Warum die Tonga-Eruption in die Geschichte eingeht
Der Vulkanausbruch auf Tonga am 15. Januar 2022 verwüstete weite Teile des südpazifischen Inselstaates innerhalb von elf Stunden. Erheblich länger wird es dagegen dauern, bis die Wissenschaftler herausgefunden haben, was genau während des Ausbruchs geschah und was dies für die Zukunft bedeutet. Eins steht jedoch schon jetzt fest: Der Ausbruch des Vulkans Hunga Tonga-Hunga Ha’apai geht zweifelsohne in die geologischen Geschichtsbücher ein.
So schickte der Vulkan eine der größten Aschewolken in die Atmosphäre und löste gleichzeitig einen Tsunami aus, der Häuser auf benachbarten Inseln zerstörte. Außerdem umkreisten mit seinem Ausbruch enorme Schockwellen mehrfach den Globus. Vor allem die außergewöhnliche Kraft der Explosion stellt die Vorstellungen über die Physik von Eruptionen infrage.
Die Forscher haben Schwierigkeiten zu erklären, warum der Vulkan eine Wolke in solche Höhen brachte, aber weniger Asche ausstieß, als man bei einem Ausbruch dieser Größenordnung erwarten würde. Und die Schockwellen, die sich durch die Atmosphäre und die Ozeane wälzten, sind mit nichts vergleichbar, was die moderne Wissenschaft bisher gesehen hat.
Der Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha’apai zwingt die Wissenschaftler dazu, ihre Vorstellungen von den Gefahren, die von den vielen unterseeischen Vulkanen ausgehen, zu überdenken. „Das reißt im Grunde das Pflaster von unserem mangelnden Verständnis ab“, sagt der neuseeländische Vulkanforscher Nico Fournier.
Droht neue Gefahr?
Der Ausbruch des Vulkans ereignete sich nur 65 Kilometer von der tongaischen Hauptstadt Nuku’alofa und war für die mehr als 100.000 Einwohner eine Katastrophe. Die dicke Ascheschicht, die alles bedeckte, musste beseitigt und eine neue Trinkwasserversorgung aufgebaut werden. Doch die Folgen des Ausbruchs werden noch lange spürbar sein, da der Ausbruch geschätzte 15 Millionen Euro Ernteschäden verursachte. Mindestens drei Menschen sind in Tonga an den Folgen des Ausbruchs gestorben.
Aktuell wird die Region noch immer von Erdbeben erschüttert, weshalb die vulkanische Gefahr möglicherweise noch nicht vorüber ist. Weiterhin zeigen vorläufige Untersuchungen, dass das Magma erst kürzlich aus dem Erdinneren aufstieg. Der Hunga Tonga-Hunga Ha’apai könnte also noch einige Zeit aktiv bleiben. Weitere Prognosen können die Forscher derzeit nicht geben.
„Es ist eine wirklich schwierige Situation, in der man sich wünscht, dass die Wissenschaft den Menschen vor Ort mehr geben könnte“, sagt Janine Krippner, Vulkanologin der Smithsonian Institution (Washington, DC, USA). „Aber im Moment ist das nicht der Fall.“
Tonga überraschte mit anderer Magma
Die letzten Ausbrüche des Unterseevulkans ereigneten sich 2009 und 2014/15, wodurch die beiden Inseln Hunga Tonga und Hunga Ha’apai dank des erkalteten Gesteins zu einer Landmasse zusammenschmolzen. Kurz nach der Entstehung des neuen Inselkomplexes untersuchte ein Forscherteam die Asche und das Gestein.
Die geochemische Analyse ergab, dass bei den letzten beiden Ausbrüchen geschmolzenes Gestein ausgestoßen wurde, das bereits vor längerer Zeit aus den Tiefen des Erdmantels aufstieg. Anschließend verbrachte das flüssige Gestein einige Zeit in einer Magmakammer, etwa fünf bis acht Kilometer unterhalb der Erdkruste. Während dieser Zeit durchlief das Magma einige charakteristische chemische Veränderungen – fast wie Wein, der in einem Fass reift.
