Schweizer „Maulwürfe“ machen Korrosion in Stahlbeton sichtbar

Ob Tunnel, Stützmauern oder Brücken – viele Stahlbetonbauwerke sind bedroht, denn Korrosion macht sie unstabil wie die Carolabrücke in Dresden. Schweizer Forscher haben eine Technik entwickelt, um Schäden auch an schwer zugänglichen Stellen zerstörungsfrei zu prüfen.
Schweizer „Maulwürfe“ machen Korrosion in Stahlbeton sichtbar
Mit einer neuen Methode aus der Schweiz könnten zukünftig Korrosionen in Stahlbetonbauwerken frühzeitig erkannt werden, bevor es zu Schäden wie hier in Dresden kommt.Foto: Heiko119/iStock
Von 30. Januar 2025

Seit dem Teileinsturz der Carolabrücke in Dresden am Morgen des 11. September 2024 blicken Ingenieure und Passanten skeptisch auf Bauwerke aus Stahlbeton. Zwar gilt Stahl als unverwüstlich, doch der Zahn der Zeit setzt auch dem stärksten Material zu.

Wie Brückenexperten und Techniker der TU Dresden bescheinigen, spielte Korrosion beim Einsturz der zwischen 1967 und 1971 gebauten Carolabrücke eine entscheidende Rolle. 86 weitere Brücken in Sachsen seien in einem ähnlichen oder noch schlechteren Zustand. Die Dunkelziffer könnte jedoch höher liegen, da tiefe Einblicke in die Bausubstanz erschwert oder nicht immer möglich sind.

Abhilfe könnten nun Schweizer „Maulwürfe“ schaffen, die eine neue Methode zur Erkennung von Korrosion entwickelt haben. Mit ihrer Entwicklung ist sogar ein Blick in bislang unzugängliche Stellen möglich.

Wenn der Stahlbeton bröckelt

„Bitte das Kabel zurückziehen“, sagt Lukas Bircher von der ETH Zürich ins Funkgerät. Das Kabel seiner Sonde hat sich in dem 4 Meter tiefen Zugangsschacht in der Metallleiter verhakt. Bircher wartet, das Funkgerät knackt. Jetzt hat ihn sein Kollege Samuel Ballat gehört, der 30 Meter entfernt im nächsten Zugangsschacht einer Stützmauer kauert und das andere Kabelende hält. Das Kabel ruckelt, Bircher kann es befreien. Jetzt kann die Arbeit beginnen.

An diesem kalten Novembermorgen messen Bircher und sein Team, ob die 200 Meter lange Stützmauer an der Waidbadstraße in Zürich noch hält. Genauer: Sie untersuchen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass der eingebaute Bewehrungsstahl, der den Beton stabiler macht, korrodiert.

Schließlich muss die Züricher Stützmauer zig Tonnen Erdmaterial zurückhalten. Oberhalb davon befinden sich Schrebergärten, unterhalb die Straße mit Bushaltestelle. Damit die Mauer dem Druck standhält, muss der Bewehrungsstahl fest mit dem Fundament verbunden sein. Wenn die Korrosion den Verbindungsstahl beschädigt, könnte die Mauer schlimmstenfalls einstürzen.

Stahlbeton kommt heute regelmäßig zum Einsatz

Bis heute werden unzählige Gebäude mit Beton und Bewehrungsstahl gebaut. Foto: MykolaSenyuk/iStock

Um solche Risiken zu minimieren, haben der Maschinenbauingenieur Bircher und seine Kollegen eine innovative Methode entwickelt. Sie ermöglicht es, Korrosion im Bewehrungsstahl genau zu verorten, ohne die Mauer aus Stahlbeton zu beschädigen.

50 Jahre nach dem Bauboom – nun rostet’s

Bisher war eine Korrosionsprüfung des Bewehrungsstahls nur möglich, indem stellenweise die gesamte darüberliegende Betonschicht abgetragen wird. „Dann kann es aber immer noch sein, dass zwei Meter weiter der Bewehrungsstahl zu einem großen Teil wegkorrodiert ist“, erklärt Bircher. Mit der neuen Methode ließe sich aber die Korrosionswahrscheinlichkeit über die ganze Länge einer Baustruktur bestimmen. Gemessen wird in Zürich durch die Entwässerungsrohre, die unmittelbar neben den kritischen Stellen verlaufen.

„Wenn man sich in ganz Mitteleuropa umschaut, wurde die Infrastruktur hauptsächlich zwischen 1960 und 1980 gebaut“, so Bircher. Stützmauern, Tunnel, Brücken – all diese Stahlbetonbauten können mit der Zeit korrodieren. Zuerst finden chemische Veränderungen im Beton statt, danach beginnt der Bewehrungsstahl zu korrodieren. Besonders Stützmauern aus den 70er-Jahren könnten Hohlräume enthalten, wenn die Gesteinskörnung nicht genügend mit Mörtel umgeben ist. Dies begünstigt Korrosion.

