Brüssel drückt aufs Tempo – wie nah ist die Ukraine an der EU?

Anlässlich des Gipfeltreffens in Kiew am 24. Februar zum Anlass des dritten Jahrestages des Einmarsches Russlands stellte Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, einen EU-Beitritt der Ukraine vor 2030 in Aussicht.
Der Beitritt des Landes zur EU war bis vor Kurzem noch undenkbar, besonders aufgrund von Defiziten bei der Korruptionsbekämpfung, Rechtsstaatlichkeit und dem Umgang mit nationalen Minderheiten.
Der Prozess erfordert noch eine Reihe von Reformen in dem vom Krieg gezeichneten Land. Zugleich spricht der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj von politischen Hindernissen innerhalb der EU.
„Was die Europäische Union angeht, so wird die Entscheidung über die EU-Mitgliedschaft der Ukraine von einem Land blockiert. Dieses Land ist Ungarn“, erklärte Selenskyj am 14. März während einer Pressekonferenz.
Selenskyj: „Alle außer einem Land unterstützen es“
Der Präsident betonte, dass die EU-Mitgliedschaft die wichtigste „ökonomische Garantie“ für die Ukraine sei, um den Krieg zu beenden. Und dafür gebe es keine Alternative. „Weder die USA noch die EU-Mitgliedstaaten, die das ebenfalls einsehen, sind dagegen. Alle außer einem Land unterstützen es“, betonte er.
In der ukrainischen Presse wurde auch berichtet, dass Ungarn Mitte Februar die Eröffnung der ersten Verhandlungen des Beitrittsprozesses blockiert und eine Erweiterung der Liste der Anforderungen an die Ukraine gefordert habe.
Am 12. März erklärte der ukrainische Außenminister Andrii Sybiha, dass Kiew begonnen habe, nach diplomatischen Wegen zu suchen, um das Problem mit Ungarn zu lösen. „Wir sind uns der Position Ungarns bewusst, das die Eröffnung der Verhandlungen blockiert hat. Wir hoffen sehr, dass es uns gelingt, die Blockade mithilfe diplomatischer Mittel zu überwinden“, so der Minister.
Orbán: Jedes Detail sollte durchdacht werden
Ungarns Regierung hat sich in der Tat schon mehrmals kritisch über die mögliche EU-Mitgliedschaft der Ukraine geäußert. Die Regierung von Viktor Orbán machte deutlich, dass sie besonders besorgt über die Verletzung der Rechte ungarischer Minderheiten in der Ukraine sei.
Orbán sagte in einem Interview Anfang März, dass die Mitgliedschaft des Landes in der EU die Zerstörung der europäischen Wirtschaft, einschließlich der ungarischen, bedeuten würde. Er sei deswegen dagegen, die Verhandlungen zu beschleunigen. Im Gegenteil, er sei der Meinung, dass eine Entscheidung in dieser Angelegenheit verschoben werden solle, um jedes Detail besser zu durchdenken.
Der Regierungschef erinnerte daran, dass der Zustrom von großen Mengen an billigem ukrainischem Getreide, das unter weniger strengen Qualitätsstandards produziert wird, auf dem EU-Markt bereits in der Vergangenheit Probleme verursacht habe. Im Falle eines EU-Beitritts würden daher die niedrigen Preise die Landwirte in Ungarn, Polen und Rumänien „in den Bankrott treiben“.
Er führte auch Sicherheitsbedenken an. Orbán sagte, dass in der Ukraine 800.000 Menschen bewaffnet sind, während das Land „nicht gerade für seine öffentliche Sicherheit bekannt“ sei. Auch Arbeitsplätze in Ungarn und anderen EU-Ländern könnten gefährdet werden, wenn plötzlich Hunderttausende ukrainische Arbeitskräfte in die EU kommen.
Orbán hat zudem Anfang März eine landesweite Meinungsumfrage zu der Frage der Mitgliedschaft angekündigt.
Welche Kriterien muss die Ukraine erfüllen?
Die Ukraine beantragte die EU-Mitgliedschaft nur wenige Tage nach dem Einmarsch Russlands im Februar 2022, wurde offiziell Bewerberland im Juni 2022 und die EU nahm förmliche Beitrittsverhandlungen im Juni 2024 auf.
Um Mitglied zu werden, muss das Land die sogenannten Kopenhagener Kriterien erfüllen.
Dazu gehört institutionelle Stabilität, das bedeutet eine „demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten“.
Das Land muss zudem über eine funktionierende und auf dem EU-Markt wettbewerbsfähige Marktwirtschaft verfügen. Außerdem muss das Rechtssystem des Landes an das EU-Recht angeglichen werden.
Die Europäische Kommission erwartet zudem von der Ukraine, dass sie über Justizreform und die wirtschaftliche Entwicklung hinaus die Vetternwirtschaft weiter eindämmt.
„Trotz der Schaffung einer Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung kommen die Verfahren gegen hochrangige Beamte nur langsam voran […] und es bestehen Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörden“, berichteten ukrainische Medien Ende Dezember 2024 über die Fortschritte der Ukraine im Jahr 2024.
Ein „Gesetz über Oligarchen“ sei verabschiedet worden, aber seine Umsetzung bleibe eine Herausforderung. Um den Einfluss der Oligarchen auf Politik und Wirtschaft zu begrenzen, seien zusätzliche Mechanismen erforderlich.
Wie weit fortgeschritten ist der Beitrittsprozess?
Der Beitritt eines Landes zur EU erfolgt über drei Phasen. Die erste ist der Antrag auf den Beitritt selbst und das Gewähren des Beitrittskandidatenstatus. Dies hat auch Ungarn unterstützt, da auch hier Einstimmigkeit vorgesehen ist.
Die Ukraine befindet sich derzeit in der zweiten Phase. Diese umfasst die Durchführung der Beitrittsverhandlungen und die Umsetzung von Reformen. Der Prozess begann im vergangenen Jahr.
Die Verhandlungen dienen dazu, ein Land auf die Umsetzung der EU-Gesetze und -Standards vorzubereiten. Die Kommission überwacht die Fortschritte bei den Reformen. Nach offiziellen Angaben habe die Ukraine trotz der Kriegssituation in mehrfacher Hinsicht Fortschritte bei der Erfüllung der Beitrittskriterien gemacht.
Der Beitritt – die dritte Phase – erfolgt dann, wenn die EU-Kommission zu einer positiven Einschätzung kommt und das Parlament sowie alle Mitgliedsländer zugestimmt haben.
Daher könnte die ungarische Regierung ihr Veto einlegen, falls ein EU-Beitritt des Landes nicht in Ungarns Interesse liegt.
Theoretisch kann es auch sein, dass ein Beitrittskandidat letztlich nie Mitglied wird. Die Türkei etwa erhielt schon im Jahr 1999 Kandidatenstatus, doch sind die Beitrittsverhandlungen seit 2018 „aufgrund gravierender Rückschritte bei Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten“ faktisch eingefroren.
In Brüssel werden die Verhandlungen beschleunigt
Die Beitrittsverhandlungen werden von führenden EU-Beamten als besonders wichtig erachtet. Der Präsident des Europäischen Rates, António Costa, sagte Ende Februar, dass der Beitritt der Ukraine zur EU die wichtigste Sicherheitsgarantie für die Zukunft des Landes sei.
Polen hat am 1. Januar 2025 die rotierende EU-Ratspräsidentschaft für sechs Monate übernommen. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk versprach im Januar, die EU-Ratspräsidentschaft seines Landes zu nutzen, um die Beitrittsbemühungen der Ukraine voranzutreiben. „Wir werden den Stillstand in dieser Frage durchbrechen. […] Wir werden den Beitrittsprozess beschleunigen“, sagte er damals.
Doch es gibt auch gewichtige kritische Stimmen. Der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, sprach sich etwa vor Kurzem dafür aus, der Ukraine nur eine begrenzte EU-Mitgliedschaft zu gewähren.
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