Modernisierung erhöht Spritverbrauch: Was ist aus dem „1,76-Liter-Audi“ von 1989 geworden?

1989 versprach der Technikvorstand von Audi ein Auto, das „deutlich weniger als 2,5 Liter Diesel auf 100 km“ benötigt – und wollte es im Februar 1990 auf den Markt bringen. Heute liegt der Spritsparweltrekord deutlich darunter, aber nicht in einem Serienauto.
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Heute ein Oldtimer, damals eine Sensation: 1989 verbrauchte der Audi 100 auf einer Testfahrt nur 1,76 Liter pro 100 Kilometer.Foto: Gaschwald | iStock
Von 28. Mai 2024

„Wie sparsam man mit einem Dieselauto fahren kann, das hat Audi mit solch einem nicht gerade kleinen oder leichten Audi 100 bewiesen“ heißt es 1989 in einem Bericht des ZDF. Damals kehrte Audi von einer selbst – oder gerade – nach heutigen Maßstäben beeindruckenden Testfahrt zurück.

„Man fuhr von Holland, durch Belgien, Luxemburg, Frankreich, Deutschland, Österreich, Italien, Spanien und wieder Frankreich – insgesamt 4818 Kilometer weit – mit nur einer Tankfüllung. Das ergab einen Durchschnittsverbrauch von sage und schreibe 1,76 Liter. Weltrekord. Wenn es so etwas offiziell gäbe“, berichtete das ZDF.

Damit unterbot Audi seinen eigenen, „seit 1981 bestehenden Sparrekord, der von einem […] Audi 80 Diesel mit einem Verbrauch von 2,27 Litern auf 100 Kilometer gehalten wurde.“

35 Jahre später gibt es tatsächlich einen offiziellen Spritspar-Weltrekord. Diesen erzielten 2018 Studenten der Duke University (North Carolina, USA): Sie fuhren umgerechnet mit einem Liter Benzin 6.196 Kilometer. Das entspricht gerade mal 0,016 Litern pro 100 Kilometer. Damit könnten sie theoretisch mit unter sieben Litern die Welt umrunden. Die Studenten erzielten das jedoch nicht mit einem Serienfahrzeug, sondern mit einem speziell dafür entwickelten „Renn“-Auto.

Audi: „So niedrig, dass es uns niemand glauben wird.“

Jürgen Stockmar, damaliger Technikvorstand von Audi, sagte seinerseits im Interview: „Wir haben einen Vortest gemacht. Und der Vortest zeigte schon, dass wir auf einen Durchschnittsverbrauch deutlich unter 2,5 Liter kommen werden. Das war für uns so niedrig, dass wir gesagt haben, wenn nur wir von Audi diese Fahrt durchführen, wird es uns niemand glauben. Wir werden angezweifelt und haben deshalb den TÜV als Überwacher, als Bewacher und als Begutachter dieses Tests mitgenommen. Der TÜV hat bestätigt: 1,76 Liter auf 100 Kilometer, bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit, quer durch Europa, von 60,2 Stundenkilometern.“

Und dieses Auto kommt auch wirklich auf den Markt?“, fragte der Reporter.

„Da sind wir fest entschlossen, dieses Auto in den Markt zu bringen, das wird am nächsten Februar [1990] in den Markt gebracht. Wir werden wahrscheinlich Ende Januar 1990 dieses Auto den Medien vorstellen und da können sich die Vertreter der Medien noch einmal selbst ein Bild davon machen, mit welch niedrigen Verbräuchen dieser moderne Turbodiesel-Direkteinspritzer der 2. Generation zu fahren ist.“

Bei dem verwendeten Motor handelt es sich laut ZDF um einen „Turbodiesel-Motor mit Direkteinspritzung, Ladeluftkühlung und vielleicht noch Katalysator und Rußfilter“. Ja, das gab es auch damals schon.

