Haben Smartphones unsere Gesprächskultur zerstört?

Smartphones sind aus der heutigen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Sie beeinflussen das menschliche Leben enorm zum Guten, wie zum Schlechten. Besonders auf das Führen von Gesprächen scheint es einen negativen Effekt zu haben – und somit auf Freunde und Familie.
Smartphones haben unsere Unterhaltungen verändert
Die traditionelle Konversation weicht im Zeitalter der Digitalisierung immer mehr der distanzierten Kommunikation.Foto: zGel/iStock
Von 3. Juli 2024

Es war einmal eine Zeit, in der sich menschliche Beziehungen ohne Smartphones abspielten. Es mag schwer sein, sich an diese vergangene Realität zu erinnern, so tiefgreifend haben diese Geräte die Art und Weise, mit der wir in den vergangenen fünfzehn Jahren mit der Welt und anderen Menschen in Beziehung getreten sind, verändert.

Als Anthropologe, der sich für die Moderne interessiert, beschäftigten mich insbesondere die Auswirkungen dieser Geräte auf unsere Gespräche. In meinem Buch untersuche ich die schädlichen Auswirkungen dieser Technologie auf unser soziales Gefüge und unterscheide dabei zwischen Konversation und Kommunikation.

Kommunikation ist nicht Konversation

Wenn ich kommuniziere, wird meine Beziehung zu einem anderen normalerweise über einen Bildschirm vermittelt. Kommunikation ruft Vorstellungen von Distanz, physischer Abwesenheit und damit auch von erschöpfter Aufmerksamkeit wach. Das Zeitalter der Kommunikation ruft das Gefühl hervor, dass alles zu schnell geht und wir keine Zeit mehr für uns haben. Die nächste Benachrichtigung, Nachricht oder der nächste Anruf sind immer nur einen Augenblick entfernt und halten uns in einem Zustand rastloser Wachsamkeit.

Konversationen hingegen, also Gespräche, sind oft frei. Man plaudert bei einem Spaziergang oder einem Treffen mit einer neuen Person und teilt die Worte wie das Brot, das man bricht. Während die Kommunikation ohne Körper auskommt, erfordert das Gespräch die gegenseitige Präsenz, die Aufmerksamkeit für das Gesicht des anderen, seine Mimik und seinen Blick. Ein Gespräch nimmt gern die Stille, die Pausen und den Rhythmus des anderen in Kauf.

Während die Kommunikation ohne Körper auskommt, erfordert das Gespräch die gegenseitige Präsenz, die Aufmerksamkeit für das Gesicht des anderen, seine Mimik und seinen Blick. Foto: Choreograph/iStock

Dies steht im Gegensatz zur Kommunikation, bei der jede Unterbrechung eine reflexartige Reaktion hervorruft: „Wir sind unterbrochen worden“, „Bist du noch da?“, „Ich kann Sie nicht hören“ oder „Ich rufe Sie zurück“.

Im Gespräch ist das kein Problem, denn das Gesicht des anderen ist nie verschwunden. Außerdem ist es möglich, in Freundschaft zu schweigen, um einen Zweifel oder einen Gedanken zu äußern. Das Schweigen im Verlauf eines Gesprächs lässt uns atmen, während wir es im Bereich der Kommunikation mit Worten wie Abbruch oder Zusammenbruch bezeichnen würden.

Smartphones trennen Menschen – ein Beispiel aus Taiwan

Vor einigen Monaten war ich in Taipeh, Taiwan, in einem beliebten Restaurant, als sich ein Dutzend Personen aus derselben Familie an einen Tisch in der Nähe setzten. Die Jüngsten waren zwei oder drei Jahre alt, während die Ältesten über 60 waren.

Zwischen dem Blick auf die Speisekarte und dem Bestellen ihres Essens richteten sich ihre Augen schnell auf ihre Smartphones. Später aßen sie – kaum ein Wort sagend – mit ihren Smartphones in der Hand. Die einzige Ausnahme war die gelegentliche Anspannung zwischen zwei der Kinder, die wohl vier oder fünf Jahre alt waren. Sie blieben eine gute Stunde lang und tauschten kaum mehr als ein paar Sätze aus, ohne sich wirklich anzuschauen.

Diese Szene hätte sich auch in Straßburg, Rom und New York – oder in jeder anderen Stadt der Welt – abspielen können. Heute ist sie alltäglich. Man muss nur zufällig in ein Café oder Restaurant gehen, um die gleiche Situation zu erleben.

Smartphones statt echte Gespräche mit den Mitmenschen

Ein heute alltägliches Bild: Statt mit ihren Mitmenschen ein Gespräch zu führen, sind viele mit ihren Handys beschäftigt. Foto: fizkes/iStock

Die alten familiären oder freundschaftlichen Begegnungen verschwinden allmählich und werden durch diese neuen Verhaltensweisen ersetzt. Zwar kommen wir immer noch zusammen, sind aber durch die Bildschirme voneinander getrennt. Gelegentlich werden ein paar Worte gewechselt, bevor wir uns wieder zu unseren Bildschirmen zurückziehen.

Welchen Sinn hat es, sich mit anderen zu beschäftigen, wenn eine Welt der Unterhaltung sofort zugänglich ist, in der wir uns nicht mehr um die Pflege von Beziehungen bemühen müssen? Das Gespräch wird überflüssig, nutzlos und langweilig, während der Bildschirm eine schöne Flucht ist, die nicht enttäuscht und die Zeit angenehm vertreibt.

Von Smombies bevölkerte Städte

Das massive Verschwinden von Gesprächen – auch mit sich selbst – spiegelt sich in der Tatsache wider, dass die Städte heute menschenleer sind und man niemanden mehr trifft. Stattdessen sind die Bürgersteige voller sogenannter Smombies – also Menschen, die wie hypnotisiert von ihren Smartphones herumlaufen.

Mit gesenktem Blick nehmen sie nichts von dem wahr, was um sie herum geschieht. Wenn sie versuchen, den Weg zu finden, bitten sie nicht um Hilfe. Einige tragen Kopfhörer, führen Selbstgespräche und zeigen eine offensichtliche Gleichgültigkeit.

Smombies sind Menschen, die wie hypnotisiert von ihren Smartphones herumlaufen

Mit gesenktem, auf das Smartphone gerichtetem Blick nehmen viele Menschen nichts von ihrer Umwelt wahr. Foto: YurolaitsAlbert/iStock

Manchmal wird die Kommunikation im öffentlichen Raum erzwungen. Diejenigen, die es nicht wagen, zu protestieren oder woanders hinzugehen, werden von den Worten einer Person bedrängt, die sich auf ihre Bank oder an ihren Tisch gesetzt hat, um ein lautes Gespräch zu beginnen. Eine weitere, immer häufiger anzutreffende Praxis der Smombies ist das Anschauen von Videos ohne Kopfhörer oder das Einschalten des Lautsprechers, um die Stimme des Gesprächspartners besser zu hören.

Verbindung zwischen Smartphones und Ängsten

Eine weitere Form der Unhöflichkeit, die sich eingebürgert hat, sind durch Smartphones unterbrochene Gespräche. Aus Angst, etwas zu verpassen – englisch: Fear Of Missing Out –, gibt es Menschen, die nicht aufhören können, alle dreißig Sekunden ihr Smartphone aus der Tasche zu ziehen. Teenager sind besonders anfällig für das sogenannte FOMO-Fieber. Hinzu kommt bei ihnen oft das hektische Suchen nach dem Smartphone in der Tasche, wenn sie es nicht gerade in der Hand halten.

Auch wenn es neben einem auf dem Tisch liegt, übt das Smartphone erfahrungsgemäß eine Anziehungskraft aus, der man sich nur schwer entziehen kann. Es ist manchmal eine regelrechte Art von Sehnsucht nach dem Gerät.

