Corona-Impfpflicht bei der Bundeswehr: Rechtsstreit um die Grenzen des Gehorsams

Unter dem neuen Richter sind bereits an zwei Terminen am Landgericht in Hildesheim Verhandlungen geführt worden. Die Frage, ob es eine Rechtfertigung gab, den Fall der Soldatin B. an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten, steht im Raum. Heute gehen die Verhandlungen weiter, viele weitere Prozesstage sollen folgen.
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Prozessbeobachter Tom Lausen geht aufgrund der bisherigen Hauptverhandlung am Landgericht Hildesheim von einem Freispruch für die Angeklagte aus.Foto: 2024 Critical News
Von 30. Januar 2024

Am 16.05.2022 wurde die Soldatin B. von Amtsrichter Jan Scharfetter vom Amtsgericht Holzminden zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten auf Bewährung sowie einer Geldstrafe in Höhe von 25 Tagessätzen zu 30 Euro verurteilt.

Die Angeklagte habe sich Scharfetter zufolge der Gehorsamsverweigerung schuldig gemacht, weil sie sich nicht gegen COVID-19 impfen lassen wollte.

Die Duldungspflicht sei dem gesamten Zug am 29.11.2021 von ihrem Disziplinarvorgesetzten Major G. verkündet worden. Verschiedene im Anschluss verkündete Impftermine seien nicht wahrgenommen worden.

Vom Amtsgericht zum Landgericht

Gegen den Richter Scharfetter erging vonseiten der Verteidigung ein Antrag auf Besorgnis der Befangenheit. Auch legte die damals für die Angeklagte B. zuständige Rechtsanwältin Beate Bahner Berufung gegen das Urteil ein.

Es folgte eine Hauptverhandlung am Landgericht Hildesheim unter dem Richter Peter Peschka mit den Terminen 13.02.2023 sowie 27.02.2023. Nachdem Rechtsanwalt Sven Lausen gegen Richter Peschka eine Strafanzeige wegen des Verdachts auf Verfolgung Unschuldiger gestellt hatte und zudem Anträge auf Besorgnis der Befangenheit sowohl gegen Peschka als auch die Schöffen gestellt wurden, erklärte sich der vorsitzende Richter nach nur zwei Verhandlungstagen für selbstbefangen.

Erst am 21.03.2022 erfolgte der schriftliche Ausspruch des Dienstausübungsverbotes für Frau B.

Seit Januar 2024 läuft das Verfahren nun vor dem Landgericht Hildesheim unter Vorsitz des Richters Dr. Julian Lange. Auch gegen diesen wurde von Rechtsanwalt Sven Lausen bereits ein Antrag auf Besorgnis der Befangenheit gestellt.

Wann ist ein Befehl ein Befehl und wer ist dazu berechtigt?

Der erste Verhandlungstag unter Lange fand am 05.01.2024 statt. In den Zeugenstand berufen wurden nacheinander Oberstabsfeldwebel Mike H. (45) sowie Major Thorsten G. (36). Der für den Termin geladene Zeuge Thomas M., ebenso Bundeswehrangehöriger, sei im Urlaub und könne daher nicht befragt werden. Die Verteidigung erfolgte durch die Rechtsanwälte Sven Lausen und Ivan Künnemann.

Am 15.01.2024 fand der zweite Verhandlungstermin ebenfalls unter dem neuen Richter Lange statt. Aufgerufen als Zeugen waren Herr Stephan M. (44) sowie die Richter der beiden Vorinstanzen, Jan Scharfetter (55) sowie Peter Peschka (63). Die Verteidigung wurde dieses Mal ergänzt um den dritten Rechtsanwalt und ehemals leitenden Staatsanwalt Gert-Holger Willanzheimer.

