, um etwas zu essen. Als die beiden bemerkten, dass auf ihrem Weg ein Protest stattfand und es dort einen Polizeieinsatz gab, seien sie in eine nahegelegene Mall (Einkaufspassage) gegangen, um sich dort etwas zu essen zu besorgen, und um nicht in die Auseinandersetzungen zu geraten.
Als sie 10 Minuten später die Mall wieder verließen, seien sie schnell von Polizisten in voller Kampfmontur umringt worden. Die Polizisten hätten sie angeschrien und beschuldigt, Molotowcocktails geworfen zu haben.
Marius schilderte dann, wie er und sein Freund in Polizeihaft kamen und wie beim Verhör versucht wurde, ihm zu unterstellen, dass er sich nicht nur an den Protesten, sondern auch an Gewalt beteiligt hätte. Er bemerkte trotz der beängstigenden Situation, dass er noch Glück gehabt hatte, als Ausländer nicht so behandelt zu werden wie die Hongkonger, die Prügel und Folter in der Polizeihaft erlebten. Beide Studenten hatten das Glück, nach fast zwei Tagen gegen Kaution freigelassen zu werden und ausreisen zu dürfen.
Kaum reflektierter Umgang vieler Medien
Was ihn in Deutschland erschreckt habe, sei der kaum reflektierte Umgang vieler Medien mit den offiziellen Verlautbarungen aus chinesischen Quellen zur Gewalt in Hongkong gewesen. Marius schildert weiter, wie die Proteste, in denen es anfangs nur um ein Auslieferungsgesetz ging, in Proteste für die Menschenrechte und Demokratie in Hongkong übergingen. Viele der Studenten und jungen Erwachsenen, mit denen er in Kontakt kam, hätten noch die „Regenschirm-Proteste“ 2014 miterlebt. Sie entstanden, weil das damals reformierte Wahlrecht nicht, wie es einmal vereinbart war, echte Demokratie brachte, sondern ein Parlament mit von Peking ausgesuchten Mitgliedern.
Die Enttäuschung von 2014 und die Beobachtung, dass sich die Regierung in Peking in immer mehr Rechte von Hongkong einmischte, führten laut Marius zu der Forderung, dass die pekingtreue Verwaltungschefin Carrie Lam zurücktreten und echte demokratische Reformen durchgeführt werden sollten.
Die junge Generation sehe sich und ihre Kinder in ihren Zukunftsaussichten auf ein freies und selbstbestimmtes Leben bedroht. Insbesondere die immer weiter zunehmende Polizeigewalt und Willkür vereine sie, so der Student weiter. Nach Marius Worten ging es am Anfang mehr darum, nicht auf Überwachungsvideos zu erscheinen oder nicht bei Demonstrationen durch die Polizei verletzt oder verhaftet zu werden.
Inzwischen gehe die Polizei vollkommen willkürlich gegen Gruppen junger Menschen vor und verprügele oder verhafte sie. Viele würden spurlos verschwinden oder angeblich Selbstmord begehen. Für viele der Betroffenen sei die Gewalt gegen Polizeikräfte keine Absicht, sondern Notwehr, um zu überleben.
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