Der Jojo-Effekt der Diskriminierung
Das Gebot der Gleichheit vor dem Recht – also der Nichtdiskriminierung – steht an oberster Stelle in einer freiheitlichen Gesellschaft. Bereits die liberale Aufklärungsbewegung richtete sich gegen staatliche Willkür und plädierte für universelle Menschenrechte. Die Gesellschaft versteht sie auch als Freiheitsrechte.
Dabei stand der Gedanke des Diskriminierungsverbots für den Staat im Zentrum. Es soll keine gesetzlichen Sonderprivilegien für spezifische Gruppen, Klassen oder Einzelpersonen mehr geben. Das Gesetz soll alle Menschen gleich behandeln, während sich Private auf der anderen Seite ihre friedlichen Handlungen nicht von der staatlichen Macht diktieren lassen müssen.
Aus dieser Überzeugung entstanden die für den Erfolg der westlichen Gesellschaften so entscheidenden Grundrechte wie die Wahl- und Vertragsfreiheit, die Meinungsäußerungsfreiheit sowie der Schutz des Privateigentums und der Privatsphäre.
Seit einiger Zeit wird dieses Paradigma gehörig auf die Probe gestellt. Mit immer neuen regulatorischen Vorhaben wird versucht, als Antidiskriminierungsgesetzgebung zu verkaufen, was einem Vereinigungszwang zwischen Privaten gleichkommt.
Die Motivation dahinter – die Gleichstellung aller Mitglieder einer Gesellschaft und der Abbau von Vorurteilen – ist eine löbliche. Denn auf den ersten Blick mögen gesetzlich verordnete Diskriminierungsverbote durchaus vernünftig und fortschrittlich klingen. Doch bei näherer Betrachtung sind solche Gesetze großmehrheitlich Symbolpolitik. Durch die Anwendung von Zwang fügt sie gerade jenen Personen Schaden zu, die man besonders schützen möchte.
Mehr Frauendiskriminierung dank Frauenquote
Betrachten wir uns zur Veranschaulichung das Beispiel einer Frauenquote in bestimmten Berufen. Nehmen wir an, es gäbe eine Frauenquote bei Chirurgen zur Steigerung der Anzahl Frauen in diesem Berufsfeld. Dies impliziert, dass bei der Besetzung offener Positionen nicht in erster Linie der oder die Fähigste angestellt wird. Stattdessen werden diejenigen Bewerber mit den passenden Geschlechtsmerkmalen bevorzugt.
Wie würden die Patienten auf diese neue Regel reagieren? Viele würden wohl alles daransetzen, dass sie von einem Mann behandelt werden, der seine Fähigkeiten aufgrund der Frauenquote und der höheren Eintrittshürden für Männer noch stärker unter Beweis stellen musste und daher besonders qualifiziert zu sein scheint. Denn, ob eine Chirurgin nun aufgrund ihrer Qualifikation angestellt wurde oder ob es sich um eine weniger qualifizierte, gesetzlich begünstigte Angestellte handelt, kann nur schwierig beurteilt werden.
So werden auch gut qualifizierte Angehörige dieser rechtlich privilegierten Gruppe der angestellten Chirurginnen letztlich stärker diskriminiert und gemieden. Ihre Löhne dürften im Vergleich zu jenen der männlichen Berufskollegen sinken. Denn aufgrund der geringeren Kundennachfrage nach ihrer Leistung schaffen sie für ihre Arbeitgeber weniger Wert. Eine solche Gesetzgebung hätte daher ungewollt eine stärkere Diskriminierung von Frauen zur Folge.
Antidiskriminierungsgesetze fördern die Armut
Antidiskriminierungsgesetze schaffen nicht nur neue Ungerechtigkeiten. Sie verursachen auch einen Schaden am wirtschaftlichen Gefüge und der gesellschaftlichen Koordination.
Wenn Unternehmen nicht mehr jene Leute anstellen dürfen, welche sie als am geeignetsten erachten, sondern anhand von staatlich definierten Quoten entscheiden müssen, hat dies zur Konsequenz, dass die richtigen Leute nicht mehr am richtigen Ort sind.
Die Menschheit verdankt der Arbeitsteilung zu einem großen Teil die wachsenden Lebensstandards. Jeder konzentriert sich auf das, was er am besten kann. Doch immer häufiger wird die Arbeitsteilung verzerrt und ad absurdum geführt.
Die verhängnisvollen Eingriffe in die wirtschaftliche Freiheit schaden insbesondere den Geringverdienern. Denn diese müssen bei abnehmender wirtschaftlicher Freiheit die verhältnismäßig stärksten Lohneinbußen hinnehmen. Das zeigen auch Studien – zum Beispiel der „Index wirtschaftlicher Freiheit“.