Rechtsanwalt Künnemann war an der Teilnahme der Hauptverhandlung verhindert. Der ursprünglich für den Termin vorgesehene Zeuge Thomas M. wurde aufgrund der länger als erwarteten Vernehmung des Zeugen Stephan Mei. auf den 30.01.2024 verschoben.

Hauptgegenstand der bisherigen Verhandlungen war die Feststellung der Tatsache, welche Vorgesetzten zu welchem Zeitpunkt welchen Befehl zur Durchsetzung der Duldungspflicht gegeben hätten. Dabei maßgeblich im Raum stand die Frage, ob eine „Anordnung“, eine „Aufforderung“ oder eine „Belehrung“ sinngemäß das Gleiche wie ein „Befehl“ seien. Weiter ging es um die Frage, wer gemäß Dienstvorschriften überhaupt dazu berechtigt sei, untergebenen Soldaten einen Befehl auszusprechen.

Die beiden jüngsten Verhandlungstage brachten lediglich zu Tage, dass weder Disziplinarakte noch Gerichtsakten der beiden vorbefassten Richter oder die am 05.01.2024 und 15.01.2024 angehörten Zeugen sichere Auskunft dazu geben konnten, wann die Angeklagte genau einen Befehl im engeren Sinne erhalten hatte und von wem dies erfolgt sei.

Immer wieder verwickelten sich Zeugen in Widersprüche, weshalb etwa gegen den Zeugen Major G. bereits unter dem vorherigen Richter am Landgericht Hildesheim eine Strafanzeige wegen uneidlicher Falschaussage ergangen war. Gestellt worden war diese von Rechtsanwalt Sven Lausen für die Verteidigung.

Richter beurteilt Befehl zum Impfen als zumutbar

Während für die Verteidigung insbesondere die Dienstvorschrift A‑840/8 („Impf- und weitere ausgewählte Prophylaxemaßnahmen“) sowie die zentrale Dienstvorschrift A‑1420/12 („Ausführung der Soldatinnen- und Soldatenurlaubsverordnung“) im Fokus zahlreicher Vorhaltungen an die jeweiligen Zeugen standen, erklärte Richter Lange in einem Rechtsgespräch bereits zu Beginn der Verhandlung vom 05.01.2024 seine Position.

Demnach seien Disziplinarvorschriften gemäß dem Soldatengesetz unabhängig von den konkreten Dienstvorschriften zulässig. Befehle seien auszuführen, auch wenn diese möglicherweise rechtswidrig seien. Ausnahmen seien etwa die Vorbereitung eines Angriffskrieges sowie die Ausübung unzumutbarer Befehle. Nach Langes Ansicht sei der Befehl, sich impfen zu lassen, wahrscheinlich zumutbar. Die Forderung nach einer Freiheitsstrafe sei nach seiner Meinung nicht zwingend erforderlich.

Nach Ansicht der Verteidigung sei auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu beachten, wonach die möglichen Folgen einer Injektion gegen COVID-19 „auch im Falle eines Erfolgs der Verfassungsbeschwerde irreversibel“ seien (Rn. 16) „oder auch nur sehr erschwert revidierbar sind. […] In die Folgenabwägung sind auch die Auswirkungen auf alle von dem Gesetz Betroffenen einzubeziehen und nicht nur diejenigen für die Beschwerdeführenden selbst.“ (Rn. 17) Siehe Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10.02.2022, Az. 1 BvR 2649/21.

Erwähnenswert an dieser Stelle ist, dass die benannten Dienstvorschriften als Verschlusssache zählen und somit nur teilweise zum Beispiel aufgrund von Anfragen bei „Frag den Staat“ oder durch eine Veröffentlichung von Rechtsanwalt Wilfried Schmitz allgemein nachlesbar sind.

Auch als Ungeimpfte wurde die Angeklagte dienstlich eingesetzt

Eine weitere Frage, die die Verfahrensbeteiligten beschäftigte, war jene, inwiefern die Angeklagte B. als „ungeimpfte“ Person dienstlich einsetzbar gewesen oder ob dies nicht der Fall gewesen sei. Auch hier verstrickten sich die befragten Zeugen unter besonderer Berücksichtigung der einschlägigen Dienstvorschriften wiederholt in Widersprüche.

Angelpunkt im Rahmen der bisherigen Zeugenbefragung war zunächst die Verkündung der Duldungspflicht am 29.11.2021 durch Major G. Hier habe keine individuelle, sondern nur eine allgemeine Ansprache an die Soldaten stattgefunden. Wiewohl die Option benannt wurde, sich entweder militärisch beim zuständigen Sanitätsdienst oder in einem zivilen Impfzentrum die Spritze geben zu lassen, wurde der Angeklagten weder ein persönlicher Impftermin benannt noch konnte unstrittig festgestellt werden, dass die Verkündung der Duldungspflicht als Befehl zur Vorstellung bei einem Impfarzt zu verstehen sei.

Der erste konkrete Impftermin sei für den 03.12.2021 angesetzt worden und dann von Vorgesetzten abgesagt worden. Ein weiterer Impftermin sei für den 06.12.2021 von Thomas M. auf Veranlassung des bislang nicht gehörten Zeugen Hauptfeldwebel S. gesetzt worden. Dieser Termin sei abgesagt worden, weil die Angeklagte am 07.12.2021 auf Veranlassung des Zeugen M. eine Dienstfahrt mit dem stellvertretenden Kommandeur von etwa drei Stunden durch mehrere Bundesländer unternehmen sollte und dies später dann auch tat.

Gemäß Beweisantrag von Lausen für die Verteidigung vom 15.01.2024 habe Hauptfeldwebel S. damals den „Impftermin“ für die Angeklagte wegen der Fahrt mit B. aufgehoben, um die Durchführung der Fahrt infolge möglicher Nebenwirkungen nicht zu gefährden. Entsprechend sei der Impftermin ohne Zutun von Frau B. aufgehoben worden.

Wenn Frau B. auf Weisung ihres Vorgesetzten den zweitwichtigsten Offizier ihres Bereichs durch mehrere Bundesländer fahren sollte, dies über mehrere Stunden hinweg und dafür sogar ein eigens für sie festgesetzter Impftermin abgesagt wurde, widersprecht es der Aussage des Zeugen G., dass sie angeblich als ungeimpfte Person am 29.11.2021 nicht für dienstliche Belange einsatzfähig gewesen sei. Vielmehr durfte die Angeklagte als ungeimpfte Person nach Ansicht der unmittelbaren Vorgesetzten sehr wohl auch entsprechend eingesetzt werden.

Bei festgelegtem Impftermin Angeklagte bereits in Urlaub

Nun drehte sich vieles um den weiteren Termin, der am 06.12.2021 durch den Zeugen Thomas M. per WhatsApp auf den 15.12.2021 beim Truppenarzt in Holzminden festgelegt worden sei. Dabei soll wohl der Termin zunächst von Hauptfeldwebel S. an Thomas M. geschickt worden sein, bevor Thomas M. diesen an die Angeklagte weitergeleitet habe.

Die Angeklagte befand sich allerdings schon seit dem 13.12.2021 im Erholungsurlaub, sodass auch der Frage nachgegangen wurde, inwiefern eine Unterbrechung desselben zur Vorstellung bei einem Impfarzt überhaupt mit den Dienstvorschriften vereinbar wäre. Nach den vorliegenden Zeugenaussagen und Aktenauszügen soll Frau B. erst eine Viertelstunde vor dem Impftermin über dessen konkrete Uhrzeit informiert worden sein. Zu dieser Zeit habe sie auf die Kinder ihrer Schwester aufgepasst. Es sei ihr daher gar nicht möglich gewesen, so schnell in der Kaserne zu erscheinen.

