Containerschiffe durch Raketen ersetzen? Kapitän kontert SpaceX-Vision
Nach dem erfolgreich missglückten achten Start einer „Starship“-Rakete hat SpaceX Höhenluft geschnuppert. Im „All In“-Podcast stellten sich die Vorstandsmitglieder Antonio Gracias und Gavin Baker den Fragen und erklärten die spektakuläre Explosion der bis dato größten und schwersten Rakete zum Vorboten einer neuen Ära.
„Das Transportwesen ändert sich generell“, sagte Gracias. „Wenn man von New York City nach Tokio fliegen will, dauert das nicht mehr einen Tag, sondern nur noch ein paar Stunden. Das ist außergewöhnlich.“ In weniger als fünf Jahren könne man damit Containerschiffe ersetzten und die Ladung binnen Stunden statt Wochen über die Weltmeere transportieren, so die Vorstellung. „[Alles] wird auch auf der Erde schneller transportiert.“
Diesem Bild entschieden widerspricht der ehemalige Supertanker-Kapitän und Betreiber des Blogs gCaptain.com, John Konrad. In seinem Beitrag analysiert er, was nötig wäre, um containerweise Fracht durch die Luft zu schießen. Dass Containerschiffe das genau entgegengesetzte Prinzip verfolgen, seien ihr größter Vorteil und der Grund, warum sie so erfolgreich sind.
Nischenmarkt Luftfracht
„Bevor wir der Fantasie freien Lauf lassen, sollten wir einen Schritt zurücktreten und einen Blick auf die Physik werfen. Packen wir die berauschende Geschichte der Raketenfracht aus und stellen sie dem unrühmlichen, aber unbeugsamen Arbeitspferd des Welthandels gegenüber: dem bescheidenen Containerschiff“, schreibt Konrad und stellt damit die Ausgangssituation klar.
Fakt ist, etwa 90 Prozent aller Waren werden per Schiff transportiert. Dazu schwimmen weit über 100.000 Frachtschiffe auf Flüssen und Meeren. Wichtigste Ladung ist dabei mit Abstand Öl. Kohle, Erze, Getreide und Container folgen. Den Transport auf dem Luftweg – bisher im Flugzeug – treten vorwiegend hochwertige und dringende Waren an, einschließlich Ersatzteilen und Medikamenten.
Im Jahr 2014 transportierten Schiffe nicht nur bedeutend mehr Waren, sondern diese auch weiter: Laut Daten der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) belief sich das Gewicht aller beförderten Waren auf etwa 9,84 Milliarden Tonnen bei einer durchschnittlichen Strecke von knapp 9.900 Kilometern. Daraus ergibt sich ein Transportaufkommen von über 97,3 Billionen Tonnen-Kilometern (tkm). Etwa 15,8 Billionen tkm entfielen dabei auf Container.
Im selben Zeitraum wurden laut International Air Transport Association (IATA) etwa 32,8 Millionen Tonnen Fracht über jeweils etwa 5.100 Kilometer transportiert. Das entspricht 167,3 Milliarden tkm oder etwa 1,7 Prozent der Seefracht. Obgleich sich die Frachtvolumina in beiden Bereichen weiterentwickelt haben (2021: See: 10,98 Mrd. Tonnen; Luft: 65,6 Mio. Tonnen), bleibt das Verhältnis vergleichbar und die Luftfracht bezogen auf die Masse der transportierten Waren ein Nischenmarkt.
Eine Frage der Zeit und des Geldes
Die unterschiedliche Nutzung der Verkehrswege Wasser und Luft ist direkte Folge der jeweiligen Transportkosten. Während ein 25 Tonnen schwerer Container im Regelfall für etwa 1.500 Euro über die Weltmeere schippert, kann man für diesen Preis nur etwa eine halbe Tonne im Flugzeug transportieren. Somit kostet der Container Luftfracht etwa 75.000 Euro oder das 50-Fache der Seefracht. Die Kosten für den Transport per Rakete sind indes wortwörtlich astronomisch.