Verschlechterung des Betriebsklimas
Auch das Betriebsklima in den Unternehmungen dürfte sich aufgrund von sich verschärfenden Antidiskriminierungsmaßnahmen verschlechtern. Es darf tendenziell weniger darauf geachtet werden, wer am besten ins unternehmerische System und ins bestehende Team passt. Vielmehr schreibt man den Verantwortlichen vor, auf oberflächliche Gruppenmerkmale der Anstellungskandidaten zu schauen. Somit wollen die Vorstände die staatlichen Quotenvorschriften erfüllen.
Konflikte und Spannungen am Arbeitsplatz dürften daher bei einer erzwungenen Integration unpassender Kandidaten zunehmen.
Antidiskriminierungsgesetze sind grundrechtswidrig
Antidiskriminierungsvorschriften stellen auch einen Eingriff in elementare Grundrechte dar. Sie beziehen sich nicht auf die Beziehung zwischen Bürger und Staat, sondern auf das Verhältnis zwischen Privaten.
In einer liberalen Gesellschaftsordnung soll jeder seine Ziele und Mittel selbst bestimmen dürfen. Jeder entscheidet eigenverantwortlich, bei wem er einkauft, was er einkauft, mit wem er Handel treibt, zusammenarbeitet, redet, interagiert und zusammenlebt. Solche Entscheide haben allesamt eine Ungleichbehandlung verschiedener Menschen aus verschiedensten Motiven zur Folge.
Wenn einige dieser Handlungen nun von Außenstehenden als „diskriminierend“ eingestuft und gesetzlich verhindert werden können, ist die Wahl- und Vertragsfreiheit infrage gestellt. Verträge sind dann von gegenseitigem Nutzen, wenn sie freiwillig geschlossen werden: Antidiskriminierungsgesetze ersetzen diese Freiwilligkeit zumindest partiell durch Zwang. Sie sind deshalb ein Angriff auf dieses elementare Grundrecht.
Ausweitung staatlicher Willkür
Letztlich führen solche Antidiskriminierungsvorschriften auch dazu, dass die staatliche Willkür auf Kosten der Rechtsgleichheit ausgedehnt wird.
Heute hat jede Person Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Ein Vereinigungszwang zwischen Privaten gefährdet dieses Grundprinzip. Denn letztlich müssten staatliche Stellen anhand von willkürlichen Kriterien darüber entscheiden, in welchen Bereichen unseres Lebens wir noch frei wählen dürfen und wo unsere Entscheidungen bereits eine „Diskriminierung“ im wie auch immer definierten juristischen Sinne darstellen.
Ständig würden dann neue Gruppen ins Rampenlicht treten und für sich eine gesetzliche Sonderbehandlung verlangen. Damit würde Schritt für Schritt wieder eine Kastengesellschaft eingeführt – mit privilegierten Über- auf der einen und rechtlich benachteiligten Untermenschen auf der anderen Seite.
Eine liberale Gesellschaft wäre keine liberale Gesellschaft mehr, wenn Privaten die Wahl- und Vertragsfreiheit aberkannt würde. Auch dann nicht, wenn dies unter dem noblen Vorsatz der Diskriminierungsbekämpfung geschieht.
Wird die Möglichkeit, frei zu wählen, eingeschränkt oder gar mittels Willkür verboten, bedeutet dies, dass jemand anderes die Entscheidungen für die Betroffenen trifft: also Politiker und Verwaltungsfunktionäre. Anstelle der Selbstverantwortung tritt die Fremdbestimmung. Das staatliche Diskriminierungsverbot und die Rechtsgleichheit würden ausgehebelt.
Die Bekämpfung von vorurteilsbeladener, verleumdender Diskriminierung und die Förderung von Toleranz durch Aufklärung und Überzeugung sind gewiss im Sinne einer liberalen Gesellschaft. Ein Vereinigungszwang zwischen Privaten ist es jedoch nicht.
Über den Autor:
Olivier Kessler ist Ökonom, Publizist und Direktor des Liberalen Instituts in Zürich (www.libinst.ch). Kürzlich hat er das Buch „Verlockung der Macht: Die Kunst, die offene Gesellschaft zu verteidigen“ (2022) herausgegeben. In diesem Buch werden diverse Lösungsansätze vorgestellt, wie man staatliche Macht einhegen, limitieren und zerstückeln könnte, um den problematischen Auswüchsen staatlicher Macht Herr zu werden und die Freiheit zu sichern.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 65, vom 8. Oktober 2022.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion