Mit dem Elektrovelo durch das Tessin
Die Anfahrt mit der Bahn hat gleich mehrere Vorteile: Man muss nicht – wie mit dem Auto – eine Rundfahrt planen und die gleiche Strecke hin- und wieder zurückradeln. Man kann sein eigenes Rad mitnehmen oder vor Ort ein gut gewartetes Velo für ein paar Tage mieten.
Von Basel geht es über gut drei Stunden Bahnfahrt nach Airolo, einem verschlafenen Bergort am südlichen Fuß des Gotthardpasses. In der Schweiz sind die Züge im Gegensatz zu Deutschland immer superpünktlich, sehr gepflegt und meist ziemlich leer. In der Bar gegenüber dem Bahnhof gibt es erst einmal einen Espresso, der eine Qualität wie in Italien hat – kein Wunder, hier spricht man auch italienisch, die Grenze ist nur rund 15 Kilometer Luftlinie entfernt. Viele Läden des kleinen Ortes stehen leer, wirtschaftlich muss es hier schon einmal besser ausgesehen haben.
Das erste Hotel ist auf Radfahrer spezialisiert – es ist das Bed and Bike Tromola San Gottardo, gelegen in einem Altbau in der Dorfmitte, mit hohem kulinarischen Anspruch. Für die Räder gibt es einen ebenerdigen Abstellraum. Zur Eingewöhnung am ersten Tag ist ein Tagestrip nach All Aqua und zurück nach Airolo geplant. Die wenig befahrene Landstraße zieht sich immer am Flüsschen Ticino entlang. Rechts und links kommen kleine Wasserfälle ins Blickfeld, dazu aus Holz erbaute Chalets und Bauernhöfe. Im Hintergrund Gipfel wie der Pizzo Rotondo (3.192 Meter) oder der Poncione di Valleggia (2.873 Meter). Wahrhaft märchenhafte Kulisse für Radler-Fotos!
Man schraubt sich langsam, aber stetig in die Höhe, dank des Hilfsantriebs geht es trotzdem mit rund 20 km/h hinauf. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Vorteil des Radfahrens in der Schweiz zeigt sich im Nachfüllen der Trinkflasche mit Wasser: gefühlt alle ein bis zwei Kilometer wartet ein Brunnen, aus dem sauberes, erfrischendes Quellwasser sprudelt. Eigentlich kann man fast auf die obligatorische Wasserflasche verzichten, so dicht ist das Brunnennetz im Tessin. Und nirgends steht ein Schild „Kein Trinkwasser“ – Brunnen in der Schweiz haben selbstredend immer Trinkwasser. Am Ristorante All’Acqua eine kleine Pause, und die Radler freuen sich auf den Heimweg nach Airolo. Denn nun geht es ausschließlich rund 13 Kilometer lang abwärts. Treten ist praktisch nicht mehr nötig.
Für den nächsten Tag ist eine Route von Airolo nach Malvaglia geplant, rund 55 Kilometer. Bis nach Biasca geht es hier wieder entlang des Ticino, nur abwärts. Damit es nicht zu entspannt wird, kann man hinter Lavorgo eine kleine Bergetappe einlegen und einen Umweg mit Serpentinen über das Bergdorf Anzonico fahren. Ein Muss ist eine Pause in Faido, am Wasserfall des Piumogna. Man muss sich nicht einmal darunter stellen, allein der Anblick des türkisen Wasserfalles, der über 40 Meter hoch ist, erfrischt an heißen Sommertagen. Wenn man auf der rechten Seite des Ticino radelt, braucht man nicht auf der relativ stark befahrenen Bundesstraße zu fahren, sondern auf Kieswegen.
Einen weiteren Halt sollte man im Dorf Giornico einlegen, einem Dorf mit sieben Kirchen und das bei weniger als 1.000 Einwohnern! Am schönsten ist die Kirche San Nicolao, die tagsüber offen steht und drinnen ziemlich dunkel ist. Für einen Franken kann man jedoch die Beleuchtung aktivieren und die Kapitelle anschauen, die mit Tierplastiken verziert sind, die noch aus dem Jahr 1120 stammen!
