Überwachung, Zensur, Kontrolle: „Was China der Welt nicht zeigt – Total Trust“

„Seit zwei Jahrzehnten nutzt Chinas Regierung ‚Smart Technology‘, um eine immer stärker überwachte und vollständig kontrollierte Gesellschaft zu schaffen“, so der Eingangssatz der eindringlichen „Arte“-Reportage über Überwachung, Zensur und Selbstzensur in China. Sie wirft über das kommunistische Land hinaus Fragen zum Gebrauch von Technologie auf. Sehenswert, frappierend und augenöffnend zugleich.
Titelbild
Überwachungskamera in Shanghai,Foto: iStock/NGCHIYUI
Von 29. August 2024

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Wer sich nie so richtig vorstellen konnte, wie dieses chinesische Sozialpunktesystem genau funktioniert, der bekommt in der „Arte“-Reportage „Was China der Welt nicht zeigt – Total Trust“ Antworten. Beklemmende Antworten. Die Reportage zeigt, welche Zutaten es für einen totalitären Staat braucht, egal wo auf der Welt. Es geht darum, technische Neuerungen für eine absolute Kontrolle über die Bevölkerung zu nutzen und die Menschenrechte einzuschränken. Es geht um ein digitales Gefängnis, das unter Mitwirkung der Bevölkerung geschaffen wird.

Totales Vertrauen, totale Kontrolle: Technologie gegen Menschen

„Total Trust“ nimmt die unheimliche Macht von Überwachungstechnologie, Machtmissbrauch und (Selbst-)Zensur in China unter die Lupe. Anhand von Einzelschicksalen, die überwacht, eingeschüchtert und sogar gefoltert wurden, führt der Dokumentarfilm ins Thema Big Data und KI.

In der eineinhalbstündigen Reportage wird schnell klar, nicht die Technologie an sich ist das Problem; es sind auch die Menschen als Teil davon, die vermeintlich freiwillig mitmachen. Die Reportage erzählt in unaufgeregten Bildern vorwiegend von denen, die sich der Überwachung entziehen wollen und sich gegen allumfassende Kontrolle wehren.

Frappierend eine Szene, wo Anwalt Lang und seine Frau durch den Spion der Wohnungstür mit dem Smartphone filmen, wie die Nachbarn eine Überwachungskamera installieren, die auf ihre Tür gerichtet ist. Lang war zuvor für Jahre bei Folter in einem Gefangenenlager inhaftiert. Später dokumentieren die beiden, wie sie durch Polizisten daran gehindert werden, die Wohnung zu verlassen.

Überwachungskamera als Symbol und Leitmotiv

Eine andere Protagonistin, Zijuan Chen, fährt mit ihrem Sohn im Auto zum Gerichtstermin ihres Mannes, dem Anwaltes Weiping Chen. Sie wird durch ihr Navi und eine folgende Polizeikontrolle am Weiterfahren gehindert. Anwalt Weiping hatte unter anderem die Journalistin Sophia Xueqin Huang verteidigt, als sie über sexuelle Belästigung an Universitäten schrieb und dafür in den Fokus der chinesischen Behörden geriet.

Sophia findet in der Reportage auch Worte für das, was über die technischen Möglichkeiten hinaus diese Entwicklung ermöglicht: „Die Leute stecken lieber den Kopf in den Sand, wenn es ihnen das Leben angenehmer macht. Die ständige Kontrolle über Generationen hinweg hat dazu geführt, dass die Menschen die Zensur verinnerlicht haben. Genau wie die Medien. Der Staat muss gar nichts mehr tun, die Leute zensieren sich selbst. Es ist ein bisschen wie in der Geschichte vom Frosch im Kochtopf. Erst nehmen sie uns nur ein Stückchen Freiheit weg. Das akzeptieren wir. Aber sobald wir nachgeben, geht das immer so weiter.“

Social Scoring als Mitmachmotivation

China ist derzeit das weltweit am stärksten überwachte Land. Überwachungskameras an jeder Straße, über jeder Kreuzung, auf jede Haustür gerichtet. Über die Hälfte aller Überwachungskameras, die weltweit im Umlauf sind, sind in China installiert. Instrumente wie das Social Scoring werden hier erprobt und eingesetzt.

Wie das Sozialpunktesystem jetzt schon im Detail funktioniert, zeigt eindringlich die Passage, als eine Funktionärin dieses erklärt: „Freiwillige Arbeit wird in der App der Gemeinde Rongcheng erfasst. Wir organisieren dort Gemeinschaftsaktionen, zum Beispiel nächtliche Patrouillen, Entrümpelung und vieles mehr.“ Und weiter: „In dieser App gibt es auch ein Punktesystem. Das gibt dem Ganzen eine nette Wettbewerbsatmosphäre.“ Gezeigt wird ein Freiwilligentrupp, der auf seiner nächtlichen Tour darauf achten soll, ob die Einwohner ihre Masken tragen, auf Falschparker und auf Hunde, die nicht an der Leine sind.

Geschenke von der Partei

Eine der Freiwilligen ist am Tag nach der nächtlichen Patrouille bei der Tafel der Gemeinde und kocht für die Senioren. Sie sagt in die Kamera, dass sie für die zehn Stunden zwei Punkte bekommt, und: „Wir müssen der Partei danken und uns glücklich schätzen, dass wir in diesem Land leben. Die ältere Generation kam nie in diesen Genuss.“ Die ältere Generation, von der sie spricht, bekommt von „Freiwilligen“ für Social-Scoring-Punkte Essen gekocht, offenbar, um überhaupt versorgt zu sein. Einer der vielen Momente der Reportage, der die Irrwitzigkeit des Systems auf entlarvende Weise zeigt, und wie es die Köpfe der Menschen gekapert hat.

„Für zwei Punkte bekommt man Geschenke von der Partei. Zum Beispiel Essstäbchen oder Handschuhe. Für fünf Punkte bekommt man Geschenkboxen oder Stäbchenhalter“, erzählt stolz ein Funktionärin. Es gebe bis zu 1000 Punkte. Der Sozialkredit fällt ab, wenn man betrunken Auto fährt oder sich an höherer Stelle beschwert. Erst nach einer Korrektur des Fehlverhaltens, oder wenn man Reue zeigt, kann man einen reduzierten Sozialkredit wiederherstellen.

Der Sozialkredit bestimme zum Beispiel, welche Schulen die Kinder besuchen dürfen. Reisen mit Schnellzug oder Flugzeug können bei niedrigem Punktestand eingeschränkt werden. Firmen können sich nicht mehr auf staatliche Ausschreibungen bewerben, geben die Protagonisten bereitwillig Auskunft über das chinesische „New Normal“.

Werbung für die Zukunft

Ein eingeblendeter Werbespot für eine Smart City zeichnet das Zukunftsbild: Eine „Schaltzentrale für urbanes Leben“ ist zu sehen, wie bei einem James-Bond-Bösewicht. Auf riesigen Bildschirmen sieht man, wie eifrige Bürger auf den Straßen Fotos von Falschparkern per Klick ins Big-Data-System einfüttern. Es ist zu sehen, wie nicht regelkonforme Fußgänger mit Highspeed-Kameras beim unerlaubten Überqueren der Straßen ertappt werden. Auch Betteln oder Essen in der U-Bahn soll auf nationalen Social-Scoring-Konten vermerkt werden, so die Zukunftsvision der Smart-City-Werber.

Sogenannte Smart Citys sind aber kein exklusiv chinesisches Projekt, ebenso nicht der zunehmende Einsatz vom smarter Technologie. Es schleicht sich mit verstreichenden Sendeminuten das ungute Gefühl ein, dass China die weltweite Blaupause dafür ist, was allerorts passiert, wenn der Schutz der Privatsphäre missachtet wird. Außerdem wird die Frage aufgeworfen, was passiert, wenn die aus Big Data gewonnen Informationen über Aktivitäten und Überzeugungen, Abneigungen, Vorlieben und Gewohnheiten in falsche Hände geraten?

Immer wieder fragt man sich, wie eine solche Reportage entstehen konnte? Sie besticht durch lange, exzellent gefilmte Einstellungen, ganz ohne verwackelte, heimlich gefilmt anmutende Bilder. Die Macher sind immer punktgenau dabei in brisanten Situationen. So zum Beispiel als Jihuan Chen für ihren Mann am Gerichtstag Blumen kaufen will, aber ihre COVID-App einfach auf Rot geschaltet ist und sie das Geschäft nicht betreten darf. Man kann nur ahnen, unter welchen Umständen dieser Film gedreht wurde, möglicherweise unter welchen Gefahren. Wortlose Auskunft gibt darüber vielleicht der Abspann des Werkes. Es wurden nahezu alle Namen des Teams, das in China am Film mitgearbeitet hat, anonymisiert.

Im Abspann erfahren wir auch, dass die Journalistin Sophia Xueqin Huang nach Großbritannien zum Studieren wollte und 2021 auf dem Weg zum Flughafen verhaftet wurde. Drei Jahre später, im Juni 2024, wurde sie wegen Anstiftung zum Umsturz zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

„Was China der Welt nicht zeigt – Total Trust“ ist das Werk der chinesischen Dokumentarfilmerin Jialing Zhang, die in den USA lebt. 2019 hat sie zusammen mit der Regisseurin Nanfu Wang schon den preisgekrönten Dokumentarfilm One Child Nation (2019) gedreht.

„Total Trust“ kann kostenfrei noch bis zum 19. September 2024 in der „Arte“-Mediathek angesehen werden.



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