Verschüttet am Meeresgrund: Forscher geben Fund der „Gloucester“ bekannt
Unter Historikern gilt sie schon jetzt als eine der wichtigsten maritimen Entdeckungen der englischen Geschichte seit der Auffindung der Mary Rose im Jahr 1982. Seit sie am 6. Mai 1682 auf eine Sandbank auflief, liegt das Wrack der Gloucester halb verschüttet auf dem Meeresgrund. Ihr genauer Verbleib war lange Zeit unbekannt, bis die Brüder Julian und Lincoln Barnwell mit ihrem Freund James Little es nach vierjähriger Suche fanden.
Doch das Schiff ist nicht nur aufgrund seines Alters, seines Rufes, seines Zustandes oder der bereits geborgenen Funde von geschichtlicher Bedeutung. Vielmehr steht die Gloucester für einen der wichtigsten „Beinahe“-Momente, der die Geschichte Großbritanniens komplett verändert hätte.
Auf Befehl des Königs
Im Jahr 1682 wählte James Stuart, Herzog von York und Albany und Bruder des amtierenden englischen Königs Karl II., die 30 Jahre alte Gloucester für eine Reise nach Edinburgh aus. Dort wollte er seine hochschwangere Frau und ihren Haushalt abholen, um mit ihr rechtzeitig zur Geburt des Kindes an den Königshof in London zurückzukehren.
Das Schiff startete in Portsmouth, als es am 6. Mai um 5:30 Uhr morgens vor Great Yarmouth auf Grund lief. Überlieferungen zufolge geriet James Stuart mit James Ayres, dem Lotsen der Gloucester, in Konflikt. Sie stritten sich über den Kurs des Schiffes und die richtige Navigation durch die tückischen Sandbänke Norfolks.
Trotz der Gefahr des sinkenden Schiffes verweigerte der Herzog die Evakuierung der Gloucester. Binnen einer Stunde sank das Schiff – Hunderte Menschen, Besatzungsmitglieder und Passagiere, kamen ums Leben. Stuart selbst überlebte nur knapp das Unglück, da er sich bis zur letzten Minute weigerte, das sinkende Schiff zu verlassen. Neben ihm befanden sich eine Reihe prominenter englischer und schottischer Höflinge an Bord der Gloucester.
„Bedeutendste historische Entdeckung der Seefahrt“
Der Tagebuchschreiber und Marineverwalter Samuel Pepys schrieb in seinem Augenzeugenbericht von Opfern und Überlebenden, von denen einige „halb tot“aus dem Wasser geborgen wurden. Dass der Herzog Mitschuld am Unglück trug, sprach sich schnell herum und sein Ansehen sank zusehends. Stuart hatte Einfluss auf die Wahl der Route, übernahm aber keine Verantwortung für die Katastrophe. Stattdessen gab er ausschließlich dem Lotsen die Schuld, der nach dem Unglück sofort gehängt werden sollte.
Hätte James Stuart das Schiffsunglück nicht überlebt, hätte er nie zurück zu seinem Bruder nach London reisen können und wenige Jahre später seine Königskrone als Jakob II. König von England und Jakob VII. König von Schottland aufsetzen können.
„Aufgrund der Umstände des Untergangs kann man behaupten, dass dies die bedeutendste historische Entdeckung der Seefahrt ist“, sagt die Historikerin Prof. Claire Jowitt.
Zwei Drucker auf der Suche nach der Unbekannten
Zu verdanken haben Forscher die Entdeckung der Gloucester den beiden Brüdern Julian und Lincoln Barnwell, beide Drucker aus Norfolk und lizenzierte Taucher. Inspiriert, nach dem Wrack zu suchen, wurden die Barnwell-Brüder als Kinder, als sie die Bergung der Mary Rose, einem Kriegsschiff von Heinrich VIII., 1982 im Fernsehen sahen.
„Als wir beschlossen, nach der Gloucester zu suchen, hatten wir keine Ahnung, wie bedeutend sie in der Geschichte war. Wir hatten gelesen, dass der Duke of York an Bord war, aber das war alles“, erzählt Julian Barnwell. Also begaben sich die beiden Brüder zusammen mit Freunden auf die Suche nach dem Wrack, zunächst ohne Erfolg. Im vierten Jahr ihrer Suche wurden sie schließlich fündig. Der genaue Fundort bleibt zum Schutz des Wracks und der inzwischen zehn Jahre dauernden Arbeiten geheim.
