Gastransit-Streit: Kiew bereit, Ungarn in der EU und NATO zu ersetzen
Knapp drei Jahre nach Beginn des Ukraine-Krieges hat Kiew die Durchleitung von russischem Gas nach Europa zum Jahreswechsel eingestellt. Denn dann läuft ein Fünfjahresvertrag für russische Gaslieferungen nach Europa zwischen dem russischen Unternehmen Gazprom und dem ukrainischen Versorger Naftogaz aus, den Kiew nicht verlängern will.
Die ukrainische Transitverbindung deckte bisher etwa 5 Prozent der Gesamtgasimporte in die EU ab. Allerdings machte der Anteil bei Österreich, Ungarn und die Slowakei über die Ukraine rund 65 Prozent aller Lieferungen aus.
Die lautstärksten Kritiker der ukrainischen Maßnahme in der EU sind die Slowakei und Ungarn. Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó hat seine Meinung Anfang der Woche in einem längeren Facebook-Beitrag zum Ausdruck gebracht. Der Minister schrieb, dass die Ukraine zwar ein Kandidat für die EU-Mitgliedschaft sei, aber durch diese Maßnahme hätte sie die europäische Wirtschaft in eine schwierige Lage gebracht. Ungarn sei überzeugt, dass das Vorgehen des Landes gegen EU-Vereinbarungen verstoße.
Die Slowakei unterstützt auch die Fortsetzung des Gastransits durch die Ukraine nach Europa über alternative Modelle wie den Kauf von Gas an der russisch-ukrainischen Grenze durch europäische Händler.
Kiew an den Verhandlungstisch zu bekommen, scheint jedoch nicht einfach zu sein. Die Ukraine beschuldigt außerdem Ungarn der Manipulation und meint, Budapest versuche, die Schuld für ihre Probleme auf andere abzuwälzen.
Szijjártó: Ukraine muss EU-Abkommen respektieren und Gastransit fortsetzen
Nach Ansicht des ungarischen Außenministers gefährde die Ukraine durch den Lieferstopp die Wirtschaft der EU. Vor allem die Wirtschaft Zentraleuropas. Szijjártó erklärte, dass seit die Kappung der ukrainischen Transitroute Mitte Dezember allgemein bekannt wurde, der Preis für Erdgas auf dem europäischen Markt um 20 Prozent gestiegen sei.
Aus diesem Grund habe er die Entwicklung nach der ukrainischen Entscheidung auch mit dem slowakischen Außenminister besprochen. „Wir waren uns einig, dass das Kooperationsabkommen zwischen der EU und der Ukraine von beiden Seiten respektiert werden sollte und dass dieses Abkommen auch die Aufrechterhaltung der Energietransportrouten vorsieht“, schrieb Szijjártó.
Einzelheiten darüber, wie die Regierungen in der EU diese Verpflichtung der Ukraine durchsetzen wollen, sind weiterhin nicht bekannt. Szijjártó betonte jedoch, es müsse beachtet werden, dass der Hauptgrund für den Anstieg der Gaspreise in Europa die künstliche Reduzierung der Gasmenge sei. Dazu gehöre neben der Sperrung von Routen auch die Sanktionierung oder der politische Ausschluss bestimmter Erdgasquellen.
Ukraine beschuldigt Ungarn der Manipulation
Das ukrainische Außenministerium wies die Kritik Ungarns zurück und nannte sie manipulativ. Es betonte, dass Russland seit Jahrzehnten Energie als geopolitische Waffe einsetze, „um europäische Regierungen zu erpressen und die Energiesicherheit zu untergraben.“
Kiew erinnerte auch daran, dass am 1. Januar die Europäische Kommission erklärt habe, dass die Entscheidung der Ukraine keine negativen Auswirkungen auf die Energiesicherheit oder Verbraucherpreise in der EU hatte.
Die meisten EU-Länder hätten zudem erfolgreich ihre Energiequellen diversifiziert. Kiew zufolge haben diese Alternativen aus den USA und dem Nahen Osten gefunden, während nur zwei Staaten Schwierigkeiten hatten und andere für ihre Probleme verantwortlich machten.
Die Ukraine kritisierte auch, dass diese Länder den Zugang der USA und anderer Partner zum europäischen Energiemarkt behinderten. Wenn Ungarn die Stärkung Russlands über die Interessen der EU und der USA stelle, solle es dies offen zugeben.
Die Ukraine sei bereit, Ungarns Platz in der EU und der NATO einzunehmen, falls sich Ungarn lieber von Moskau dominierten Organisationen wie der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) oder der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) anschließen wolle.
Drastische Preiserhöhungen in Europa erwartet?
Welche Preissteigerungen die ungarische Regierung für Europa erwarte, hat sie in einem kürzlich veröffentlichten Video erläutert. Demnach ist der Gaspreis auf dem Weltmarkt bereits um 20–25 Prozent auf 50 Euro pro Megawattstunde gestiegen, so Tamás Menczer, der Kommunikationsdirektor der Regierung Viktor Orbán.
