Pflege: Krise auf dem Rücken der Beschäftigten
Pflegenotstand, Fachkräftemangel, Überarbeitung von Pflegern, Bettenabbau in Krankenhäusern, bürokratische Hürden bei Einstellungen – die Schlagzeilen, die zum Thema Pflege in den Medien auftauchen, sind immer noch aktuell – und Besserung ist kaum in Sicht.
„Die Pflege aufwerten“
„Die Pflege aufwerten“, mit diesem Satz wird Dr. Andreas Westerfellhaus oft zitiert, er hat ihn geprägt. „Es ist doch so: Der Beruf ist an sich schön, und diejenigen, die ihn ausüben, machen ihn auch meist gerne“, sagt Westerfellhaus. Das Problem, so führt er weiter aus, seien die Rahmenbedingungen.
Dr. h.c. Andreas Westerfellhaus war unter Gesundheitsminister Jens Spahn Pflegebevollmächtigter im Amt eines Staatssekretärs im Bundesministerium für Gesundheit. Er hat eine Ausbildung als Krankenpfleger, arbeitete als Intensivkrankenpfleger und gründete dann eine Pflege-Weiterbildungsstätte. Er weiß, wovon er spricht.
Es herrscht in vielen Einrichtungen durch Personalmangel eine Arbeitsverdichtung, und dadurch spitzt sich die Situation der Pfleger zu. Westerfellhaus nennt eine Zahl:
Rund 200.000 Pflegekräfte würden in den Beruf zurückkommen, wenn die Rahmenbedingungen verbessert würden! Diese Zahl habe ich mir nicht ausgedacht, sie wurde im Rahmen der Studie ‚Ich pflege wieder, wenn …‘ erhoben.“
Die Studie beinhaltet mehrere Modellrechnungen und rechnet das Potenzial für alle aufstockungswilligen Teilzeitpflegekräfte hoch. „Wenn das so klar ist, dann verstehe ich nicht, dass nichts passiert“, resümiert Westerfellhaus betrübt.
Ausländische Arbeitskräfte in der Pflege
Und der von manchen Seiten eingebrachten Vorschlag, man könne die vielen Flüchtlinge und Asylanten als Pflegekräfte umschulen, scheitert auch an bürokratischen Hürden. Auch Arbeitsminister Hubertus Heil sprach davon, dass an dieser Stelle die Verfahren vereinfacht werden müssen, um Arbeitskräfte, die oft ähnliche Ausbildungen mitbringen, schnell und unbürokratisch auf dem deutschen Arbeitsmarkt einsetzen zu können.
„Die [sic] Praxis, dass zum Beispiel auf den Philippinen Pflegekräfte für Deutschland angeworben wurden, setzte die Pandemie ein vorläufiges Ende“, so Westerfellhaus. Pflegekräfte gelten jetzt auch auf den Philippinen als systemrelevant, und die Regierung der Philippinen lässt nur noch eine begrenzte Zahl von ihnen auswandern.
Dazu kommt, wie die Gewerkschaft Verdi gerade bekannt gab, dass Pflegekräfte aus den Philippinen mit ihrer Arbeit in Deutschland hochgradig unzufrieden seien. Nur 17 Prozent der in Deutschland arbeitenden Pflegekräfte aus den Philippinen würden ihre Arbeit Freunden weiterempfehlen, so Verdi.
Mehr als die Hälfte der philippinischen Pflegekräfte fühle sich in Deutschland nicht willkommen, eine große Mehrheit fühle sich sogar fachlich abgewertet. Dies sei wohl auch ein Grund für die hohe Fluktuation in diesem Beruf. Das Problem sei in erster Linie nicht die formale Anerkennung ihrer Abschlüsse, sondern vielmehr, dass Qualifikationen und Berufserfahrung im Job nicht wertgeschätzt würden. Dazu käme der Rassismus am Arbeitsplatz, mit dem nicht wenige Asiaten konfrontiert würden.
Bezahlung ist nicht das Hauptproblem
„Diese Überqualifikation gibt es auch bei deutschen Pflegekräften“, weiß Westerfellhaus. „Man hat drei Jahre diesen Beruf gelernt und weiß viel, am Ende des Tages ist man dann aber nur Assistent des Arztes“, sagt der Fachmann. In der Regel wollen Pflegekräfte gute Arbeit machen, können es aber nicht, wenn der Personalschlüssel nicht stimmt. Laut einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung vom November 2021 spricht sich eine breite Mehrheit der Deutschen dafür aus, Investitionen und Personalschlüssel im Bereich Gesundheit und Pflege stark oder mindestens etwas zu erhöhen.
