Ode an das Unbehagliche
Wir haben in unserer heutigen Zeit eine neue Art von Allergie entwickelt, eine Allergie gegen eine bestimmte Erfahrung, nämlich die des emotionalen Unbehagens.
Es scheint, dass wir nicht mehr bereit – oder in der Lage – sind, etwas Unbehagliches zu ertragen. Mehr noch, wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass wir keine Art von emotionalem Unwohlsein tolerieren sollten. Jede Situation, die möglicherweise unangenehme Gefühle auslösen könnte, wird jetzt als überfordernd, unnatürlich und verbesserungsbedürftig angesehen.
Wir sprechen über Unbehagen, als ob es von Natur aus ungerecht, grausam und unerträglich wäre. Je mehr wir versuchen, uns vor Unbehagen zu schützen, desto mehr verstärken wir den (falschen) Glauben, dass wir es nicht ertragen können. Infolgedessen sind wir weniger in der Lage, damit umzugehen.
Im Blickpunkt
Was also ist Unbehagen – diese Erfahrung, die wir heutzutage als so beängstigend und inakzeptabel empfinden?
Sich unwohl zu fühlen, bedeutet, dass man sich unbehaglich, unbequem und buchstäblich ohne Komfort fühlt. Wenn wir aus unserer Komfortzone gedrängt werden, uns alles andere als glücklich fühlen oder Anstrengungen unternehmen müssen, um uns einigermaßen wohl zu fühlen, denken wir, dass etwas nicht stimmt. Wir gehen davon aus, dass unser Unbehagen ein Zeichen dafür ist, dass uns Unrecht getan wurde und jemand anderes schuld daran ist. Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass jede Situation, in der wir Unsicherheit, Unstimmigkeiten oder Unbehagen empfinden, sofort behoben werden muss, damit wir diese Gefühle nie wieder erleben müssen.
Aber hier liegt das Problem: Wir müssen in der Lage sein, Unbehaglichkeit zu ertragen. Unbehagen ist eine der wichtigsten Erfahrungen, die wir als Menschen machen. Indem wir Situationen, in denen wir uns unwohl fühlen, vermeiden und korrigieren, beheben wir einen Zustand, der zwar vielleicht nicht einfach oder angenehm, aber für unser Wohlbefinden unerlässlich ist. Warum?
Um es ganz einfach zu sagen: Das Leben ist unangenehm. Wenn wir diese einfache Tatsache ablehnen, schaffen wir eine unmögliche Erwartungshaltung, wodurch wir uns noch viel unangenehmer fühlen.
Emotionale Widerstandsfähigkeit
In Wahrheit können wir das Unwohlsein überwinden. Wir können Unbehagen nicht nur überwinden, sondern es kann uns auch schon gut gehen, während wir mittendrin sind. Je mehr wir uns an das Unbehagen gewöhnen – und ich wage, zu behaupten, uns gar damit anfreunden –, desto weniger wird es uns einschränken. Darüber hinaus werden wir immer geschickter darin, damit umzugehen.
Der Versuch, das Unbehagen verschwinden zu lassen, ein Leben zu schaffen, in dem es nie zu Unannehmlichkeiten kommt, zerstört in Wirklichkeit unsere emotionale Widerstandsfähigkeit. Er lässt die Fähigkeit, uns an schwierige Situationen anzupassen, verkümmern. Eine solche Situation schwächt auch unser Selbstvertrauen und unsere Überzeugung, dass wir mit schwierigen Gefühlen umgehen können und dass solche Erfahrungen nur vorübergehend sind.
Wir müssen in der Lage sein, mit emotionalem Unbehagen umgehen zu können, gerade weil die Erfahrung von Unbehagen nie verschwinden wird. In der Tat ist Unbehagen ein wesentlicher Bestandteil der sinnvollsten und lohnendsten Erlebnisse im Leben. Das Erlernen einer neuen Fertigkeit, Verbesserungen in geistiger oder körperlicher Hinsicht, der Einsatz für eine bessere Welt – praktisch alle Bemühungen, die neue Herausforderungen mit sich bringen, sind mit Unbehagen verbunden.
Anstatt zu versuchen, unangenehmen Erlebnissen auszuweichen, anstatt diese unvermeidliche menschliche Erfahrung als Problem zu behandeln, sollten wir lieber lernen, uns mit den Unannehmlichkeiten anzufreunden, um geduldig und besonnen zu handeln.
Letztlich ist das Gefühl des Unwohlseins eine Gelegenheit, zu wachsen und sich zu entwickeln, sich zu verändern und widerstandsfähiger und stärker zu werden.
Unbehagen ist nicht unser Feind. Wir sind viel stärker, als wir uns selbst zutrauen. Und Unannehmlichkeiten machen uns noch stärker. Wenn wir in dieser Welt leben wollen, selbst wenn wir nie das Haus verlassen, müssen wir in der Lage sein, uns unangenehmen Gefühlen zu stellen. Wenn Sie sich das nächste Mal unwohl fühlen oder sich in eine Situation begeben, die Unbehagen auslösen könnte, denken Sie daran, sich darauf einzulassen und sich vielleicht sogar darauf zu freuen. Betrachten Sie die Erfahrung als eine Herausforderung, die Sie tolerieren können, ohne sie ändern oder verbessern zu müssen.
Je mehr Sie mit und in Ihrem Unbehagen leben können, desto besser sind Sie darauf vorbereitet, als Teil dieser menschlichen (und unbehaglichen) Welt zu leben.
Nancy Colier ist Psychotherapeutin, interreligiöse Seelsorgerin, Autorin, Referentin und Verfasserin mehrerer Bücher über Achtsamkeit und persönliches Wachstum.
Der Artikel erschien zuerst in The Epoch Times USA: https://www.theepochtimes.com/an-ode-to-feeling-uncomfortable_4384485.html
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