Dieses Korrosionsrisiko wird heute, rund 50 Jahre nach dem Bauboom, akut. Das Risiko zu erkennen, ist jedoch anspruchsvoll, da die Schäden oft ungleichmäßig verteilt sind. Im Fall der Stützmauer an der Züricher Waidbadstraße befinden sich die kritischen Punkte außerdem tief unter der Erde im Fundament und auf der Rückseite der Mauer. Eine umfassende, effiziente und günstige Untersuchungsmethode musste her.

Die Carolabrücke im März 2023. Foto: Bybbisch94, Christian Gebhardt, Wikimedia Commons | CC BY-SA 4.0

Frühwarnsystem aus der Schweiz

Birchers neue Methode basiert auf sogenannten elektrochemischen Messungen. Die Sonde, die sein Team für die Inspektion entwickelt hat, besteht aus zwei aufblasbaren Dichtungselementen an den Seiten sowie Elektroden in der Mitte. Dazu kommt eine Wasserleitung, die im zugehörigen Kabel integriert ist.

Zur Messung ziehen Bircher und seine Kollegen die Sonde über das Kabel in das Drainagerohr und pumpen die Dichtungen auf, damit sie sich fest an die Rohrwände anlegen. Anschließend leiten sie Wasser in den abgedichteten Bereich. Das Wasser fließt durch die Löcher der Entwässerungsleitung hinaus und verbindet die Elektroden in der Sonde mit dem Boden.

Durch die Feuchtigkeit im Boden und im Beton entsteht eine elektrolytisch leitende Verbindung zum Stahl im Mauerwerk. So bildet sich eine lokale elektrochemische Messzelle. „Mit der Messzelle zeichnen wir elektrische Signale auf, die unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob der Bewehrungsstahl korrodiert ist oder nicht. Bei starker Korrosion laufen andere chemische Reaktionen im Beton ab und erzeugen erkennbare elektrische Signale“, erklärt Bircher.

Alle 25 Zentimeter vermisst das Team die Mauer. Daraus erschließt sich der Zustand des Bewehrungsstahls für den gesamten Mauerabschnitt – ein Frühwarnsystem für Korrosion. Entdeckt das Team in einem Abschnitt der Mauer tatsächlich Korrosion, lässt sich der betroffene Bereich gezielt reparieren. „Wir haben in der Schweiz über 1.000 Kilometer potenziell teilkorrodierter Mauern, die noch einige Jahrzehnte halten müssen. Daher ist es wichtig, gezielt die Abschnitte zu entdecken, die eine Gefahr darstellen“, erklärt Bircher.

Korrosion in Stahlbeton bedeutet eine aufwendige Sanierung

Sanierung der Augustusbrücke in Dresden von 2017 bis 2022. Foto: tupungato/iStock

Maulwürfe für Stahlbeton

Die ersten Messungen mit ihrem Prototyp verliefen positiv. Derzeit legt Bircher den Grundstein für sein Start-up-Unternehmen namens TALPA-Inspection, um seine Methode künftig an den Mann bringen zu können. Mit „Talpa“ – das ist der wissenschaftliche Name für Maulwürfe – will Bircher zum Schutz beitragen.

Zudem bastelt Bircher fleißig weiter an technischen Verbesserungen. „Wir wollen die Messung künftig mehr automatisieren und die Inspektionssonde robuster machen“, so der Maschinenbauingenieur.

Mit ihrer neuen Methode zeigen die Ingenieure, dass nicht immer eine brandneue Technologie nötig ist, denn solche elektrochemischen Messungen gibt es schon lange. Es bedurfte lediglich einer neuen schlauen Idee, um die Messzelle in die Rohre zu bringen und die gemessenen Werte zu lesen. Das haben Bircher und seine Kollegen nun geschafft.

Würde die Stützmauer auf die althergebrachte Weise geöffnet und untersucht, bräuchte das mehrere Tage – und eine Baustelle. Das Talpa-Team dagegen benötigt knapp einen Tag und ist dabei nicht auf Zufallstreffer angewiesen wie bei der traditionellen stichprobenartigen Methode. Ist ihr Start-up erfolgreich, könnten künftig Bauten aus Stahlbeton mit dieser Methode innerhalb eines Tages auf Herz und Nieren getestet und Menschen vor möglichen Gefahren geschützt werden.

(Mit Material der ETH Zürich)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion