Freiheit statt Unterwerfung: Ist der Liberalismus das bessere Staatssystem?
Jahrhundertelange Forschung und Erfahrung haben gezeigt, dass der Liberalismus kultur-, länder- und religionsübergreifend das beste System zur Förderung von Frieden, Freiheit und Wohlstand ist. Am erfolgreichsten waren stets jene Gesellschaften, welche sich durch Offenheit gegenüber Handel, Migration und neuen Ideen auszeichneten.
Dennoch konnte der Liberalismus noch nirgendwo auf der Welt jemals vollständig verwirklicht werden, sondern immer nur in Teilbereichen. Dies ist vor allem seiner ärgsten Widersacherin geschuldet: der Verlockung der Macht.
Was ist Macht?
Mit Macht ist hier nicht die Autorität einer Vorbilds- oder Vertrauensperson gemeint, die man aufgrund seiner Erfahrung, Werte, Rolle, Ausstrahlung, Handlungen oder seines Wissensvorsprungs erlangen kann.
Gewiss hat ein charismatischer Popstar oder Instagram-Influencer das Potenzial, Millionen von Fans zu beeinflussen, genauso wie ein wortgewandter Intellektueller auf die öffentliche Meinung einwirkt. Natürlich hat auch ein Arzt „Macht“ über seine Patienten, ein Vorgesetzter über seine Untergebenen, eine Ehefrau über ihren Ehemann und umgekehrt. Doch man sollte bei diesen Phänomenen in Abgrenzung zum engeren Verständnis von Macht von natürlicher Autorität sprechen, weil sie nicht auf menschlichem Zwang basieren.
Ein Patient kann seinen Hausarzt bei Unzufriedenheit wechseln. Ein Angestellter kann seinen freiwillig eingegangenen Arbeitsvertrag auflösen und eine andere Stelle antreten. Eheleute haben die Möglichkeit, sich scheiden zu lassen. All diese Beziehungen beruhen nicht auf Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung, sondern auf Freiwilligkeit.
Wenn also Macht als Hauptwidersacherin des Liberalismus beschrieben wird, so ist damit jene Macht gemeint, die es einem Einzelnen oder einer Gruppe erlaubt, anderen ihren Willen durch die Androhung oder Ausübung physischer Gewalt aufzunötigen. Es geht nicht um die Fähigkeit, seine Mitmenschen mit guten Argumenten oder Angeboten (die sie ablehnen können) zu überzeugen, sondern diese gegen ihren Willen zu Handlungen oder Unterlassungen zu zwingen (die sie ablehnen würden, wenn sie die freie Wahl hätten).
Zwang als Kernelement der Politik
Für die meisten Parteien stellt Zwang das Kernelement ihrer Politik dar: Es wird versucht, den eigenen Vorlieben und Geschmäckern mithilfe von Geboten, Verboten oder Umverteilung zum Durchbruch zu verhelfen, weil man die Andersartigkeit seiner Mitmenschen nicht erträgt oder die Ergebnisse freiwilliger menschlicher Interaktion nicht zu akzeptieren bereit ist. Auch dann, wenn der einzelne anderen keinen Schaden zufügt, keinen Zwang anwendet und ihnen nichts wegnimmt, wird er in illiberalen politischen Systemen genötigt, sich dem Willen derjenigen zu unterwerfen, die aktuell die Macht über das Gewaltmonopol innehaben und allen ein bestimmtes Verhalten diktieren wollen.
In der Geschichte bis und mit heute wurde Macht mit wandelnden Argumenten legitimiert. Oftmals geht die Rechtfertigung für eine „legalisierte“ Zwangsanwendung durch den Staat mit der Verabsolutierung eines Werts einher. Irgendetwas – sei es eine Ideologie, eine Religion, eine wissenschaftliche Disziplin oder Studie, die Sicherheit, die Umwelt, das Klima, die Gesundheit et cetera – wird dabei verklärt und als wichtiger als alle anderen Werte dargestellt, weshalb man diesem um jeden Preis (meist ist dieser Preis die Freiheit) mit politischem Zwang zur Durchsetzung verhelfen müsse.
Verschiedene Interessengruppen favorisieren, gewichten, priorisieren dabei unterschiedliche Werte. Wenn viele dieser Gruppen auf staatlichen Zwang als Durchsetzungsinstrument ihrer Interessen setzen, ist das Ergebnis eine wachsende Machtballung beim Staatsapparat und eine zunehmende Entmachtung der Bürger in immer mehr Lebensbereichen – ein Phänomen, das wir heute vielerorts beobachten können.
