Digitalisierung ist schlecht für die Bildung – Norwegische Hirnforscher belegen positive Effekte von Schreiben mit der Hand

Tippen, Klicken und Fernsehen nehmen immer mehr Zeit in Anspruch – sehr zur Sorge von Hirnforschern auch bei Kindern. Ihre Studie belegt erneut, dass das Schreiben mit der Hand hilft, mehr zu lernen und sich besser zu erinnern. Trotzdem werden die Schulen immer mehr digitalisiert ...
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Schreiben mit der Hand hilft, besser zu lernen und sich besser zu erinnern.Foto: Jan Woitas/dpa
Von 9. Oktober 2020

Hand aufs Herz: Wer hat in der Schule Spickzettel geschrieben? – Schämen Sie sich nicht, das bloße Schreiben ist keine Straftat. Im Gegenteil … Komischerweise brauchte man die Spicker nie einsetzen, denn alles, was man vorher – per Hand – aufgeschrieben hatte, wusste man auf magische Weise auch während der Leistungskontrolle, oder?

In der Tat haben norwegische Hirnforscher nun bestätigt, was jeder Spickzettel-Schreiber intuitiv wusste: Per Hand schreiben macht intelligent. In ihrer Ende Juli in „Frontiers in Psychology“ veröffentlichten Studie zeigen die Forscher um Prof. Audrey van der Meer von der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (NTNU) in Trondheim, dass das Schreiben mit der Hand den Menschen hilft, sich besser zu erinnern und mehr zu lernen. – Das funktioniert übrigens auch mit selbst geschriebenen Einkaufszetteln.

Je mehr Anhaltspunkte, desto besser der Lerneffekt

Ergebnisse aus mehreren Studien haben gezeigt, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene mehr lernen und sich besser erinnern, wenn sie mit der Hand schreiben. Nun bestätigt eine weitere Studie das Gleiche: Schreiben mit der Hand führt zu den besten Lern- und Gedächtnisleistungen.

Van der Meer und ihre Kollegen haben dies mehrfach untersucht, zuerst 2017 und jetzt im Jahr 2020. Während in der ersten Studie 20 Studenten teilnahmen, analysierten die Forscher 2020 die Hirnaktivität von zwölf jungen Erwachsenen und zwölf Kindern. Dies sei das erste Mal, dass Kinder an einer solchen Studie teilgenommen haben, so die Hirnforscher. Jede Untersuchung dauerte 45 Minuten pro Person, die Wissenschaftler erhielten 500 Datenpunkte pro Sekunde.

In beiden Studien griff Van der Meer auf ein EEG zurück, um die Hirnwellenaktivität zu verfolgen und aufzuzeichnen. Dafür trugen die Teilnehmer eine Kapuze mit über 250 angebrachten Elektroden. Die Sensoren sind sehr empfindlich, sie nehmen die elektrische Aktivität auf, die im Gehirn stattfindet, wenn es aktiv ist. Die Ergebnisse zeigten, dass das Gehirn sowohl bei jungen Erwachsenen als auch bei Kindern beim Schreiben mit der Hand viel aktiver ist als beim Tippen auf einer Tastatur. Mit anderen Worten:

Die Verwendung von Stift und Papier gibt dem Gehirn mehr ‚Haken‘, an die man seine Erinnerungen hängen kann“, erklärte Van der Meer. „Das Schreiben mit der Hand erzeugt viel mehr Aktivität in den sensomotorischen Teilen des Gehirns. Viele Sinne werden aktiviert, wenn man mit dem Stift auf Papier drückt, die Buchstaben sieht, die man schreibt, und das Geräusch hört, das man beim Schreiben macht. Diese Sinneserfahrungen schaffen Kontakt zwischen verschiedenen Teilen des Gehirns und öffnen das Gehirn für das Lernen. Wir lernen besser und erinnern uns besser.“

Digitalisierung, aber …

Die Realität sieht jedoch so aus, dass Tippen, Klicken und Wischen einen großen Teil des Alltags von Kindern und Jugendlichen ausmachen. Neben ihrer Freizeit, die die Kinder zusehends vor dem Bildschirm verbringen, werde dies nun durch das digitale Lernen in den Schulen noch verstärkt.

Jüngste Umfragen in 19 EU-Ländern zeigen, dass norwegische Kinder im Alter von 9 bis 16 Jahren täglich fast vier Stunden online verbringen. Das ist doppelt so viel wie 2010. Das Smartphone ist ein ständiger Begleiter, dicht gefolgt von PCs und Tablets. Obwohl das digitale Lernen viele positive Aspekte habe, drängt Van der Meer auf ein Handschriftentraining.

Ihre eigenen und die Studien anderer betonen, wie wichtig es ist, Kinder schon in jungen Jahren, insbesondere in der Schule, zum Zeichnen und Schreiben anzuregen. „Wenn man seine Einkaufsliste oder Vorlesungsnotizen von Hand schreibt, erinnert man sich hinterher einfach besser an den Inhalt“, sagt Van der Meer und verrät damit kein Geheimnis. Stattdessen schreitet die Digitalisierung an Schulen – nicht nur in Norwegen – immer weiter voran.

„Zumindest ein Minimum an Handschrift-Training“

„Einige Schulen in Norwegen sind vollständig digitalisiert worden und überspringen das Handschriftentraining ganz. Finnische Schulen sind sogar noch stärker digitalisiert als in Norwegen. Nur sehr wenige Schulen bieten überhaupt eine Handschriftausbildung an“, sagt Van der Meer.

„Angesichts der Entwicklung der letzten Jahre riskieren wir, dass eine oder mehrere Generationen die Fähigkeit zum handschriftlichen Schreiben verlieren. Unsere Untersuchungen […] zeigen, dass dies eine sehr unglückliche Folge der zunehmenden digitalen Aktivität wäre“, sagte Van der Meer. Diesbezüglich sieht die Professorin das Bildungssystem in der Pflicht sicherzustellen, dass Kinder „zumindest ein Minimum an Handschrifttraining“ erhalten.

Sie selbst würde jederzeit zu Stift und Papier greifen. „Ich würde eine Tastatur benutzen, um einen Aufsatz zu schreiben, aber während einer Vorlesung würde ich von Hand Notizen machen“, sagte Van der Meer.

Das wirkliche Leben spielt sich nicht hinterm Bildschirm ab

In der Debatte über die Verwendung von Handschrift oder Tastatur in der Schule glauben einige Lehrer, dass Tastaturen weniger Frustration bei Kindern auslösen. Sie weisen darauf hin, dass Kinder längere Texte früher schreiben können und motivierter zum Schreiben sind, weil sie eine bessere Beherrschung der Tastatur erfahren.

„Es ist etwas langsamer, mit der Hand zu schreiben, aber es ist wichtig, dass die Kinder die anstrengende Phase des Schreiben-Lernens durchlaufen“, sagte Van der Meer. Von Hand geschriebene – oder gezeichnete – Notizen erleichtern es dem Gehirn, Zusammenhänge zu erkennen, wobei Pfeile, Kästchen und Schlüsselwörter ein ganzheitliches Verständnis erleichtern. Weiter erklärte sie:

Die komplizierten Handbewegungen und das Formen von Buchstaben sind in mehrfacher Hinsicht vorteilhaft. Wenn Sie eine Tastatur benutzen, verwenden Sie für jeden Buchstaben die gleiche Bewegung. Das Schreiben mit der Hand erfordert die Kontrolle der Feinmotorik und der Sinne. Es ist wichtig, das Gehirn so oft wie möglich in einen Lernzustand zu versetzen.

Das Gehirn habe sich über Tausende von Jahren entwickelt. Es [ist] in der Lage, Maßnahmen zu ergreifen und angemessenes Verhalten zu steuern, erklärte Van der Meer. „Damit sich das Gehirn bestmöglich entwickeln kann, müssen wir es für das nutzen, was es am besten kann. Wir müssen ein authentisches Leben führen. Wir müssen alle unsere Sinne einsetzen, draußen sein, jedes Wetter erleben und andere Menschen treffen. Wenn wir unser Gehirn nicht herausfordern, kann es sein volles Potenzial nicht ausschöpfen. Und das kann sich auf die schulischen Leistungen auswirken.“

(Mit Material der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (NTNU))



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