Der Start einer Falcon-9 kostet etwa 67 Millionen Dollar, genauer gesagt derzeit etwa 62,5 Mio. Euro. Für eine niedrige Erdumlaufbahn beträgt die Nutzlast dabei 22,8 Tonnen und entspricht damit in etwa der eines 40-Fuß-Standardcontainers von 26,76 Tonnen. Daraus errechnen sich geschätzte Transportkosten von etwa 2.741 Euro. Pro Kilogramm.
Das jüngst explodierte Starship soll seinerseits bis 150 Tonnen Nutzlast und damit potenziell 5,6 Container befördern. Trifft Elon Musks Vorhersage ein, die Startkosten auf 10 Millionen Dollar (9,34 Mio. Euro) pro Start zu senken, betragen die Kosten etwa 1,67 Millionen Euro pro Container oder 62,2 Euro pro Kilogramm. Vorausgesetzt, die Nutzlast wird voll ausgenutzt und das Volumen spielt keine Rolle, denn neben Standard-Containern gibt es eine Reihe an Sonderformen für verschiedene Ladungen.
Bei sage und schreibe etwa tausendfach höheren Kosten ist es „also lächerlich teuer“, stellt Konrad fest. Der Kapitän ergänzt: „Selbst, wenn Musks Team die Kosten auf ein Zehntel senken kann – was durchaus möglich ist, da interkontinentale Lieferungen nicht den ganzen Weg bis in den Weltraum zurücklegen müssen – sind das nach seiner kühnsten Schätzung immer noch 178.500 Dollar [≈ 167.000 Euro] pro Container.“ Dafür wäre die Ware idealerweise nur wenige Stunden unterwegs.
Transportkosten [in Euro] | pro kg | pro Container | Transportzeit |
per Schiff | 0,06 | 1.500 | ~ 3 Wochen |
per Flugzeug | 5 | 75.000 | ~ 3 Tage |
per Rakete, aktuell (Falcon-9) | 2.741 | 62,5 Mio. | ~ 3 Stunden |
per Rakete, Prognose (Starship) | 62,2 | 1,67 Mio. | ~ 3 Stunden |
Ein gewichtiges Problem
Die größten Containerschiffe fassen derzeit über 24.000 20-Fuß-Container (TEU). Würde die Ladung eines solchen Schiffes per Rakete transportiert, wären dafür etwa 4.300 Starts (und Landungen) des „Starships“ nötig. Zum Vergleich: Die kleineren Falcon-9-Raketen absolvierten laut SpaceX bislang (Ende Mai 2023) 226 Starts. Landungen erfolgten 184. 160 Mal konnten Raketen erneut abheben.
Starship-Prototypen sind bisher achtmal gestartet. Von sechs Landungen erfolgten je drei „weich“ sowie „hart“. Der jüngste Flug am 20. April 2023 endete nach 3 Minuten 58 Sekunden explosiv. Die Reste stürzten in den Golf von Mexiko.
Es gibt jedoch ein anderes gewichtiges Problem: Treibstoff. Eine 70 Meter hohe Falcon-9 wiegt beim Start etwa 550 Tonnen, sprich das 24-fache der Nutzlast. Entsprechende Angaben zum Starship fehlen. Bei analoger Berechnung belaufen sie sich auf 3.600 Tonnen. SpaceX gibt seinerseits eine Treibstoffkapazität von 1.200 Tonnen an. Der Super-Heavy-Booster verfügt gar über 3.400 Tonnen Treibstoff, sodass die gemeinsame Startmasse bei (weit) über 7.000 Tonnen liegen dürfte.
Das Nonplusultra der Energieeffizienz
In einer Zeit, in der Schiffskapitäne langsamer fahren oder Unwetter umrunden, um Treibstoff zu sparen und Emissionen zu senken, erscheint die Aussicht, derart große Mengen an Raketentreibstoff zu zünden, mehr als widersprüchlich.
Auch Containerschiffe wie die „Ever Given“ benötigen tonnenweise Treibstoffe, einmal Nachtanken erfordert etwa 10.000 Tonnen Dieselöl. Dafür transportiert sie allerdings 10.000 Container mit etwa 200.000 Tonnen Fracht und selbst dann muss sie nicht in jedem Hafen wieder an die Zapfsäule. Damit sind (Container-) Schiffe die mit Abstand energieeffizientesten und günstigsten Transportmittel der Welt. Ein Fakt, der sich in den weltweiten Frachtzahlen spiegelt.