Vorsprung durch Technik …

Betrachten wir das Ganze im Detail. Ein 1,3 Tonnen schweres Fahrzeug fährt fast 5.000 Kilometer mit nur einer Tankfüllung? Heute schafft ein sparsamer 1,3-Tonnen-Benziner etwa ein Fünftel dieser Strecke. Ein E-Auto schafft mitunter die Hälfte.

Zudem klingen 60 km/h nicht viel, doch die Audi-Techniker geben es als Durchschnittsgeschwindigkeit an. „Durchschnittlich 60 km/h“ bedeutet, dass etwa zwei Drittel der Strecke mit 80 km/h (Autobahn) und ein Drittel der Strecke mit 40 km/h (Städte und Dörfer) zurückgelegt worden sein kann. 3.600 Kilometer mit 90 km/h und 1.200 Kilometer mit 30 km/h führen zu demselben Ergebnis.

Obwohl heute kaum ein Autofahrer derart „schleicht“, stellt sich die Frage, warum die aktuellen Verbrauchswerte ungleich höher liegen. Einfach gesagt, das tun sie nicht. Diese Aussage allein ist jedoch ein Rückschritt, denn von 30 Jahren Motorentwicklung hätte man mehr erwarten können.

… Rückschritt durch Öl-Lobby?

Der Vorgänger des heutigen Audi A6 wurde – wie versprochen – ab Anfang 1990 mit einem neuen Motor angeboten. Dieser Turbodiesel verbrauchte jedoch nach offiziellen Angaben zwischen 5,3 und 7,2 Liter Diesel auf 100 Kilometer. Dieser Wert wird von vielen modernen Fahrzeugen unterboten.

Der Audi 100 C3 Sedan von 1989 galt dennoch als Meisterwerk der Ingenieurskunst, denn er wies für ein Serienauto einen erstaunlich niedrigen Luftwiderstandsbeiwert von nur 0,3 auf. Zusammen mit einer sehr sparsamen Fahrweise könnte das den Ausschlag gegeben haben für die enorme Reichweite bei der Testfahrt. Warum aber verbrauchte der 1990 vorgestellte TDI-Motor das vier- bis Fünffache des Testwagens?

Eine Theorie ist, dass Lobbyisten die Einführung dieses extrem sparsamen Motors verhindert haben – und bis heute verhindern. In einem Interview mit dem MDR klärte Stockmar 30 Jahre nach der Rekordfahrt auf. Man habe alles Menschenmögliche getan, um Diesel zu sparen:

„Das Auto hatte Reifen, die eine Vorwegnahme der sogenannten Leichtlaufreifen waren.“ Sie waren (zu) voll aufgepumpt, zudem habe man eine Strecke ohne große Steigungen gewählt und habe sogar einen Seitenspiegel abgeschraubt. Weiter sagte er:

„Wir haben geschaut, dass keine zusätzlichen elektrischen Verbraucher im Auto waren, wie Radio und Ähnliches. Wir sind tagsüber gefahren, damit wir wenig Licht gebraucht haben. Das Auto hatte keine Klimaanlage. Fahrer und TÜV-Prüfer waren der sogenannte Standardmensch: 75 Kilogramm, 1,75 Meter groß.“

Mit anderen Worten: Ja, das Testfahrzeug hat wirklich 1,76-Liter auf 100 Kilometer verbraucht; und ja, Audi hat dieses Auto wie versprochen auf den Markt gebracht; aber auch damals schon waren die 1,76 Liter nicht nur „Werksangabe“, sondern „Marketing“.

Ein Exkurs in die Geschichte und die Physik

Während sich die Motoren in den vergangenen 35 Jahren merklich entwickelt haben, bleibt die Physik unverändert. Laut Umweltbundesamt ist der Kraftstoffverbrauch zwischen 1995 und 2017 um durchschnittlich 1,4 Liter pro 100 Kilometer gesunken. Ausgehend von einem Anfangswert von 8,8 Liter entspricht das einer Senkung um 15,9 Prozent. Seit 2017 ist der Durchschnittsverbrauch trotz Elektrifizierung praktisch konstant geblieben.