Nach dem Erholungsurlaub vom 13.12.2021 bis 12.01.2022 sei von B. erwartet worden, sich bei ihrer Dienststelle vorzustellen und einen Impfnachweis beizubringen. Dies sei nicht geschehen. Bei Dienstantritt am 13.01.2022 habe sie dann erklärt, dass sie ungeimpft sei und auch nicht vorhabe, sich entsprechend eine Injektion gegen COVID-19 zu setzen.

Nach erfolgloser Belehrung der Angeklagten, wonach die „Impfung“ zu erdulden sei, sei der Vorgang Major G. als ihrem Disziplinarvorgesetzten weitergegeben worden. Das Ignorieren der Anweisung, sich impfen zu lassen, sei eine „Gehorsamsverweigerung“ und somit ein „Rechtsstraftatbestand“. Aus diesem Grund sei der Vorgang an die zuständige Staatsanwaltschaft weitergegeben worden.

Disziplinararrest oder Staatsanwaltschaft

Es würden „relativ strikte Vorgaben“ bei Verstößen gegen die Duldungspflicht gelten. Die Aussagen von G. stehen im Widerspruch zu den Aufzeichnungen von Tom Lausen als Prozessbeobachter zum Termin am 27.02.2023. Hiernach habe der Major zunächst um 10:14 Uhr geäußert, dass sich B. bis zum Ende des Erholungsurlaubs „impfen“ lassen solle. Dies könne auch zivil geschehen.

Nach einer Minute Bedenkzeit habe er schließlich gesagt, dass er keinen „Befehl“ erteilt habe. Um 10:16 Uhr habe er dann bestätigt, dass es von der Angeklagten keinen Widerspruch zur angeordneten „Impfung“ gegeben habe.

Nachdem die Vernehmungen von Frau B. in der Kaserne sich allein auf den behaupteten Tatvorwurf, nicht jedoch auf eine tatsächliche Tatsachenfeststellung konzentriert hatten und lediglich ein Disziplinararrest von maximal 12 Tagen im Raum stand, stand auch die Frage im Raum, inwiefern eine Weiterleitung des Falles an die Staatsanwaltschaft überhaupt angezeigt gewesen war.

Auch stellte sich laut Verteidigung die Frage, inwiefern eine Vernehmung zwar des Zeugen W. als Vertrauensperson der Angeklagten, nicht jedoch des Zeugen H. als Disziplinarvorgesetzten von B. erfolgt sei.

Viele weitere Prozesstage erwartet

Der Prozessbeobachter Tom Lausen geht aufgrund der bisherigen Hauptverhandlung von einem Freispruch für die Angeklagte aus. Eine Fortsetzung der Hauptverhandlung wurde von dem vorsitzenden Richter Lange auf den 30.01.2024 um 10:00 Uhr in Saal 32 des Nebengebäudes des Landgerichts Hildesheim festgesetzt.

Aufgrund weiterer Beweisanträge der Verteidigung vom 15.01.2024 wurden vorsorglich weitere Verhandlungstermine für den 09.02.2024, den 23.02.2024, den 26.02.2024, den 01.03.2024, den 08.03.2024 sowie den 15.03.2024 für jeweils 10:00 Uhr festgesetzt. Das Gericht stellte klar, dass weitere Beweisanträge möglichst bis zum 30.01.2024 zu stellen seien.

 

Über den Autor: 

Stephan Witte, Jahrgang 1971, ist Versicherungsmakler und Journalist. Seine Themenschwerpunkte sind private Sach- und Haftpflichtversicherungen, Jagdhaftpflichtversicherungen, Unfallversicherungen sowie seit Beginn der Corona-Krise unter anderem auch COVID-Impfstoffe sowie der Umfang des Versicherungsschutzes infolge von Impfschäden durch die Vakzine gegen COVID-19.

Die komplette Berichterstattung zum Prozess am 5. Januar 2024 und am 15. Januar 2024 finden Sie hier.



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