Tycho Brahe verwendete bis dato unbekanntes chemisches Element

Tycho Brahe war vor allem für seine Beiträge zur Astronomie bekannt. Er besaß jedoch auch ein gut ausgestattetes alchemistisches Labor, in dem er geheime Medikamente für den europäischen Adel herstellte.
Tycho Brahe
Tycho Brahe war nicht nur ein Astronom, sondern auch Alchemist und Mediziner.Foto: Gemeinfrei
Von 15. August 2024

Eine dunkle, verborgene Kammer, ein Kessel voller mysteriöser, brodelnder Flüssigkeiten, der Stein der Weisen, Eisen, das zu Gold wird, fragwürdige Handlungen, unbekannte Elemente und im Verborgenen für einen reichen Auftraggeber arbeitend: So stellen sich viele Menschen die Arbeit eines Alchemisten vor.

Tatsächlich waren Alchemisten im Mittelalter die größten Geheimnishüter und teilten ihr Wissen fast nie mit anderen. Der dänische Astronom Tycho Brahe – ebenfalls ein Alchemist – war da keine Ausnahme. Nur eine Handvoll seiner alchemistischen Rezepte sind erhalten geblieben. Auch von seinem Labor ist heute kaum noch etwas übrig, nachdem man Uraniborg nach dem Tod des Astronomen im Jahr 1601 abreißen ließ.

Was genau sich vor über 400 Jahren in seinem Labor unter seinem Wohnhaus und Observatorium Uraniborg abspielte, ist daher unbekannt.

Observatorium Uraniborg von Tycho Brahe

Tycho Brahes Observatorium Uraniborg befand sich auf der schwedischen Insel Ven. Foto: Gemeinfrei

Bei einer Ausgrabung in den Jahren 1988 bis 1990 entdeckten Archäologen jedoch im alten Garten von Uraniborg einige Keramik- und Glasscherben. Für die Forscher war sofort klar: Diese Scherben müssen aus dem alchemistischen Labor von Tycho Brahe stammen. Wissenschaftler der Süddänischen Universität haben nun fünf dieser Scherben – vier aus Glas und eine aus Keramik – chemisch untersucht.

Was war in den Behältern von Tycho Brahe?

Um diese Frage beantworten zu können, nahmen Kaare Lund Rasmussen, Professor und Experte für Archäometrie, und seine Kollegen Proben von den Scherben und untersuchten diese auf ihre chemische Zusammensetzung. Bei vier Scherben wurden die Forscher auf Anhieb fündig, während die fünfte Scherbe – eine aus Glas – keinerlei Spurenelemente aufwies.

Doch woher wissen die Forscher, ob eine chemische Substanz für längere Zeit in den Behältern war oder später zufällig mit dem Gefäß in Kontakt kam? Der Schlüssel dazu sei die Höhe der Konzentration einer Substanz, so Rasmussen.

Gibt es von einem Element viele Spuren, deute dies auf eine bewusste, gezielte Anreicherung hin. Diese wiederum könnten dann Hinweise dazu geben, welche Substanzen Tycho Brahe in seinem Labor verwendet hat.

Portrait von Tycho Brahe

Portrait des Tycho Brahe. Der Maler ist unbekannt. Foto: Gemeinfrei

Bei den angereicherten Elementen handelt es sich in diesem Fall um Nickel, Kupfer, Zink, Zinn, Antimon, Wolfram, Gold, Quecksilber und Blei. Spuren dieser Elemente entdeckten die Forscher entweder auf der Innen- oder der Außenseite der Scherben.

Die meisten von ihnen sind für das Labor eines Alchemisten nicht überraschend. Gold und Quecksilber waren – zumindest in den oberen Schichten der Gesellschaft – allgemein bekannt und häufig vorhanden. Außerdem ist bekannt, dass diese nachweislich zur Behandlung vieler Krankheiten verwendet wurden. Doch die Anwesenheit von einem Element überraschte die dänischen Forscher.

Kontakt mit einer unbekannten Substanz

Die Rede ist von Wolfram (Elementsymbol W), dem weiß glänzenden Schwermetall aus der Chromgruppe. Wolfram war zu dieser Zeit noch nicht beschrieben und demzufolge unbekannt. „Was sollten wir also aus seinem Vorhandensein in Tycho Brahes Alchemiewerkstatt schließen?“, fragte Rasmussen.

Wolfram wurde erst mehr als 180 Jahre später von dem schwedisch-deutschen Chemiker Carl Wilhelm Scheele beschrieben und zwei Jahre später von den spanischen Elhuyar-Brüdern in reiner Form hergestellt. In der Natur kommt dieses Element in bestimmten Mineralien wie Wolframit (Mn, Fe)WO4 und Scheelit CaWO4 vor.

Wolframit ((Fe,Mn)WO4) ist eine Mischung aus den Mineralien Ferberit und Hübnerit. Foto: rep0rter/iStock

Möglicherweise gelangte das Element ebenfalls als Mineral ins Labor von Tycho Brahe. Dort könnte es einer Bearbeitung unterzogen worden sein, wobei sich das Wolfram abtrennte – vielleicht ohne dass Tycho Brahe dies bemerkte.

Doch laut Rasmussen könnte es auch eine andere, plausible Möglichkeit geben, allerdings ohne handfeste Beweise zu haben. Jene Spur führt in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts zu dem deutschen Mineralogen Georgius Agricola. Dieser beschrieb etwas Seltsames in sächsischem Zinnerz, das Probleme bei der Verhüttung von Zinn verursache. Agricola nannte diese seltsame Substanz im Zinnerz „lupi spuma“ – Wolf(s)-Schaum –, weil sie das Erz wie ein Wolf auffraß. In Verbindung mit dem mittelhochdeutschen „rām“ für Ruß oder Dreck entstand daraus später der Name Wolfram.

„Vielleicht hatte Tycho Brahe davon gehört und wusste daher von der Existenz von Wolfram. Aber das ist nichts, was wir wissen oder auf der Grundlage der von mir durchgeführten Analysen sagen können. Es ist lediglich eine mögliche theoretische Erklärung dafür, warum wir Wolfram in den Proben finden“, erklärt Rasmussen.

Tycho Brahe als Alchemist und Mediziner

Tycho Brahe gehörte zu dem Zweig der Alchemisten, die – inspiriert durch den deutschen Arzt Paracelsus – versuchten, eine Medizin für verschiedene Krankheiten der damaligen Zeit zu entwickeln. Zu diesen gehörten neben der Pest auch Syphilis, Lepra, Fieber und Magenschmerzen. Diese Forschung schien ihm wichtiger als jene von Kollegen, die aus minderwertigen Mineralien Gold herstellen wollten.

Wie die anderen medizinischen Alchemisten seiner Zeit behielt er seine Rezepte für sich und gab sie nur an wenige ausgewählte Personen weiter. Einer der Eingeweihten war sein Gönner und Unterstützer Kaiser Rudolf II. Dieser soll von Tycho Brahe das Rezept für eine Medizin gegen Pest erhalten haben.

Gönner von Tycho Brahe: Kaiser Rudolf II

Kaiser Rudolf II. (1552–1612) gilt als Förderer von Kunst und Wissenschaft, aber auch als schwacher Herrscher. Foto: Gemeinfrei

Doch die Herstellung dieser Pestmedizin von Brahe muss kompliziert gewesen sein. So enthielt sie neben Theriak, einem Standardmittel für diese Zeit, bis zu 60 weitere Zutaten, darunter Schlangenfleisch und Opium. Außerdem enthielt sie Kupfer- oder Eisensulfate sowie verschiedene Öle und Kräuter. Dass mitunter giftige Substanzen enthalten waren, ist ebenfalls nicht ungewöhnlich. Hier handelten die Alchemisten getreu Paracelsus‘ Regel: „Die Dosis macht das Gift.“

Nach verschiedenen Filtrationen und Destillationen soll man das erste der drei Brahe’schen Rezepte gegen die Pest erhalten haben. Dieses soll durch die Zugabe von Tinkturen aus Korallen, Saphiren, Hyazinthen oder trinkbarem Gold noch wirksamer gewesen sein.

In einer früheren Studie hatte Rasmussen Haare und Knochen von Tycho Brahe analysiert und neben anderen Elementen auch Gold gefunden. Dies könnte darauf hindeuten, dass Tycho Brahe selbst Medizin eingenommen hatte, die trinkbares Gold enthielt.

Alchemie und Astronomie: Die Lehre der Materie

Es mag zunächst seltsam erscheinen, dass sich Tycho Brahe sowohl mit Astronomie als auch mit Alchemie beschäftigte. Doch ein Blick auf die Weltanschauung der damaligen Zeit offenbart eine klare Verbindung.

So glaubte Brahe, dass es offensichtliche Verbindungen zwischen den Himmelskörpern, irdischen Substanzen und den Organen des Körpers gab. So waren Sonne, Gold und Herz miteinander verbunden, ebenso wie Mond, Silber und Gehirn; Jupiter, Zinn und Leber; Venus, Kupfer und Nieren; Saturn, Blei und Milz; Mars, Eisen und Gallenblase sowie Merkur, Quecksilber und Lunge.

„Auch Mineralien und Edelsteine konnten mit diesem System in Verbindung gebracht werden. So gehörten Smaragde zum Beispiel zu Merkur“, erklärte Koautor Poul Grinder-Hansen.

Die Tuschezeichnung von Pieter Bruegel dem Älteren zeigt Alchemisten bei der Arbeit. Foto: Gemeinfrei

Die Studie erschien am 25. Juli 2024 in der Zeitschrift „Heritage Science“.



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