Auch zwei romanische Steinbrücken, mindestens 600 Jahre alt, stehen noch und sind sogar befahrbar!
Im Ort Biasca fließt der Brenno in den Ticino, hier beginnt das Bleniotal. Entlang dieses Baches geht es leicht bergauf bis nach Malvaglia, wo die in der Schweiz berühmte Köchin Meret Bissegger Radfreunden Gästezimmer in einer alten Villa anbietet. Bissegger war die erste Köchin in der Schweiz, die auf Bio-Produkte setzt. Von ihr stammt das Buch „Meine wilde Pflanzenküche“, das mittlerweile als Klassiker gilt. Der Garten um das Haus ist üppig mit essbaren Kräutern bestückt, die Bissegger gerne erklärt. Von Malvaglia führt eine Drahtseilbahn hinauf auf den Monte Dagro. Dort oben lässt sich ein uriges Bergdorf mit Steinhäusern entdecken, die fast alle verlassen sind.
Palmen und Sandstrand
Am dritten Tag dann eine relativ lange Etappe von Malvaglia über Locarno nach Coglio. Diese Etappe vereint auf rund 80 Kilometern Bergtäler, einsame Dörfer, Seeufer und eine Stadt.
Unsere Reise führt uns hier durch eine der wenigen ebenen Flächen der Schweiz, wo Gemüse wie Auberginen, Tomaten, Zucchini oder Gurken angebaut werden. Dann kommt auch schon der Lago Maggiore, und man gerät in eine Ferienlandschaft mit Palmen, Campingplätzen am Sandstrand und Hotels. Der Weg führt dann malerisch unter Bäumen direkt am Seeufer entlang, Menschen liegen entspannt am Seeufer, prächtige Villen verstecken sich hinter hohen schmiedeeisernen Gittern. Mittagspause im mondänen Locarno, Essen gibt es in einem hervorragenden vegetarischen indischen Restaurant in der Altstadt.
Im Straßengewirr von Locarno ist es nicht ganz einfach, den Weg in Richtung Coglio zu finden. Ich gerate auf eine Art Schnellstraße ohne Radweg, Autos hupen mich an, doch es gibt kein Zurück. Zum Glück kann ich einen Kilometer weiter an einer Ausfahrt abfahren. Nach einigem Suchen finde ich die Straße über Tegna, Gordevio und Someo nach Coglio, die fast durchgängig auch einen separaten Radweg hat.
Diese Route führt leicht bergauf durch die fruchtbare Magadinoebene, in die sich der Fluss Maggia in den hellgrauen Gneis eingefressen hat. Ein Teil der Straße ist hier als Radweg abgetrennt. Hier gibt es einige superschöne Badestellen, wo man bis zum Bauchnabel im kühlen glasklaren Gebirgsbachwasser untertauchen kann. An den Hang unter hohen Bäumen schmiegen sich einige „Grottos“, Felsenrestaurants. Im Grotto Ca’Rossa in Gordevio wird Tessiner Bratwurst über offenem Feuer gegrillt, dazu gibt es Rotweinrisotto. Grottos waren einmal Lagerstellen für Lebensmittel, in den Fels gehauen zu einer Zeit, als es noch keine Kühlschränke gab.
Letzte Übernachtung im Ecohotel Cristallina im Gebirgsdorf Coglio, wo nachts das WLAN abgeschaltet wird; und dann: Heimreise!
Eine Reisejournalistin sagte mir, dass sie das Tessin für Radfahrer nicht empfehlen würde. Diese Meinung teile ich nicht – die kleinen, wenig befahrenen Straßen eigenen sich gut zum Radfahren, wegen der Steigungen besonders für E-Bikes.
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