In Zeit und Raum verschieden: Gammastrahlen der Sonne alles andere als gleichmäßig

Die Polarregionen der Sonne waren während des letzten Sonnenmaximums am aktivsten und stießen energiereiche Strahlung, sogenannte Gammastrahlen, aus – ein Ungleichgewicht, das bisher bislang nicht erklärt werden konnte. Eine neue Studie aus Portugal könnte Licht ins Dunkel bringen.
Die Sonne und ihre Gammastrahlen
Die Polarregionen der Sonne waren während des letzten Sonnenmaximums am aktivsten und stießen energiereiche Strahlung aus – ein Ungleichgewicht, das bisher noch nicht erklärt werden konnte.Foto: Arsioli & Orlando 2024, NASA/SDO/Duberstein
Von 20. Februar 2024

Die Sonne leuchtet hell im sichtbaren Licht, aber wie sieht sie bei den höchsten Energien der elektromagnetischen Strahlung aus? Die Sonne, betrachtet im Bereich der Gammastrahlen, wäre ein wahrhaft tödlicher Anblick, denn jedes Photon enthält eine Milliarde Mal mehr Energie als sein ultraviolettes Geschwisterchen.

Glücklicherweise verdeckt die Erdatmosphäre dieses Bild, sodass es nur vom Weltraum aus zu sehen ist. Ganz spurlos geht diese Energie an unserem Planeten dennoch nicht vorbei, weshalb die Frage, wie sich die Gammastrahlung der Sonne im Laufe der Zeit verändert, berechtigt erscheint. Und ist es vielleicht sogar möglich, sie mit den gewaltigen Ereignissen in Verbindung zu bringen, die wir auf der Oberfläche unseres Sterns beobachten?

Licht ins Dunkel der Sonne bringen

Forscher unter der Leitung von Bruno Arsioli vom Institut für Astrophysik und Weltraumwissenschaften (IA) in Portugal könnten Antworten auf diese Fragen geben. Im Rahmen einer jüngst veröffentlichten Studie haben sie die Gammastrahlen der Sonne der letzten 14 Jahre ausgewertet und in einem Film dargestellt.

Zugleich belegt ihre Arbeit jedoch, dass die Sonnenscheibe entgegen der erwarteten gleichmäßigen Verteilung dieser hochenergetischen Photonen in den Polarregionen heller werden kann. Deutlich heller als die Forscher für möglich gehalten haben.

Die Tendenz, dass das Leuchten der Sonne in der Gammastrahlung in den höchsten Breitengraden dominiert, zeigte sich während des letzten Höhepunkts der Sonnenaktivität, im Juni 2014. Während der Prozess dahinter unbekannt ist, vermuten die Forscher, dass dieses Wissen auch für die Vorhersage des Weltraumwetters von Bedeutung ist.

Unbekannt mit großer Wirkung

Eine Herausforderung stellt die Gammastrahlung selbst dar. So gibt es um und auf der Sonne mehrere Quellen: im Halo unseres Sterns und in ihren Eruptionen. Zudem senden auch andere Himmelskörper Gammastrahlen aus. Arsioli und seine Koautorin beschäftigten sich mit jenen, die ihren Ursprung auf der Sonnenoberfläche nehmen.

„Die Sonne wird von nahezu lichtschnellen Teilchen bestrahlt, die von jenseits unserer Galaxie in alle Richtungen kommen“, erklärt Bruno Arsioli. „Diese sogenannten kosmischen Strahlen sind elektrisch geladen und werden von den Magnetfeldern der Sonne abgelenkt. Diejenigen, die mit der Sonnenatmosphäre interagieren, erzeugen einen Schauer von Gammastrahlen.“

So gingen Wissenschaftler bislang davon aus, dass diese Schauer überall auf der Sonnenscheibe mit der gleichen Wahrscheinlichkeit zu sehen sind. Arsiolis Arbeit deutet vielmehr darauf hin, dass die kosmische Strahlung mit dem Magnetfeld der Sonne wechselwirkt, womit es zu einer Ungleichverteilung kommt.

„Wir haben auch einen Unterschied in der Energie zwischen den Polen festgestellt“, fügt der Astrophysiker hinzu. „Am Südpol gibt es einen Überschuss an Emissionen höherer Energie […], während die meisten der weniger energiereichen Photonen vom Nordpol kommen.“ Auch für dieses Ungleichgewicht gibt es bisher noch keine Erklärung.

Mehr Gammastrahlen im Süden und im solaren Maximum

Die Wechselwirkung mit dem Sonnenmagnetfeld könnte jedoch ein Indiz liefern, warum es neben den räumlichen auch zeitliche Unterschiede gibt. Und es gibt eine Möglichkeit, diese Theorie zu prüfen: Das nächste solare Maximum wird 2024/2025 erwartet.

