Kollidierende Neutronensterne bringen Licht ins Dunkel des Universums und seiner Geheimnisse

Tote Sterne bringen Licht ins Dunkel des Universums: Anhand eines ungewöhnlichen Doppelsternsystems erhoffen sich Forscher neue Erkenntnisse über die Ausdehnung des Weltalls. Sollten die Neutronensterne kollidieren, wäre die freigesetzte Energie größer als die Leuchtkraft aller Sterne des Universums.
Neutronensterne treten auch in Doppelsternsystemen mit unterschiedlicher Masse auf.
Künstlerische Darstellung des neu entdeckten Neutronen-Doppelsternsystems PSR J1913+1102.Foto: Arecibo Observatory/University of Central Florida/William Gonzalez
Von 13. Juli 2020

Neutronensterne sind die toten stellaren Überreste einer Supernova. Sie bestehen aus der dichtesten bekannten Materie und senden an ihren Polen ständig fokussierte Röntgenstrahlen ins Weltall. Aufgrund ihrer enormen Rotationsgeschwindigkeiten von bis zu mehreren hundert Umdrehungen pro Minute erscheint die Strahlung wie präzise wiederkehrende „pulsierende“ Blitze.

Astronomen der University of Central Florida (UCF) und der University of East Anglia (UEA) haben nun einen außergewöhnlichen Pulsar entdeckt. „PSR J1913+1102“ ist Teil eines Doppelsternsystems, bei dem ein Partner deutlich größer ist als der andere. Sollten diese beiden Neutronensterne – wie vorhergesagt – kollidieren, setzt die Verschmelzung in einem Augenblick mehr Energie frei als alle Sterne des Universums zusammen.

In einer in „Nature“ veröffentlichten Studie beschreiben die Autoren, wie die beiden Neutronensterne in etwa 470 Millionen Jahren – ein kosmischer Augenblick – kollidieren können und dabei erstaunliche Energiemengen in Form von Gravitationswellen und Licht freisetzen. Aus ähnlichen Verschmelzungen erhoffen sich die Forscher zudem eine genauere Bestimmung der als Hubble-Konstante bekannten Expansionsrate des Universums.

Zehnmal mehr Energie als alle Sterne zusammen

„2017 entdeckten Wissenschaftler […] erstmals die Verschmelzung zweier Neutronensterne“, erklärte Forschungsleiter Dr. Robert Ferdman von der physikalischen Fakultät der UEA. Das Ereignis verursachte Gravitationswellen, wie sie Albert Einstein vor über einem Jahrhundert vorhergesagt hatte. Trotz seiner Entfernung von 130 Millionen Lichtjahren konnten Astronomen die Verschmelzung auf „normalen“ irdischen Teleskopen verfolgen.

Die während des Bruchteils einer Sekunde bei der Verschmelzung zweier Neutronensterne freigesetzte Energie ist enorm – schätzungsweise zehnmal größer als alle Sterne im Universum zusammen. Auch die meisten der schwersten Elemente im Universum, wie zum Beispiel Gold, entstünden in diesen wenigen Augenblicken. Während die 2017 beobachtete Verschmelzung  „GW170817“ nicht überraschte, barg die bei der Verschmelzung freigesetzte Menge an Materie und ihre Helligkeit ein unerwartetes Rätsel.

Dr. Ferdman erklärte zudem, dass solch kurze Gammastrahlenausbrüche auf die Verschmelzung zweier Neutronensterne zurückzuführen sein könnten.

„Eine sehr plausible Erklärung“

„Die meisten Theorien“, so Dr. Ferdman, „gingen davon aus, dass die Neutronensterne eines Doppelsternsystems sehr ähnliche Massen haben. Unsere neue Entdeckung ändert diese Annahmen. Mit PSR J1913+1102 haben wir ein Doppelsternsystem entdeckt, das zwei Neutronensterne mit sehr unterschiedlichen Massen enthält. Da ein Neutronenstern bedeutend größer ist, wird sein Gravitationseinfluss die Form seines Begleitsterns verzerren. […] Diese ‚Gezeitenzerrüttung‘ wirft eine größere Menge heißer Materie aus, als für Doppelsternsysteme gleicher Masse erwartet wird, was zu einer stärkeren Emission führt.“

„Obwohl GW170817 durch andere Theorien erklärt werden kann, können wir bestätigen, dass ein Muttersystem von Neutronensternen mit signifikant unterschiedlichen Massen, ähnlich dem PSR J1913+1102-System, eine sehr plausible Erklärung ist.“

Neben der Erklärung des 2017 beobachteten Phänomens gibt es jedoch eine „vielleicht noch wichtigere“ Entdeckung. Angesichts der neuen Erkenntnisse gehen Forscher davon aus, dass asymmetrische Neutronen-Doppelsternsysteme deutlich häufiger sind. Demnach könnte etwa jedes zehnte System aus Pulsaren unterschiedlicher Größe bestehen.

Koautor Dr. Paulo Freire vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn ergänzte: „Eine solche Störung würde es Astrophysikern ermöglichen, wichtige neue Hinweise auf die exotische Materie zu gewinnen, die das Innere dieser extremen, dichten Objekte ausmacht.“ Denn, so Dr. Freire weiter: „diese Materie ist immer noch ein großes Rätsel. Sie ist so dicht, dass [wir] immer noch nicht wissen, woraus sie eigentlich besteht.“

Bei einer Dichte von Dutzenden Tonnen pro Kubikzentimeter – bereits ein Teelöffel großer Neutronenstern könnte nur mit einem Schwerlasttransport bewegt werden – liegen diese Dichten „weit über dem, was wir in erdgebundenen Labors reproduzieren können.“

Ein Weg aus der Sackgasse zur Bestimmung der Hubble-Konstante

Die Zertrümmerung des leichteren Neutronensterns würde auch die Helligkeit des durch die Verschmelzung ausgestoßenen Materials erhöhen. „Aufregenderweise könnte dies auch eine völlig unabhängige Messung der Hubble-Konstante ermöglichen“, so Dr. Ferdman.

Die beiden Hauptmethoden der Messung der Hubble-Konstante, jener Geschwindigkeit, mit der sich das Universum ausdehnt, stehen derzeit im Widerspruch zueinander. Eine neue Berechnungsmethode sei daher ein „entscheidender Weg, um aus der Sackgasse herauszukommen und genauer zu verstehen, wie sich das Universum entwickelt hat.

(Mit Material der Universitäten von Central Florida (UCF) und der East Anglia (UEA))



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