Konrad bezeichnet Containerschiffe damit als „eine der transformativsten Innovationen der Menschheitsgeschichte“. Sie haben „die Art und Weise, wie Waren rund um die Welt transportiert werden, dramatisch verändert, Milliarden von Menschen aus der Armut geholt und dienen als Rückgrat des globalen Handels. […] Bei der jüngsten Begeisterung über die Zukunft der Logistik scheinen diese beeindruckenden Zahlen jedoch übersehen zu werden.“
Containerschiffe fahren nicht bergauf
Das Geheimnis der Effizienz von Schiffen ergibt sich indes nicht einfach aus der reibungsarmen Umgebung des Wassers. Sie liegt vielmehr in der zugrunde liegenden Physik des Warentransports begründet. Wenn ein Kilogramm Fracht per Schiff transportiert wird, muss es nicht vertikal angehoben werden, wodurch ein erheblicher Energieaufwand entfällt. Außerdem bewegen sich Schiffe langsamer als andere Transportmittel, was ebenfalls zur Energieeffizienz beiträgt.
Hier liegt das entscheidende Argument: Schiffe fahren nicht bergauf. Sie gelangen ohne Hügel und Täler von einem Kontinent zum nächsten.
Eine raketengetriebene Frachtlogistik hingegen widerspricht diesen grundlegenden Prinzipien der Energieeffizienz. Das liegt insbesondere an der Transportrichtung, denn anders als Schiffe müssen Raketen zunächst senkrecht nach oben fliegen. Ähnlich wie auf dem Fahrrad erfordert das Bergauffahren, genauer gesagt analog der Raketenstart und die -landung, die meiste Energie.
Dieser Energieaufwand ist um ein Vielfaches höher als der von Schiffen. Ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf die Umwelt, wenn riesige Mengen an Raketentreibstoff in luftiger Höhe verbrannt werden. Laut Konrad könnte ein einziger Start möglicherweise die Umweltvorteile der ganzen Tesla-Fahrzeugflotte zunichtemachen.
„Dieser kolossale Energiebedarf unterstreicht die unüberwindbare Herausforderung, Raketenstarts für den Frachttransport zu skalieren.“
Hinzu kommt, die Vorstellung, dass Milliarden Tonnen Fracht am Himmel schweben und die damit verbundenen ernsten Sicherheitsbedenken.
Raketen beflügeln Fantasie statt Fracht
„Die Verlockung einer futuristischen Logistik, von Drohnenlieferungen bis hin zu Raketenfracht, ist unbestreitbar. Allerdings scheint die derzeitige Erzählung an der Realität der Energieeffizienz, den Grenzen der Infrastruktur und der wirtschaftlichen Machbarkeit vorbeizugehen“, stellt Kapitän John Konrad zusammenfassend fest.
Das können auch noch so viele Milliarden nicht ändern. Solange Elon Musk nicht das Geheimnis der Überwindung der Schwerkraft selbst lüftet, sei davon auszugehen, dass Raketen einfache Containerschiffe niemals wirklich ersetzen werden. Dies stelle jedoch „ein alarmierendes Paradoxon dar“: Die Verkehrsmittel mit der schrecklichsten Energieineffizienz werden von Investoren und Regierungen gleichermaßen mit Forschungs- und Entwicklungsgeldern überschwemmt. Die energieeffizientesten Transportmittel, die unbesungenen Helden des globalen Logistiknetzes, lässt man dagegen ohne Technologie und Kapital (ver)hungern.
„Während es in der Logistik immer Raum für Verbesserungen und Innovationen gibt, scheint das Konzept des Frachttransports mit Raketen eher ein Hirngespinst zu sein als eine praktikable Lösung“, so Konrad abschließend. „Das bescheidene Containerschiff hat sich trotz seines prosaischen Images bewährt und ist nach wie vor das Arbeitspferd des globalen Handels. […] Zumindest im Moment sieht es so aus, als ob das Containerschiff hierbleiben wird.“
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