Falsche Identitäten – wenn soziale Medien unser Leben bestimmen
Kennen Sie ihr wahres „Ich“ überhaupt noch? Oder nur noch das selbsterschaffene Bildnis, das Sie gerne in der Öffentlichkeit verteilen wollen?
Während eines Besuches mit einer Freundin und ihrer Tochter im Museum of Modern Art, war ich überrascht, wie oft die 13-jährige Tochter meiner Freundin uns bat, vor dem Kunstwerk Fotos von ihr zu knipsen. Wir schlängelten uns regelrecht von einem Kunstwerk zum nächsten, hielten an, und mussten sie fotografieren.
Mit geneigtem Kopf betrachtete sie nachdenklich die Bilder von sich, und wählte die besten aus. Natürlich nur die, auf denen sie sich als „hübsch“ empfand, die sie dann fieberhaft auf Instagram, Snapchat und all den anderen Sozialen Netzwerken postete. Sie war nicht die einzige Person, die das tat. Es schien mir so, als ob jeder damit beschäftigt war, Fotos von sich selbst zu knipsen, um sich dann in den sozialen Netzwerken interessant zu machen. Und dieses Phänomen war in jeder Generation vertreten.
Dies ist keineswegs eine Kritik an der Tochter meiner Freundin (oder irgendjemand anderem). Was für mich einfach beunruhigend wurde, war die Tatsache, dass die Tochter meiner Freundin kein Interesse an dem Kunstwerk an sich zeigte. Sie war nur damit beschäftigt, Bilder von sich zu machen und zu posten, die den Anschein erweckten, als hätte sie Interesse. Sie tat so, als würde sie genießen, was sie sah. Dem war aber nicht so. Sie würdigte all die berühmten Kunstwerken, die so viel mehr Wert besaßen als ihre Fotos, keines Blickes. Das beunruhigte mich zusehends.
Das einzige Mal, dass sie sich ein Kunstwerk tatsächlich anschaute, war, als wir sie fotografierten, wie sie es betrachtete. Aber sie schaute das Bild so an, dass mir sofort klar wurde, dass sie die Kunst nicht zu erfassen schien. Als ich sie fragte, warum sie Fotos von sich aus dem Museum posten wollte, lächelte sie, zuckte mit den Schultern und bat mich, ein weiteres Foto zu machen. Ich bekam nicht einmal den Eindruck vermittelt, als wäre sie wirklich gerne dort.
Als ich in ihrem Alter war, hatte ich auch kein Interesse daran, ins Museen zu gehen. Von den Lehrern wurden wir gezwungen dorthin zu gehen und ich konnte es kaum erwarten, das Gebäude wieder zu verlassen. Kein Interesse an Kunst ist in dem Alter völlig normal und nicht störend. Aber es ist beunruhigend, wie viel von der Energie eines jungen Menschen nur dazu verwendet wird, ein falsches Bild von dem Leben, das sie nur scheinbar leben, und dem erfundenen Charakter, den sie in diesem Leben spielen wollen, zu kreieren.
Falsche Identität
Während das Erstellen eines Selbstbildes schon immer ein großer Teil des Erwachsenwerdens und der Identitätsfindung war, scheinen soziale Medien die Spielregeln verändert zu haben. Soziale Medien haben nicht nur den Druck und die Möglichkeit verstärkt, ein selbst erzeugtes Selbstbild zu erschaffen, sondern auch den Prozess verzerrt, durch den wir zu dem werden, was wir dann scheinbar sind.
Junge Menschen scheinen jetzt ein Bild von sich zu machen, wer sie gerne sein würden, anstatt zu dem zu werden, der sie vielleicht wirklich sind. Sie veröffentlichen ihr Leben, anstatt es zu leben. Die Anstrengung, die darin besteht, eine Identität zu schaffen und sie dann aber zu „befolgen“, hat die Anstrengung ersetzt, sich tatsächlich für das Leben zu interessieren, das sie umgibt.
Soziale Medien haben das Leben und seine Erfahrungen zu einer Übung des Narzissmus gemacht. Egal, worum es in der Erfahrung geht, es geht um Sie, die erschaffene Person, die Sie vorgeben zu sein. Bei einem Konzert geht es nicht um die Musik, in einem Restaurant geht es nicht um das Essen, in einer Sportveranstaltung geht es nicht um den Sport; Es dreht sich alles nur um Sie und den Machern, die das fördern, und was das selbsterschaffen neue Profil über Sie aussagt.
Lebenserfahrungen werden nicht direkt gelebt. Spontane Gelegenheiten werden nicht genutzt, um sich weiterzuentwickeln. Das Leben ist jetzt ein Produkt geworden, durch das man sein gewünschtes Image fördern kann. Es ist letztendlich egal, ob dieses Image genau das Innere widerspiegelt.
Diese Beziehungen zu sozialen Medien ist eine der beunruhigendsten Veränderungen, die wir angesichts neuer Technologien durchmachen. Es scheint, dass unsere Erfahrungen jetzt nur einen Sinn haben: wenn alle davon wissen und sie etwas über uns aussagen, was wir aber inhaltlich steuern können. Und es ist ein zweischneidiges Schwert: Wenn wir uns von unserem wahren Leben trennen, wird es immer schwieriger werden, das eigene Leben mit seiner wahren Bedeutung zu finden.
Je mehr wir das Leben nutzen, um eine falsche Identität zu schaffen, desto mehr trennen wir uns vom eigentlichen Leben. Anstatt Teil davon zu sein, und im Fluss des Lebens zu sein, fühlen wir uns permanent so, als müssten wir weiterhin neues „Lebensmaterial“ erfinden und erzeugen, dass uns letztlich unsere Existenz beweisen wird. In der Zwischenzeit wird die Kluft zwischen uns und dem Leben immer größer.
Hier ist ein Vorschlag: Wenn Sie das nächste Mal dazu neigen, Ihre Geschichte zu posten, halten Sie einen Moment inne und erleben Sie stattdessen, wo Sie gerade sind. Fühlen Sie, wie es sich anfühlt zu leben, ohne es gleich zu veröffentlichen? Muss es wirklich jeder wissen? Auch wenn dies den Eindruck erwecken könnte, dass Sie dadurch eine Gelegenheit verpassen könnten, Ihren Wert zu ermitteln, werden die Vorteile, die es Ihrem wahren Selbst bieten kann, die erlittenen Verluste bei weitem überwiegen.
In diesem Sinne, bleiben Sie sich doch einfach treu.
Nancy Colier ist Psychotherapeutin, interreligiöse Pfarrerin, Autorin, Rednerin, Workshopleiterin und Autorin mehrerer Bücher über Achtsamkeit und persönliches Wachstum. Sie steht für individuelle Psychotherapie, Achtsamkeitstraining, spirituelle Beratung, öffentliche Vorträge und Workshops zur Verfügung und arbeitet auch mit Kunden über Skype auf der ganzen Welt zusammen.
(Übersetzt und bearbeitet: Jacqueline Roussety)
Quelle: When Posting Online Becomes Our Lives
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