„Es war unsere vierte Tauchsaison auf der Suche nach Gloucester. Wir begannen zu glauben, dass wir sie nicht finden würden, da wir so viel getaucht und nur Sand gefunden hatten. Als ich auf den Meeresgrund hinabsank, sah ich als Erstes große Kanonen auf dem weißen Sand liegen, es war beeindruckend und wirklich schön“, schildert einer der Brüder die Entdeckung.
Doch noch waren sie sich nicht sicher, ob sie wirklich das Wrack der Gloucester gefunden hatten. „Wir waren zuversichtlich, dass es sich um die Gloucester handelte, aber es gibt noch andere Wracks mit Kanonen, also musste das erst noch bestätigt werden“, sagte Julian Barnwell. Und in der Tat – es war die Gesuchte. Neben den Kanonen befanden sich unzählige Kleinfunde und die Schiffsglocke unter den gehobenen Objekten. Dank der Glocke konnte das Wrack zweifelsfrei der Gloucester zugeordnet werden.
In einer Ausstellung im kommenden Frühjahr soll der Fund für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Im Norwich Castle Museum sollen neben der Schiffsglocke weitere, bis dahin geborgene Funde zu sehen sein.
Komplettes Schicksal der Gloucester noch ungelüftet
Im Rahmen der Ausstellung sollen die Besucher zudem über die laufenden historischen, wissenschaftlichen und archäologischen Forschungen informiert werden. „Es handelt sich um eine Tragödie von beträchtlichem Ausmaß, was den Verlust von Menschenleben betrifft. Von privilegierten als auch von gewöhnlichen Menschen. Die ganze Geschichte der letzten Fahrt der Gloucester und die Auswirkungen ihrer Folgen müssen neu erzählt werden, einschließlich ihrer kulturellen und politischen Bedeutung“, so die Historikerin Jowitt.
Weiterhin versuchen die Forscher herauszufinden, wer sonst noch an Bord des Schiffes war, das Unglück überlebte oder nicht. Bislang sei lediglich die Identität von einem Bruchteil der Opfer bekannt. „Das Wrack birgt noch viel Wissenswertes, von dem Norfolk und die ganze Nation profitieren werden“, schwärmen die Forscher. Eine Bergung des Wracks sei derzeit nicht geplant.
Zu den bislang gehobenen und konservierten Artefakten gehören Kleidung und Schuhe, Navigations- und andere professionelle Marineausrüstung, persönliche Gegenstände und viele Weinflaschen. Eine von ihnen trägt ein Glassiegel mit charakteristischen Symbolen, die mit einem Passagier an Bord der Gloucester in Verbindung gebracht werden kann: George Legge, erster Baron von Dartmouth und Flottenadmiral von James Stuart. Legge war der Sohn von Elizabeth Washington, dessen Familienwappen mit seinen Sternen und Streifen auf der Weinflasche zu sehen ist.
In einer aktuellen Studie bietet Prof. Claire Jowitt eine umfassende wissenschaftliche Analyse des Schiffsunglücks sowie der politischen Auswirkungen und Hinterlassenschaften.
Der Tod Stuarts hätte die Welt komplett verändern können
England war im 17. Jahrhundert von religiösen und politischen Spannungen geprägt. Immer wieder kam es zum Streit, ob der katholische oder protestantische Glaube der Wahre sei. Während Karl II., König von England, den vom Volk favorisierten protestantischen Glauben innehielt, konvertierte James Stuart zum katholischen Christentum. Dies löste 1678-81 eine große Verfassungskrise aus, als eine Gruppe englischer Protestanten versuchte, Stuart von der potenziellen Thronfolge auszuschließen.
Wegen seines Katholizismus und dem geschädigten Ruf nach dem Schiffbruch, hielten ihn das Volk und einige einflussreiche Adlige für ungeeignet, später einmal König zu sein. 1685 stirbt Karl II. – ohne einen legitimen Erben – und die Königskrone geht nach der royalen Tradition nun doch an den Bruder James Stuart.
Wäre James 1682 ertrunken, hätte die britische Geschichte höchstwahrscheinlich ganz anders ausgesehen. Demnach wäre die Krone an den unehelichen Sohn Karls II. – James Scott, Herzog von Monmouth – gegangen. Die Revolution von 1688, die eine neue Art von Staat schuf und einen großen Beitrag zur modernen Welt leistete, hätte vermutlich nie stattgefunden. Andererseits hätte es 1685 zu einem weiteren Bürgerkrieg kommen können, wenn die englischen Adligen in dem unehelichen Sohn nicht den passenden Thronerben gesehen hätten.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 49, vom 18. Juni 2022.
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