Während des Maximums des solaren Aktivitätszyklus kehren sich die Vorzeichen des Magnetfeldes um. Sprich der Nordpol wird zum Südpol und umgekehrt – ein eigenartiges Phänomen, das bekanntermaßen auf dem Höhepunkt der Sonnenaktivität, einmal alle elf Jahre, auftritt. Da sich dabei zwangsläufig die Stärke des solaren Magnetfeldes ändert, besagt die neue Theorie, dass Gammastrahlen häufiger in höheren Breitengraden abgestrahlt werden.

„Wir haben Ergebnisse gefunden, die unser derzeitiges Verständnis der Sonne und ihrer Umgebung infrage stellen“, erklärte Elena Orlando von der Universität Triest und Mitautorin der Studie. „Wir haben eine starke Korrelation zwischen der Asymmetrie der solaren Gammastrahlenemission und dem Umkippen des solaren Magnetfeldes nachgewiesen, was eine mögliche Verbindung zwischen Sonnenastronomie, Teilchenphysik und Plasmaphysik aufzeigt.“

Sonne in Gammastrahlen

Farbkodiertes Dichte-Diagramm von Gammastrahlen mit Energien zwischen 5 und 150 Gigaelektronenvolt pro Photon, die zwischen Oktober 2013 und Januar 2015 von der Sonne emittiert und vom Fermi-LAT-Teleskop der NASA registriert wurden. Foto: Arsioli & Orlando 2024, NASA/SDO/Duberstein

Neues Fenster ins Universum

Die verwendeten Daten stammen aus dem 14-jährigen Beobachtungszeitraum, der im August 2008 begann und somit einen kompletten Sonnenzyklus abdeckt. Eine der Herausforderungen bestand darin, die Gammastrahlen der Sonne von denen der unzähligen anderen Sterne am Himmel zu unterscheiden.

Eine technische Lösung dafür gestaltete sich schwierig, weshalb Arsioli und Orlando auf die Mathematik zurückgriffen. So betrachteten sie alle solaren Gammastrahlungsereignisse innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Mit gleitenden Zeitfenstern von 400 bis 700 Tagen konnten sie den gesamten Zeitraum von 14 Jahren abbilden. Bei der Visualisierung dieser zusammengefassten Daten wurden schließlich die Momente der polaren Gammastrahlen deutlich – ebenso wie die Energiediskrepanz zwischen Nord und Süd.

„Die Untersuchung der solaren Gammastrahlungsemissionen ist ein neues Fenster, um die physikalischen Prozesse in der Atmosphäre unseres Sterns zu untersuchen und zu verstehen“, sagte Arsioli.

Weitere Enthüllungen erwartet

Bleibe man jedoch bei der kosmischen Strahlung, so der Astrophysiker weiter, könne diese mitunter auch als Fenster in die innere Sonnenatmosphäre dienen. Zudem verlangten die Ergebnisse womöglich einen neuen theoretischen Ansatz, der eine detailliertere Beschreibung der Magnetfelder der Sonne berücksichtigen sollte.

Letztendlich könnte ein möglicher Zusammenhang zwischen den solaren Gammastrahlen und dem Sonnenzyklus, den Sonneneruptionen und koronalen Massenauswürfen sowie dem Magnetfeld die physikalischen Modelle zur Vorhersage der Sonnenaktivität entscheidend verbessern. Diese wiederum bilden die Grundlage für Vorhersagen des Weltraumwetters, die ihrerseits für den Schutz von Instrumenten auf Satelliten im Weltraum sowie von Telekommunikations- und anderen elektronischen Infrastrukturen auf der Erde unerlässlich sind. Mit anderen Worten, ein besseres Verständnis der Sonne schützt die allgegenwärtige Technik auf der Erde.

„Im Jahr 2024 und im darauffolgenden Jahr werden wir ein neues Sonnenmaximum erleben. Eine weitere Inversion der magnetischen Pole der Sonne hat bereits begonnen. Wir erwarten, dass wir bis Ende 2025 neu bewerten können, ob der Umkehrung der Magnetfelder ein Überschuss an Gammastrahlenemissionen von den Polen folgt“, erklärte Arsioli. Seine Kollegin fügte hinzu:

„Wir haben den Schlüssel gefunden, um dieses Geheimnis zu lüften, und das zeigt uns, in welche Richtung wir in Zukunft gehen sollten.“

Und die solare Gammastrahlung habe wahrscheinlich noch mehr zu enthüllen: „Wenn feststeht, dass die hochenergetischen Emissionen tatsächlich Informationen über die Sonnenaktivität enthalten, dann sollte die nächste Mission so geplant werden, dass sie Echtzeitdaten der Gammastrahlen der Sonne liefert“, so Arsioli abschließend.

Die Studie erschien am 7. Februar 2024 im Fachmagazin „The Astrophysical Journal“.



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