Künstlicher Winterschlaf: Menschen per Ultraschall ein- und ausschaltbar?

Die Natur macht es vor. Medizin, Raumfahrt und mehr wollen es: Forscher haben erstmals Tiere in einen winterschlafähnlichen Zustand versetzt, die keine natürliche Veranlagung dazu haben.
Vom Koma zum Winterschlaf.
Vom Koma zum Winterschlaf ist der Weg der Medizin vielleicht nicht mehr weit.Foto: iStock
Von 10. Juni 2023

Der Winterschlaf ist ein energiesparender Zustand, in dem Tiere ihre Stoffwechselrate und Körpertemperatur drastisch senken, um raue Umweltbedingungen zu überleben. Forschern um Hong Chen, außerordentlicher Professorin für Biomedizintechnik an der Washington University in St. Louis, ist es gelungen, diesen Zustand künstlich herbeizuführen. – Auch bei Säugetieren, die gewöhnlich ganzjährig aktiv sind.

Dazu haben die Wissenschaftler die Gehirne von Mäusen und Ratten mit Ultraschallsignalen bestrahlt, um sie in einen winterschlafähnlichen Zustand zu versetzen. Eines Tages, so die Forscher, könnte diese Technik auch bei Menschen eingesetzt werden. Mögliche Anwendungen sehen sie nach Verletzungen, in der Intensivpflege oder bei Astronauten. Existiert die Technik einmal, sind jedoch auch weitere Anwendungsfelder einschließlich kriegerischer Maßnahmen nicht auszuschließen.

Winterschlaf wider die Natur

In ihrer Ende Mai veröffentlichten Studie berichten Chen und Kollegen von der erstmaligen „nicht-invasiven, präzisen und sicheren Herbeiführung eines torporähnlichen hypothermischen und hypometabolischen Zustands“. Torpor ist die lateinische Bezeichnung für den physiologischen Schlafzustand der Hunger- beziehungsweise Winterstarre. Anders als der freiwillige Winterschlaf, auf den sich Tiere vorbereiten können, ist Torpor mehr eine Schutzreaktion des Organismus, um Zeiten besonders widriger Temperaturen oder knappen Nahrungsangebots zu überstehen.

Während dieser Phase verlangsamt sich ihre Herzfrequenz von bis zu mehreren Hunderten Schlägen pro Minute auf eine Handvoll. Sie atmen einmal alle zehn Minuten oder mehr und ihre Gehirnaktivität sinkt auf ein Niveau, bis sie nicht mehr nachweisbar ist. Tatsächlich führen sie dabei so wenige unbewusste Funktionen aus, dass viele Tiere, die Winterschlaf halten, in regelmäßigen Abständen aufwachen müssen, um wieder richtig schlafen zu können.

Um die Versuchstiere in einen solchen Zustand zu versetzten, richteten die Forscher Ultraschall auf eine Hirnregion, die für die Steuerung des Stoffwechsels und der Körpertemperatur verantwortlich ist. Im Ergebnis dessen sank die durchschnittliche Körpertemperatur der Nagetiere um bis zu 3,5 Grad Celsius. Ebenso verlangsamte sich ihre Herzfrequenz und reduzierte sich ihr Sauerstoffverbrauch, wie in der Natur beobachtet.

Anschließend wiederholten sie die Versuche bei Ratten mit ähnlichen Ergebnissen – jedoch mit dem Unterschied, dass diese Tiere eigentlich keine Winterruhe, -schlaf oder -starre halten.

24 Stunden künstliches Schlafkoma

Für ihre Untersuchungen entwickelten die Forscher eine mäusegroße tragbare Ultraschallmütze, die sie zunächst auf den Kopf von Mäusen klebten. Ziel war die Bestrahlung des sogenannten präoptischen Hypothalamus. Diese Hirnregion zeigte sich bereits bei anderen Tieren als ausschlaggebend für die Aktivierung des Winterschlafs. Das Gerät sorgte dabei für eine nahezu augenblickliche Wirkung: Körpertemperatur, Herzfrequenz und Sauerstoffaufnahme sanken, die Mäuse wurden träge und nahmen deutlich weniger Nahrung zu sich.

Wärmebilder einer Maus vor (links), während (mitte) und nach dem künstlichen Winterschlaf. Unten Bilder des Tieres mit Ultraschall-Helm.

Wärmebilder einer Maus vor (links), während (3 und 13 Minuten nach Bestrahlung, Mitte) und nach (rechts) dem künstlichen Winterschlaf. Unten: Bilder des Tieres mit Ultraschallhelm. Foto: Chen et al. (2023), (cc by 4.0)

Wurde die Bestrahlung bei Anzeichen der Erwärmung nicht wiederholt, erholten sich die Mäuse „ohne Anzeichen von Verletzungen oder Unwohlsein […] in weniger als 90 Minuten.“ Andernfalls konnten die Tiere über Stunden in dem Zustand gefangen gehalten werden.

So schreiben die Studienautoren: „Wir erreichen einen langanhaltenden (über 24-stündigen) torporähnlichen Zustand bei Mäusen“. Möglich sei dies „durch eine geschlossene Rückkopplungsregelung der Ultraschallstimulation mit automatischer Erfassung der Körpertemperatur“. Mit anderen Worten: Wachte die Maus oder Ratte auf, bekam sie eine erneute Ultraschallbeschallung.

Das bedeute, so die Studienautoren, dass die Mütze auch bei Säugetieren funktionieren könnte, die von Natur aus nicht in den Winterschlaf fallen – einschließlich Menschen. Bisher war die „breite Anwendung der bisherigen Ansätze und die Übertragung auf den Menschen aufgrund nötiger chirurgischer Eingriffe oder einer gentechnischen Veränderung einschränkt.“

Überleben oder Über-Leben?

„Wenn diese Technologie beim Menschen erfolgreich demonstriert werden kann, birgt sie ein erhebliches Potenzial für medizinische Anwendungen, insbesondere bei lebensbedrohlichen Zuständen wie Schlaganfall und Herzinfarkt“, erklärte Chen gegenüber „Live Science“. „Die Herbeiführung eines torporähnlichen Zustands bei diesen Patienten könnte das Behandlungsfenster erweitern und ihre Überlebenschancen verbessern“, sagte sie.

Wie „Live Science“ berichtet, reichen die Aufzeichnungen über den potenziellen medizinischen Nutzen der Hypothermie, einer normalerweise gefährlichen Absenkung der Körpertemperatur, bis ins alte Ägypten zurück. Sie seien zudem von Napoleons Chefchirurgen Baron Dominique-Jean Larrey während der gescheiterten französischen Invasion in Russland im Jahr 1812 beobachtet wurden. Larrey verpackte Gliedmaßen mit Eis, bevor er sie amputierte, und stellte fest, dass Verwundete in der Nähe der Wärme des Feuers schneller starben als in der Nähe der Kälte. Heute nutzen Chirurgen die Unterkühlung, um die Überlebensrate von Patienten bei Herz- und Gehirnoperationen zu erhöhen.

Ob der Mensch, der von Natur aus nicht in den Kälteschlaf fällt, künstlich und sicher in diesen versetzt werden kann, bleibt eine offene Frage. Mindestens genauso interessant ist die Frage, ob er daraus unbeschadet wieder aufwacht. Und was passiert, wenn er es nicht tut.

Sollten all diese Fragen zufriedenstellend beantwortet werden, ist nicht nur der sprichwörtliche Griff nach den Sternen denkbar. So können sich die Autoren vorstellen, „dass Astronauten ein helmähnliches Gerät tragen, das auf die Hypothalamusregion abzielt, um einen torporähnlichen Zustand herbeizuführen“. In einem Zustand, in dem der menschliche Körper auf zehn Prozent heruntergefahren würde, käme Astronauten ein Flug zum Mars mitunter wie Wochen statt Monaten vor. Auch Reisen zu weiter entfernten Zielen, möglicherweise mit Flugdauern jenseits eines normalen Menschenlebens, wären so eventuell erreichbar. Im besten Fall, ohne dass die Galaxie-Reisenden vergessen, was die ursprüngliche Frage oder Aufgabe war.

Medizin, Raumfahrt, Waffen

Die Frage nach den Auswirkungen auf Körper und Geist ist dabei durchaus berechtigt, denn obwohl Winterschlaf ein in der Natur weitverbreitetes Phänomen ist, wisse die Wissenschaft erstaunlich wenig darüber.

Wenn auch einige Studien darauf hinweisen, dass lang anhaltender Winterschlaf zu Gedächtnisverlusten führen kann, blieben die genaue Wirkweise als auch die Folgen weitgehend im Dunkeln. Das musste auch Chen einräumen. Sie sagte, „es sind noch weitere Forschungen erforderlich, um die Sicherheit und Machbarkeit dieses Ansatzes beim Menschen zu bestimmen“. Vladyslav Vyazovskiy, Professor für Schlafphysiologie, formulierte es noch klarer.

Auf „Live Science“ erklärte der nicht an der Studie beteiligte Forscher der Universität Oxford: „Es ist bemerkenswert, wie wenig wir über die Auswirkungen des Winterschlafs – insbesondere eines längeren – auf die Gehirnfunktion, die synaptischen Verbindungen oder das Gedächtnis wissen. Bevor wir also versuchen, den Winterschlaf beim Menschen herbeizuführen, müssen wir zunächst sicherstellen, dass wir wissen, wie wir sie wieder intakt zurückbringen können.“

Solange wir die Ursachen und Folgen des natürlichen Winterschlafs nicht vollständig verstehen, wird und sollte die Möglichkeit des Winterschlafs beim Menschen im Bereich der Science-Fiction bleiben.“

Obwohl von keinem der Forscher ausgesprochen, sind die möglichen Anwendungsfelder jedoch nicht auf Medizin oder Raumfahrt beschränkt. In früheren Studien wurde die Wirkung von Strahlung auf das Gehirn bereits nachgewiesen, teilweise in Patentanträgen festgehalten und zur Beeinflussung genutzt. In diesem Zusammenhang sollte hauptsächlich sichergestellt werden, dass die Methode – egal ob als sicher oder beherrschbar eingestuft – nicht missbräuchlich als Waffe, zur Kontrolle von Menschen (beispielsweise bei Demonstrationen) oder für andere Zwecke eingesetzt wird.



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