„Brüssel vertritt die Ukraine, nicht uns. Brüssel will der Ukraine helfen, nicht uns. Sie wollen die Ukraine in die Europäische Union bringen“, sagt Menczer in dem Video.
Auch der slowakische Außenminister betonte in einer aktuellen Erklärung, dass das Hauptproblem, das sich aus der Unterbrechung des Gastransits in die Ukraine ergibt, nicht darin bestehe, dass es zu einer Verknappung des Gases kommen wird, sondern dass der Preis hoch sein wird.
In seiner Erklärung, die nach einem Treffen mit seinem ungarischen Amtskollegen in der ungarischen Presse veröffentlicht wurde, betonte Juraj Blanár zudem, dass dieses Phänomen nicht nur die Slowakei betreffe, sondern auch andere Länder, da Gas über die Slowakei in andere Länder geflossen sei.
„Das muss der Staat ausgleichen. Allerdings entgehen dem Staat auch Einnahmen aus der Nichtzahlung der Transitgebühren, die sich auf mindestens 500 Millionen Euro belaufen, und dieser Betrag wird benötigt, um zu verhindern, dass die steigenden Preise an die Haushalte weitergegeben werden“, so Blanar in der Erklärung.
Nach Aussage ukrainischer Ökonomen wie Oleh Popenko könnte außerdem das Ende des Gastransits nach Europa über die Ukraine auch zu einem radikalen Anstieg der Preise für Lebensmittel und Dienstleistungen führen. Und das könnte in erster Linie zulasten der Ukraine selbst gehen, berichtet die ukrainische Presse.
Gespräche mit Vertretern der Ukraine in Brüssel vorerst abgesagt
Diese Woche hat die Slowakei auch bereits konkrete Schritte unternommen, um die Krise zu beheben. Vertreter der Slowakei, der Ukraine und der Europäischen Kommission sollten sich am 7. Januar in Brüssel treffen, um über den Transitstopp zu sprechen.
Die Slowakei wollte nämlich die Vereinbarung verlängern und Moskaus Treibstoff weiterhin über die Ukraine importieren, aber ihre Bitten wurden in Kiew abgewiesen. Daraufhin drohte Ministerpräsident Robert Fico, Notstromversorgung, die der Ukraine im Falle eines Netzausfalls mit Strom aushilft, zu kappen und die Unterstützung für Flüchtlinge, die vor dem Krieg in Russland fliehen, zu beenden.
Das Treffen in Brüssel, in dem eine Lösung gefunden werden sollte, wurde jedoch abgesagt. Die slowakische Regierung erklärte, die Gespräche seien verhindert worden, weil die Ukraine sich geweigert habe, teilzunehmen.
Kiew hat diese Behauptung jedoch dementiert. Da der ukrainische Energieminister aufgrund der „schwierigen Situation im Energiesektor“ gezwungen war, in der Ukraine zu bleiben, schlug er laut „Politico“ vor, die Gespräche online zu führen.
Die Europäische Kommission erklärte, sie arbeite daran, die Gespräche zu terminieren. Sie bestätigte zudem, dass der EU-Energiemarkt trotz des Transitstopps stabil sei.
Russland offen für Alternativen
Nach Berechnungen der russischen staatlichen Nachrichtenagentur „TASS“ könnte der Gesamtexport von Gas aus Russland durch die Pipeline nach Europa (einschließlich der Türkei) im vergangenen Jahr etwa 52 Milliarden Kubikmeter erreichen. Ende 2024 überstieg der Transit durch die Ukraine 15,4 Milliarden Kubikmeter. Die europäische Region könnte nun also bis zu 30 Prozent ihres Pipeline-Gases aus Russland verlieren.
Die schlimmsten Auswirkungen des vollständigen Stopps des russischen Gastransits durch die Ukraine werden „TASS“ zufolge Österreich, die Slowakei, die Tschechische Republik, Italien und Moldau zu spüren bekommen. Diese müssten dann teureres Flüssiggas kaufen oder ihren Kohleverbrauch erhöhen.
Kremlsprecher Dmitri Peskov hat diesbezüglich vor Kurzem betont, dass „die Situation hier sehr schwierig ist und größere Aufmerksamkeit erfordert“. In einer Fernsehansprache am 26. Dezember sagte auch der russische Präsident Wladimir Putin, Russland sei bereit, Europa über Polen und die Jamal-Europa-Pipeline mit Gas zu versorgen.
Der russische Präsident erwähnte Anfang Januar auch die Möglichkeit, Verträge über die Lieferung durch dritte Auftragnehmer abzuschließen. Diese könnten türkische, ungarische, slowakische und aserbaidschanische Unternehmen sein.
In einem solchen Fall wäre die Lösung eine vertragliche Übertragung des Eigentums an Gas an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine. Das Gas würde somit schon vor dem Betreten des Hoheitsgebiets der Ukraine an einen neuen Eigentümer übertragen, und der durch ukrainisches Gebiet zu transportierende Brennstoff wäre nicht russisch.
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