Gleichzeitig wurden jedoch die Fahrzeuge immer schwerer und die Motoren entsprechend größer. Damit ist zumindest der spezifische Kraftstoffverbrauch pro Kilogramm Auto pro 100 Kilometer im selben Zeitraum gesunken.

Durchschnittlicher Kraftstoffverbrauch von Pkw und Kombi pro 100 Kilometer
Foto: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur

Das Bundesumweltamt (UBA) schrieb dazu: „Seit 1999 nimmt der Anteil an Pkw mit Dieselmotor stark zu. Diese Pkw verbrauchen bei vergleichbaren Fahrzeugparametern weniger Kraftstoff. Einer Verringerung des Kraftstoffverbrauchs stehen allerdings der Trend zu leistungsstärkeren Fahrzeugen sowie die zunehmende Ausstattung mit verbrauchserhöhenden Hilfs- und Komforteinrichtungen wie Klimaanlagen entgegen.“

Unabhängig von Technik und Vorlieben der Verbraucher hat sich die Physik des Autofahrens in den letzten 30 Jahren nicht geändert. Alle physikalischen Gesetze galten auch 1989, was uns zu einem kleinen Gedankenexperiment führt:

Was wäre, wenn … Audi heute ein „1,76-Liter-Auto“ entwickeln würde?

Der Original Turbodiesel des Audi 100 stellte aus 2,461 Liter Hubraum eine Leistung von 120 PS und 265 Nm Drehmoment bereit. Unter der Annahme, dass die Motor- und Fahrzeugentwicklung heute besser ist als vor 35 Jahren, gehen wir davon aus, dass den Ingenieuren von Audi dieselben Fortschritte gelungen wären, die das UBA aufzeigt. Mehrleistung der modernen Motoren sollen sich mit der Gewichtszunahme der Fahrzeuge ausgleichen.

Durch die weitere Verbesserung des Luftwiderstandsbeiwerts dürfte der moderne Audi A6 nicht nur die vom UBA bezifferten knapp 16 Prozent, sondern eher 20 Prozent weniger Diesel als das Testfahrzeug von 1989 verbrauchen. Das wären 1,4 Liter auf 100 Kilometer. Stattdessen verbraucht der A6 jedoch mindestens 4,0 Liter – bei geringerem Hubraum. Wo bleibt der Vorsprung durch Technik, den Audi vor 30 Jahren hatte?

Auch wenn wir argumentieren, dass heute niemand lange Strecken mit durchschnittlich 60 km/h fährt, müsste ein moderner Audi 100 weniger verbrauchen. Etwas. Da der Luftwiderstand quadratisch zur Geschwindigkeit steigt, erhöhen sich auch die benötigte Leistung und der Spritverbrauch (annähernd) im gleichen Verhältnis.

Bei einer Steigerung der Durchschnittsgeschwindigkeit auf 90 km/h (jeweils die Hälfte der Fahrtzeit mit 130 und 50 km/h, Faktor 1,5) steigt der Verbrauch damit rechnerisch um das 2,25-Fache auf 3,15 Liter pro 100 Kilometer. Das sparsamste Serienauto, der Honda Civic Tourer, schaffte es 2015 mit einem deutlich kleineren Motor immerhin auf 2,82 Liter pro 100 Kilometer.

Wer sich bemüht und die Geschwindigkeit auf das Niveau von 1989 reduziert, kann damit auch heute mit unter 2,5 Liter pro 100 Kilometer fahren – auf leeren Straßen und ohne Steigungen. Der Vorsprung durch Technik ist also nicht verschwunden, sondern unserer schnelllebigen Welt voller großer, schwerer Autos zum Opfer gefallen.



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