Das 2022 ausgestoßene flüssige Gestein war dagegen anders. Shane Cronin, Vulkanologe an der Universität von Auckland (Neuseeland), und seine Kollegen analysierten die Asche des Ausbruchs und stellten fest, dass sie sich von der Asche älterer Ausbrüche unterscheidet. Laut Cronin ist das frische Magma schnell aufgestiegen, ohne viel Zeit für chemische Veränderungen gehabt zu haben.
Weiterhin stellten die Forscher überrascht fest, dass der Vulkan relativ wenig Asche ausstieß. Dies ist eher unüblich angesichts der Größe der Explosion. Ein Grund dafür könnte die Umgebung sein, in der Hunga Tonga-Hunga Ha’apai ausbrach: nämlich unter Wasser, in einer relativ geringen Tiefe.
Der unberechenbare Faktor Wasser
Tiefseevulkane brechen nur selten in großen Explosionen durch die Wasseroberfläche, da der Druck des darüber liegenden Wassers die Bildung von Gasblasen und deren kraftvolle Explosion verhindern. Der Schlot des Tonga-Vulkans war jedoch nur zehn bis 250 Meter tief – flach genug, damit das Wasser die Kraft der Explosion nicht unterdrückt, aber tief genug, damit das ausbrechende Magma auf viel Wasser trifft. Trifft eine explosive Eruption mit heißem Magma auf Wasser, werden enorme Kräfte freigesetzt.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist, wie viel vulkanisches Gas kurz vor dem Ausbruch im Magma enthalten ist. So könne der Ausbruch durch sehr gasreiches Magma ausgelöst worden sein, was jede Menge Stoff für die Explosion mitlieferte. Für Vulkanologe Raymond Cas von der Monash University (Melbourne, Australien) war der Tonga-Ausbruch ungewöhnlich, da sie Merkmale vereinte, die normalerweise nicht zusammen auftreten. Er könnte letztendlich als Prototyp für eine neue Art von Eruption dienen, sagt Cas.
Die meisten submarinen Eruptionen bringen keine besonders hohen Rauchfahnen hervor, wie der Tiefseevulkan Havre 2012 nördlich von Neuseeland bewies. Dieser erzeugte hauptsächlich eine riesige schwimmende Ansammlung von leichten Bimssteinen. Die Eruptionsfahne des Hunga Tonga-Hunga Ha’apai stieg dagegen bis in eine Höhe von mindestens 58 Kilometern auf, also bis in die Mesosphäre. Eine einzigartige Höhe, weshalb sich Forscher bemühen, die möglichen langfristigen Auswirkungen zu verstehen.
Da der Tonga-Vulkan nur geringe Mengen an Schwefeldioxid ausstieß, erwarten die Wissenschaftler keinen Einfluss auf das Weltklima. Eine neue Studie rechnet mit einer Abkühlung von 0,004 Grad Celsius, etwas mehr auf der Südhalbkugel, etwas weniger auf der Nordhalbkugel. Zum Vergleich: Die Tonga-Eruption 2022 verursachte ca. 400.000 Tonnen SO₂, während der Pinatubo-Ausbruch 1991 fast 20 Millionen Tonnen ausstieß und den Planeten zeitweise um fast 0,5° C abkühlte. Dennoch hat Hunga Tonga-Hunga Ha’apai große Mengen Asche in die Luft geschleudert, weshalb die Forscher weitere Auswirkungen auf Klima und Umwelt nicht ausschließen.
Nächste Priorität: Lücken füllen
Ein weiterer Aspekt, der die Wissenschaft der Vulkane neu schreiben könnte, ist die Art und Weise der Schockwellen, die Tonga auslöste. Der Nachhall, den er durch Luft und Wasser um die Welt schickte, erinnert an den nach dem Ausbruch des Krakatau in Indonesien von 1883, erklärt Alan Robock, Forscher an der Rutgers University (New Jersey, USA). Die Eruption löste Druckwellen in der Atmosphäre und Tsunamiwellen rund um den Pazifik aus, die bis in weit entfernte Meeresbecken reichten.