Smartphones üben eine regelrechte Anziehungskraft aus

Smartphones üben eine Anziehungskraft aus, der sich viele Menschen nur schwer entziehen können. Foto: Pheelings Media/iStock

Für diese Nutzer sind Beziehungen aus der Ferne – ohne Körper – weniger unvorhersehbar und frustrierend, da sie nur die Oberfläche des eigenen Ichs fordern. Sie führen zu Beziehungen, die dem Wunsch entsprechen und allein auf einer persönlichen Entscheidung beruhen.

Angst vor einem Übergreifen gibt es nicht, denn die Diskussion kann unter dem Vorwand von Netzproblemen unterbrochen werden. Persönliche Interaktionen sind unsicherer, verletzen oder enttäuschen eher. Aber je mehr wir kommunizieren, desto weniger treffen wir uns, und desto mehr verschwindet das Gespräch aus dem Alltag.

Wachsendes Gefühl der Isolation

Die digitale Gesellschaft, die durch Lockdowns und Ähnliches noch gefördert wurde, hat nicht die gleiche Dimension wie die direkte Geselligkeit von Menschen, die sich begegnen, miteinander reden und einander zuhören. Sie zersplittert die sozialen Bindungen, indem sie die alten Verbindungen zugunsten der abstrakten und oft anonymen sozialen Netze zerstört.

Paradoxerweise sehen manche Menschen darin eine Quelle der Verbundenheit in einer Zeit, in der die Isolation des Einzelnen noch nie so groß war. Noch nie hat die Lebensmüdigkeit von Jugendlichen und älteren Menschen ein solches Ausmaß erreicht. Die häufige Nutzung mehrerer sozialer Medien oder die Zurschaustellung des eigenen Privatlebens in einem sozialen Netzwerk schafft weder Intimität noch Verbindungen im realen Leben. Hunderte von „Freunden“ in sozialen Netzwerken sind nichts im Vergleich zu einem oder zwei Freunden im Alltag.

Die digitale Gesellschaft nimmt Zeit in Anspruch und bietet eine Möglichkeit, all dem zu entfliehen, was uns im Alltag stört, aber sie gibt uns keinen Grund zum Leben. Natürlich gibt es Menschen, die in ihrer Isolation eine Verbindung finden, aber ist die Isolation nicht auch eine Folge der Tatsache, dass wir uns nicht mehr im wirklichen Leben treffen?

Es entstehen neue Ausdrucksformen, die für viele unserer Zeitgenossen selbstverständlich geworden sind – nicht nur für diejenigen, die mit digitaler Technik aufgewachsen sind. Weltweit löst die Kommunikation das Gespräch ab, das zu einem Anachronismus geworden ist, aber nicht ohne erhebliche Auswirkungen auf die Qualität der sozialen Bindungen und möglicherweise auf das Funktionieren unserer Gesellschaften.

Über den Autor:

David Le Breton ist Professor für Soziologie und Anthropologie an der Universität Straßburg, Frankreich. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Darstellung des menschlichen Körpers und die Analyse von Risikoverhalten. Darüber hinaus hat er über Schmerz, Schweigen und das Gesicht gearbeitet. Außerdem ist er ein erfolgreicher Autor und hat bereits 30 Bücher geschrieben, unter anderem „Lust am Risiko“, „Schmerz. Eine Kulturgeschichte“ und „Lob des Gehens“. Sein jüngstes Buch „La fin de la conversation? La parole dans une société spectrale“ (Das Ende der Konversation? Die Sprache in einer spektralen Gesellschaft) erschien Ende Mai im Verlag Métailié.

Dieser Artikel erschien im Original auf theconversation.com unter dem Titel „Have smartphones killed the art of conversation?“. (Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Autors. Redaktionelle Bearbeitung ger)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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