Die schlechte Bezahlung sei nicht das Problem, meint dagegen Erna Meier (Name von der Redaktion geändert), die in Altenhof in Brandenburg als Pflegerin arbeitet. „Wenn eine Pflegehelferin ohne fachliche Qualifikation rund 2400 Euro pro Monat verdient, finde ich das nicht so schlecht bezahlt“, so Erna Meier. Zumal man sich hocharbeiten könne und dann entsprechend mehr verdiene.
Die Situation mit den ausländischen Pflegekräften findet Meier schlimm. „Wenn ich sehe, wie mit denen umgegangen wird, und wie sie um Anerkennung kämpfen müssen, ist das mies“. Meier hat beobachtet, dass die ausländischen Pflegekräfte oft ein wenig allein dastehen. „Die haben in ihrer Heimat eine Ausbildung als Krankenschwester hinter sich, und dies wird hier gar nicht beachtet.“
Thorsten Schulten, Arbeitsmarktexperte, fordert trotzdem eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte. „Jetzt wäre eine gute Gelegenheit dafür zu sorgen, dass die Helden des Alltags nach vernünftigen Tarifvertragsstandards bezahlt werden“, sagt er in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst.
Pflegeeinrichtungen als Kapitalanlage
Auf eine Thematik, die in den Medien bisher nur wenig behandelt wurde, weist ein Insider der Pflegebranche hin, der namentlich nicht genannt werden möchte (Name der Redaktion bekannt). Nämlich die der Pflegeeinrichtung als Kapitalanlageform.
Dabei kaufen ausländische Konzerne Grundstücke, auf denen sich Pflegeeinrichtungen befinden. Dann wird ein neuer Mietvertrag geschlossen. Die Träger der Pflegeeinrichtungen werden mit immer höheren Mietzahlungen konfrontiert, ohne dass sich an dem Gebäude zwingend etwas geändert hat oder dass etwas modernisiert wurde. Diese erhöhten Mietkosten hat der Heimbewohner zu tragen.
Die dadurch „erwirtschafteten“ Gelder fließen in die Taschen des Vermieters – ein Gewinn, da diesem keine Investitionen gegenüberstehen. Für den Heimbewohner sieht es so aus, dass er in einer Pflegeeinrichtung lebt, die sich baulich nicht verändert hat, und trotzdem muss er eine Miete zahlen, die zehn bis 17 Prozent höher liegt.
Tarifliche Tricksereien
Ein weiterer „Trick“ sind Gewinne durch tarifliche Tricksereien. Gesundheitsminister Jens Spahn hat die Tarifbindung für Pflegekräfte bekanntlich am 1. September 2022 ins Leben gerufen und gesetzlich verankert. Das klingt fürs Erste gut. Aber kommt dieses Geld auch bei den Pflegekräften an?
Pflegekräfte wollen nicht nur entsprechend ihrer Anforderungen entlohnt werden, sie brauchen auch Arbeitsbedingungen, unter denen sie lange Zeit arbeiten können. Pflegesatzvereinbarungen zwischen den Kostenträgern, der Pflegekasse und den Trägern der Pflegeeinrichtung werden prospektiv verhandelt. In der Regel für ein Jahr, mit einer Auslastungsquote von 98 Prozent.
Hierbei fließen in die kalkulierten Kosten auch die Personalkosten ein, entsprechend dem Personalschlüssel. Dies bedeutet, dass die Pflegeeinrichtung von den Kostenträgern und den Heimbewohnern ihre entstandenen Kosten bezahlt bekommt.
Oft werden weniger Personalfachkräfte eingestellt als der Personalschlüssel vorsieht und in der Pflegesatzvereinbarung verhandelt wurde. Dies hat die Konsequenz, dass der Träger der Pflegeeinrichtung diese Mehreinnahmen als Gewinn behalten kann.
Er wird dies in der Regel damit begründen, dass es keine Pflegekräfte auf dem Arbeitsmarkt gibt. Und der schwarze Peter bleibt beim verbliebenden Pflegepersonal, welches die Arbeit des fehlenden Personals kompensieren muss.
Die Folge: hohe Personalfluktuation, schlechte Stimmung beim Personal. Letztlich bezahlt der Heimbewohner, oder das Sozialamt. Die Pflegekasse zahlt weiterhin ihre pauschalen Sätze, abhängig vom Pflegegrad.
Krise auf dem Rücken der Beschäftigten
Johanna Wenckebach ist wissenschaftliche Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts. In einem Interview mit dem MDR äußerte sie sich zur Überlastung des Pflegepersonals: „Die Krise wird aktuell auf dem Rücken dieser Beschäftigten ausgetragen. Dass es hier einen Personalmangel gibt, war schon lange bekannt. Kaum etwas ist unternommen worden.“
Allein in den Krankenhäusern in Deutschland fehlen rund 100.000 Vollzeitstellen. Wenn man diese Zahl auf das Pflegeniveau hochrechnet, wie es Länder wie Dänemark oder die Schweiz haben, würde man sogar auf 160.000 bis 260.000 Stellen kommen.
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