Es gibt riesige Teile dieses Puzzles, die wir noch nicht ganz zusammensetzen konnten“, gesteht Fournier.
Die Herausforderung besteht nun darin, genügend Daten zu sammeln, um das Puzzle zu vervollständigen. Normalerweise überwachen Vulkanologen einen aktiven Vulkan mit Seismometern, um Erdbeben in der Umgebung zu untersuchen. In Tonga gibt es derzeit keine aktiven Seismometer, weshalb es keine detaillierten Daten gibt. Die bereits vorhandenen Messungen deuten jedoch darauf hin, dass die Beben durch frisches Magma verursacht werden, das in die Kruste aufsteigt, um das Reservoir wieder aufzufüllen, das durch den großen Ausbruch geleert wurde, so Cronin.
Eine weitere Priorität sei die Untersuchung des Meeresbodens rund um den Vulkan. So wollen die Forscher feststellen, wie sich die Unterwasserstruktur nach dem Ausbruch veränderte. Satellitenaufnahmen deuten darauf hin, dass sich der obere Teil des Vulkans um mindestens 10 Meter abgesenkt hat, sagt Cronin. Es ist jedoch derzeit zu gefährlich, sich dem Vulkan zu nähern. Einige Daten könnten daher erst einmal ausschließlich über Hilfsschiffe kommen, die um Tonga herum unterwegs sind.
Wie sieht die Zukunft von Tonga aus?
Die Frage, was Hunga Tonga-Hunga Ha’apai als Nächstes tun wird, steht für alle im Vordergrund. Eine Gruppe internationaler Experten wägt drei mögliche Szenarien ab:
- Die Eruption könnte enden,
- sie könnte auf niedrigem Niveau weitergehen
- oder es könnte eine weitere massive Explosion geben.
Unabhängig davon hat der Ausbruch die Wissenschaftler dazu veranlasst, die Gefahren von Tiefseevulkanen im Allgemeinen neu zu überdenken, sagt Schmidt. „Es ist eine deutliche Erinnerung daran, dass diese Art von Vulkanen existiert, dass sie eine Gefahr darstellen und dass sie nicht ausreichend erforscht sind.“ Fest steht jedoch eins: Alles ist möglich.
Zu Tonga und seiner Geschichte
Der größte Teil des Hunga Tonga-Hunga Ha’apai liegt unter Wasser. Er erhebt sich mehr als 2.000 Meter über den Meeresboden und ist Teil des Tonga-Kermadec-Vulkanbogens. Diese Kette von Vulkanen befindet sich über einer Subduktionszone, in der die Pazifische Platte unter die Indisch-Australische Platte taucht. Der Rand der Pazifischen Platte erwärmt sich, während er in die Tiefe des Planeten sinkt. Deshalb kann geschmolzenes Gestein aufsteigen und die Vulkane des Tonga-Kermadec-Bogens mit Magma speisen.
Geologische Beweise zeigen, dass Hunga Tonga-Hunga Ha’apai etwa einmal in jedem Jahrtausend von großen Eruptionen heimgesucht wurde. So verzeichnen Wissenschaftler gewaltige Ausbrüche um das Jahr 200 und 1100. Dagegen gab es im letzten Jahrhundert kleinere Ausbrüche (1937 und 1988). Zu diesem Zeitpunkt ragte die Spitze des Vulkans in Form der beiden Inseln Hunga Tonga und Hunga Ha’apai aus dem Ozean heraus.
Der letzte Ausbruch begann 2009, als der Vulkan Asche und Dampf spuckte. Im Dezember 2014 und Januar 2015 verschmolz ein weiterer Ausbruch dann die beiden Inseln zu einer einzigen neuen Landmasse.
Der Artikel erschien zuerst in der Wochenendzeitung ausgäbe 35 am 11. März 2022.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion