1.500 Forscher weisen erstes unmögliches „mittelschweres“ Schwarzes Loch nach

Vor fünf Jahren gelang der erste Nachweis von Gravitationswellen, nun setzten dieselben Forscher noch eins drauf: Ein Signal, nicht länger als eine Zehntelsekunde, deutet nach sieben Milliarden Jahren auf die Existenz eines unmöglichen mittelschweren Schwarzen Lochs hin.
Titelbild
Standbild aus der Simulation der Verschmelzung zweier Schwarzen Löcher.Foto: N. Fischer, H. Pfeiffer, A. Buonanno (Max Planck Institute for Gravitational Physics), Simulating eXtreme Spacetimes (SXS) Collaboration
Von 3. September 2020

Exakt 100 Jahre nach Albert Einstein konnten Wissenschaftler 2015 erstmals Gravitationswellen von der Fusion zweier Schwarzer Löcher messen und bestätigten damit einen zentralen Baustein von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie.

Nun setzten die Forscher noch eins drauf: Sie registrierten die bislang älteste und massereichste Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher und ein erstes mittelschweres Schwarzes Loch. Die Anfang September publizierte Entdeckung könnte zu ganz neuen Erkenntnissen über die Entstehung von Schwarzen Löchern führen.

Die Forscher entdeckten das Signal „GW190521“ bereits am 21. Mai 2019 mit dem Laserinterferometer Gravitationswellenobservatorium („Ligo“) der National Science Foundation, einem Paar identischer, vier Kilometer langer Interferometer in den Vereinigten Staaten, und „Virgo“, einem drei Kilometer langen Detektor in Italien.

Ihre Erkenntnisse veröffentlichten die rund 1.500 Wissenschaftler des Ligo- und Virgo-Konsortiums in den beiden Fachzeitschriften „Physical Review Letters“ und „Astrophysical Journal Letters“.

Sieben Milliarden Jahre Nichts … und ein Knall

Gravitationswellen sind Verzerrungen der Raumzeit, die bei äußerst energiereichen Ereignissen im Universum entstehen – beispielsweise bei Sternenexplosionen oder kollidierenden Schwarzen Löchern. Anschließend breiten sie sich mit Lichtgeschwindigkeit ungebremst durchs All aus. Schwarze Löcher wiederum können entstehen, wenn das Leben eines Sterns in einer Supernova-Explosion endet.

Das Signal „GW190521“ stammt von der mutmaßlichen Kollision zweier Schwarzer Löcher mit der 65- beziehungsweise 85-fachen Masse der Sonne. Es dauerte ganze sieben Milliarden Jahre, bis das Signal die Erde erreichte. Das neu entstandene Schwarze Loch hat nach Angaben der Forscher die 142-fache Masse der Sonne. Der Rest – entsprechend etwa acht Sonnenmassen – wurde unter anderem in Form von Gravitationswellen ins Universum geschleudert.

Die Herkunft der verschmelzenden Schwarzen Löcher mit 65 und 85 Sonnenmassen ist ungeklärt. Möglicherweise sind sie selbst Produkte kosmischer Kollisionen. Foto: LIGO/Caltech/MIT/R. Hurt (IPAC)

Laut dem Ligo-Wissenschaftler Nelson Christensen dauerte das von den Observatorien erfasste Signal nur eine Zehntelsekunde. „Das sieht nicht sehr nach einem Zwitschern aus, was wir normalerweise feststellen“, sagte der Forscher am französischen Nationalen Zentrum für Wissenschaftliche Forschung (CNRS), und vergleicht das Signal mit Ligos erstem Nachweis von Gravitationswellen im Jahr 2015. „Das ist eher etwas, das ‚knallt‘, und es ist das gewaltigste Signal, das Ligo und Virgo je gesehen haben.“

Ein Schwarzes Loch von einigen hundert Kilometern Breite quer durch das halbe Universum sehen

Während die Ligo- und Virgo-Detektoren nach Gravitationswellen suchen, die die Erde durchqueren, suchen Algorithmen in den Daten nach interessanten Signalen. „Interessant“ sind bestimmte Muster, die aus bekannten ähnlichen Ereignissen stammen, und alles, was außergewöhnlich ist. Die jüngsten Entdeckung zählt zu Letzteren und eröffnete damit die – wenn auch sehr geringe – Chance, dass die Gravitationswellen aus etwas anderem als einer klassischen Verschmelzung entstanden sind.

„Die Messlatte für die Behauptung, wir hätten etwas Neues entdeckt, ist sehr hoch“, sagte Physik-Profesor Alan Weinstein vom California Institute of Technology (Caltech). „Typischerweise ist die einfachere Lösung die bessere, die in diesem Fall ein binäres schwarzes Loch ist.“ Aber was wäre, wenn etwas völlig Neues diese Gravitationswellen erzeugen würde? „Seit wir Ligo eingeschaltet haben, war alles […] eine Kollision von Schwarzen Löchern oder Neutronensternen“, erklärte Weinstein. „Dies ist das einzige Ereignis, bei dem unsere Analyse die Möglichkeit zulässt, dass es sich bei diesem Ereignis nicht um eine solche Kollision handelt.“

Spektakulär ist das Signal trotzdem: Die von den beiden Observatorien erfassten Gravitationswellen zählen als der erste direkte Nachweis für die Existenz von „mittelschweren“ Schwarzen Löchern mit einer 100- bis 100.000-fachen Sonnenmasse. Solche Schwarzen Löcher sind schwerer als diejenigen, die bei Sternenexplosionen entstehen, aber deutlich leichter als die supermassereichen Schwarzen Löcher, wie sie sich in den Zentren von Galaxien wie etwa in unserer Milchstraße finden lassen.

Der Ligo-Astrophysiker Karan Jani feierte insbesondere „das Vermögen, ein Schwarzes Loch von einigen hundert Kilometern Breite quer durch das halbe Universum“ zu entdecken. Er bezeichnete die Fusion als „eines der mächtigsten Ereignisse im Universum seit dem Urknall“. Die Tür habe sich zu einer „ganz neuen Welt“ geöffnet, sagte der Astrophysiker Stavros Katsanevas.

Eigentlich sind mittelschwere Schwarze Löcher gar nicht möglich …

Die Einzigartigkeit des Signals stellte die Forscher bei der Analyse vor einige Herausforderungen. Doch die neuen Erkenntnisse lohnten die Mühe – denn auch die Masse der beiden Schwarzen Löcher vor ihrer Fusion faszinieren die Astrophysiker.

Eigentlich können nach bisherigem Kenntnisstand beim Ende eines Sterns keine Schwarzen Löcher von 60 bis 120 Sonnenmassen entstehen. Denn Sterne dieser gewaltigen Masse würden bei Explosionen komplett auseinander brechen und nur Gas und Staub hinterlassen – so zumindest der bisherige Wissensstand. „Das ‚unmögliche‘ Schwarze Loch liegt jedoch genau in der Wüste der Schwarzen Löcher zwischen 100 und 1.000 Sonnenmassen“, sagte Professor Scott, leitender Forscher des Exzellenzzentrums für die Entdeckung von Gravitationswellen (OzGrav).

Wie haben sich also Schwarze Löcher mit 65- und 85-fachen Sonnenmassen gebildet? Eine Hypothese der Forscher ist, dass sie ihrerseits aus der Verschmelzung von weniger schweren Schwarzen Löchern entstanden sind.

Die Entdeckung stelle in jedem Fall die „gegenwärtigen Modelle zur Entstehung Schwarzer Löcher“ in Frage, sagt Virgo-Wissenschaftlerin Michela Mapelli: „Sie könnte zu einem Paradigmenwechsel in der Astrophysik der Schwarzen Löcher führen.“

(Mit Material des Nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung (CNRS), der Northwestern University, des Massachusetts Institute of Technology (MIT), der Australian National University, des California Institute of Technology (Caltech) sowie der University of Maryland)



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