Schimmelpilze im Edelrestaurant: Zwei-Sterne-Chemiker serviert Lebensmittelabfälle
Altes Brot mit Schimmel: So etwas wandert in einem gewöhnlichen Haushalt in die Mülltonne. Mit dem passenden Pilz könnten Lebensmittelabfälle zu „kulinarischen Köstlichkeiten“ werden – zumindest für den gelernten Koch und Chemiker Vayu Hill-Maini. Zusammen mit seinem Kollegen Rasmus Munk betreibt er das Restaurant „Alchemist“ in Kopenhagen, Dänemark, und das „Blue Hill“ in New York, USA.
In diesen Lokalen, ausgezeichnet mit zwei Michelin-Sternen, bekommen Gäste beispielsweise ein Dessert aus orangefarbenem Neurospora-Schimmel auf Reis. Gebraten rieche und schmecke es nach geröstetem Käsebrot, so die Köche. Möglich machen die geschmackliche Kreation die Schimmelpilze, die speziell für diesen Zweck auf Getreide und Hülsenfrüchten gezüchtet werden. Doch das soll nur der Anfang sein.
Verschwendung im industriellen Ausmaß
Inzwischen arbeitet Hill-Maini zusammen mit Professor Jay Keasling, Chemiker und Molekularbiologe an der Universität Berkeley, um mehr über den Schimmelpilz „Neurospora intermedia“ zu lernen. Dieser wird bereits seit Jahrhunderten in der traditionellen indonesischen Küche verwendet, um „Oncom“, eine Art Sojabrei, herzustellen. Das Ziel von Vayu Hill-Maini: Den Pilz für westliche Gaumen schmackhaft machen.
„Unser Lebensmittelsystem ist sehr ineffizient. Allein in den USA wird etwa ein Drittel aller produzierten Lebensmittel verschwendet, und das sind nicht nur die Eierschalen im Müll. Es handelt sich um ein industrielles Ausmaß“, sagte Hill-Maini. „Was passiert mit all dem Getreide, das im Brauprozess verwendet wurde, mit all dem Hafer, der nicht in die Hafermilch gelangt ist? Das wird weggeworfen.“
Als ein indonesischer Kollege ihm fermentiertes Oncom vorstellte, entdeckte er für sich, dass „dies ein schönes Beispiel dafür ist, wie wir Abfälle nehmen, sie fermentieren und daraus verträgliche Nahrung herstellen können“, so Hill-Maini. Dieses Potenzial wollen die Köche weiter ausschöpfen. Seit Jahrtausenden verzehren Menschen aus vielen Kulturen Lebensmittel, die durch Pilze umgewandelt wurden: Alkohol, Quark oder Blauschimmelkäse.
Zusammen mit Prof. Jay Keasling untersuchte Hill-Maini die Verwandlungskünste von Schimmelpilzen und zeigt in einer Studie, wie die Pilze 30 verschiedene Arten von Pflanzenabfällen chemisch verändern.
Nahrhafter Snack in 36 Stunden
In ihrer Studie fanden die Chemiker heraus, dass die Pilze unverdauliches Pflanzenmaterial – Polysaccharide, darunter Pektin und Zellulose, die aus der pflanzlichen Zellwand stammen – innerhalb von etwa 36 Stunden in verdauliche und nährstoffreiche Lebensmittel verwandeln.
„Der Pilz ernährt sich von diesen Stoffen und stellt dabei nicht nur diese Nahrung her, sondern auch mehr von sich selbst, was den Proteingehalt erhöht“, erklärte Vayu Hill-Maini. „So kommt es zu einer Veränderung des Nährwerts. Auch der Geschmack verändert sich, da unerwünschte Noten von Sojabohnen verschwinden.“
Doch nicht nur Sojabrei könne als Grundlage verwendet werden, sondern auch andere landwirtschaftliche Abfälle: von Zuckerrohrbagasse und Tomatentrester bis zu Mandel- und Bananenschalen. Laut den Forschern entstünden dabei nicht einmal Giftstoffe.
„Wir haben festgestellt, dass diese Pilzstämme Unverdauliches besser abbaubar machen können. Es scheint also einen einzigartigen Weg für Abfall zu geben – vom Müll zum Schatz“, so der Koch. Als Nächstes möchte Hill-Maini erforschen, ob die Schimmelpilze auch andere Abfallprodukte zu einem verträglichen Lebensmittel abbauen können. Aber schmeckt das den gewöhnlichen Restaurantbesuchern auch?
Schimmelpilze als Dessert
„Menschen, die dieses Essen noch nie probiert hatten, schrieben ihm grundsätzlich positive Eigenschaften zu: erdig, nussig, pilzartig“, erklärte Hill-Maini. „Sie bewerteten es durchweg mit über sechs von neun Punkten.“
Eine weitere kulinarische Kreation der Köche sind Schimmelpilze auf Erdnüssen, Cashewnüssen und Pinienkernen. Diese sollen ebenfalls von allen als schmackhaft eingestuft worden sein. „Der Geschmack ist nicht so intensiv wie der von Blauschimmelkäse, eher mild und eine wohlschmeckende Art von Umami“, so Hill-Maini.
Weitere Kreationen dieser Art sind unter anderem ein Burger aus Hafermilchabfällen mit Cashew-Avocado-Soße oder ein Dessert aus Pflaumensaft mit ungesüßtem Reispudding. Letzteres haben die Köche 60 Stunden lang fermentiert und kalt serviert, „gekrönt mit einem Tropfen Limettensirup aus gerösteten Limettenschalenresten“.
„Ich fand es umwerfend, plötzlich Geschmacksrichtungen wie Banane und eingelegte Früchte zu entdecken, ohne etwas anderes als den Pilz selbst hinzuzufügen. Ursprünglich wollten wir ein herzhaftes Gericht kreieren. Allerdings hat uns das Ergebnis dazu bewogen, es stattdessen als Dessert zu servieren“, erinnerte sich Kochkollege Rasmus Munk.
Die Studie erschien am 29. August 2024 in der Zeitschrift „Nature Microbiology“.
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