Je mehr Zwang in einer Gesellschaft verbreitet ist, desto stärker ist die individuelle Freiheit eingeschränkt und desto schlechter steht es um den Frieden, Wohlstand und das Glück. Das Ziel muss es deshalb sein, Macht – respektive die problematische Zwangsausübung in der Gesellschaft – auf ein absolutes Minimum zu reduzieren, damit es allen willigen Individuen möglich ist, ein selbstbestimmtes Leben in Eigenverantwortung zu führen und so ihre selbstgesetzten Ziele mit eigens definierten Mitteln zu erreichen.
Liberale Reformen
Vom liberalen Ideal der Minimierung der Zwangsanwendung haben wir uns heute weit entfernt. Der Zwang breitet sich geradezu tsunamiartig aus. Es ist kaum ein Bereich unseres Lebens mehr übrig, in welchem der Staat nicht illegitimen Zwang auf die Bürger ausübt, um die Geschmäcker, Präferenzen und Sonderinteressen jener Gruppen für allgemeinverbindlich zu erklären, die das staatliche Gewaltmonopol am stärksten zu beeinflussen vermögen.
So werden wir etwa zur Finanzierung von Opern und Theatern angehalten, zur Unterstützung von Landwirten und taumelnden Banken, zur Leistung von „Entwicklungshilfe“ an diktatorische Staaten, zur Bezahlung überrissener Beamtensaläre, dreister Behördenpropaganda und einseitig berichtenden Medien, zur Finanzierung von an reiche Günstlinge vermietete „Sozialwohnungen“ bis hin zum städtischen Fahrradverleih, der die private Konkurrenz aus dem Markt drängt. Wir werden genötigt, Gender-Lehrstühle und NGOs zu unterstützen, die mit unserem Geld oftmals teure Abstimmungskämpfe gegen unsere eigenen Überzeugungen betreiben. Ohne staatliche Lizenzen werden uns viele Berufe und Tätigkeiten verboten, die von anderen freiwillig nachgefragt würden. Es gibt den Annahmezwang bei Zahlungen in staatlicher Währung, den Schulzwang und so weiter und so fort.
Diese Tendenzen spiegeln sich auch im Recht wider: Das öffentliche Recht, das durch eine Untertanenbeziehung zwischen staatlichen Akteuren (denen man eine privilegierte Position einräumt) und Bürgern gekennzeichnet ist, dehnt sich auf Kosten des alle Parteien gleichbehandelnden Privatrechts immer weiter aus. Diese Entwicklung geht auf Kosten der Freiheit der Bürger. Die Macht des Staates wächst auf immer ungesündere Weise.
Die Suche und Implementierung von raffinierten Mechanismen und Anreizen, um die Staatsgewalt nachhaltig im Zaum zu halten, erweist sich also als besonders dringlich. Es gilt, die fiskalische Gier und die Regulierungswut in den Griff zu kriegen, den maßlosen Ausbau der Verwaltung zu stoppen und umzukehren.
Auch der politische Wettbewerb sollte gestärkt werden, weil die Möglichkeit einer „Abstimmung mit den Füßen“ eine effektive Methode ist, damit Steuerzahler von Gebieten mit einem schlechten Preis-Leistungs-Verhältnis in solche mit einem besseren Angebot umziehen können. Dies diszipliniert die politischen Herrscher und reduziert das Ausbeutungspotenzial des Staates beim Ergattern von Steuermitteln.
Reformvorschläge wie eine Politikerhaftung gilt es ebenso zu diskutieren wie eine vollständige Trennung von Medien und Staat. Letzteres, weil staatlich finanzierte Medien kaum noch kritisch über den Staatsapparat berichten können, zumal sie finanziell von ihm abhängig sind.
Je mehr solche Mechanismen implementiert werden, desto robuster dürfte die offene Gesellschaft werden und desto eher scheint das Ziel einer friedlichen, prosperierenden und freien Ordnung in greifbare Nähe zu rücken.
Über den Autor:
Olivier Kessler ist Ökonom, Publizist und Direktor des Liberalen Instituts in Zürich (www.libinst.ch). Kürzlich hat er das Buch „Verlockung der Macht: Die Kunst, die offene Gesellschaft zu verteidigen“ (2022) herausgegeben. In diesem Buch werden diverse Lösungsansätze vorgestellt, wie man staatliche Macht einhegen, limitieren und zerstückeln könnte, um den problematischen Auswüchsen staatlicher Macht Herr zu werden und die Freiheit zu sichern. Das Buch kann auf www.buchausgabe.de bestellt werden. Leser aus der Schweiz und Liechtenstein können das Buch auf www.libinst.ch bestellen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 63, vom 24. September 2022.
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