Neue Studie zur Besiedlung von Grönland: Das Wasser kam, die Wikinger gingen

Römer, Wikinger und der moderne Mensch leb(t)en in einem sich stetig ändernden Klima. Während die einen bei Wärme aufblühten und andere dagegen ankämpften, machten ausgerechnet den Nordmännern die Folgen der Kälte zu schaffen.
Besiedlung von Grönland: Als das Wasser kam, gingen die Wikinger
Grönland heute.Foto: iStock
Von 24. April 2023

Die Wikinger sind bekannt für ihre weiten Reisen mit teils friedlichen und teils gewalttätigen Absichten. So ist es keinesfalls verwunderlich und seit Langem bekannt, dass die robusten Nordmänner auch Grönland von etwa 985 bis 1450 nach Christus bewohnten. Dort betrieben sie Ackerbau und bauten Gemeinschaften auf, bis sie ihre Siedlungen abrupt aufgaben.

Warum sie verschwanden, war Forschern lange Zeit ein Rätsel. In einer neuen Studie schlagen die Forscher um Marisa J. Borreggine von der Harvard Universität nun vor, dass der steigende Meeresspiegel wahrscheinlich eine tragende Rolle dabei hatte.

„Es gibt viele Theorien darüber, was genau passieren musste, um die Wikinger zu vertreiben“, so Borreggine. Laut der Forscherin besagten die ersten Theorien, dass die Nordmänner „völlig versagt haben, sich an die Umwelt anzupassen“. Diese Sichtweise änderte sich jedoch bald und kehrte sich ins komplette Gegenteil um.

So tendieren Forscher in aktuellen Studien eher dazu, dass die Wikinger mit unzähligen Herausforderungen wie sozialen Unruhen, wirtschaftlichen Turbulenzen, politischen Problemen und Umweltveränderungen konfrontiert waren.

Inmitten dieses Drucks „erwies sich die sich verändernde Landschaft als ein weiterer Faktor, der die Lebensweise der Wikinger ins Wanken brachte“, so Borreggine. Dies könnte schließlich „zu einem Wendepunkt“ geführt haben.

Kleine Eiszeit bezwang Wikinger

Die Abreise der Wikingersiedler fiel mit dem Beginn der sogenannten Kleinen Eiszeit zusammen. Diese Periode führte zwischen dem 14. und 19. Jahrhundert dazu, dass sich die Temperaturen in Europa und Nordamerika deutlich abkühlten. Besonders die Abkühlung und die Bildung von neuem Eis wirkten sich schließlich auf eine besondere, bislang wenig berücksichtigte, Weise auf Grönland und seine Bewohner aus: Der Meeresspiegel stieg.

Mit den kühleren Temperaturen und der Bildung von neuem Eis an den Polen „könnte man meinen, dass der Meeresspiegel sinken müsste“, so Borreggine. Tatsächlich scheint sich dieser Effekt später jedoch ins Gegenteil umgekehrt zu haben.

Als das Eis immer weiter anwuchs und sich ausbreitete, drückte sein zunehmendes Gewicht auf den darunter liegenden Untergrund. Das Wasser des umgebenen Meeres wurde verdrängt, wodurch der Meeresspiegel anstieg und sich mit Überschwemmungen in Küstengebieten bemerkbar machte. Geophysikalische Analysen ergaben zudem, dass die grönländische Landmasse absank – ein weiterer Faktor, der zum Meeresspiegelanstieg führte. „Es wird nicht nur der Boden nach unten gedrückt, sondern auch das Meer steigt. Das ist ein doppelter Schlag“, so Borreggine.

Diese beiden Faktoren machten schließlich die an den Küsten gelegenen Siedlungen der Wikinger anfälliger für Überschwemmungen. Laut den Forschern betrug der genaue Anstieg des Meeresspiegels bis zu 3,3 Meter. Zum Vergleich: Das entspricht dem zwei- bis sechsfachem Anstieg des Meeresspiegels im 20. Jahrhundert.

Drei von vier Siedlungen unter Wasser

Eine heutige Betrachtung von teilweise versunkenen Wikinger-Ruinen zeigt, dass 75 Prozent der Siedlungen in einem Umkreis von 1.000 Metern von dem steigenden Meer betroffen waren. „Diese Überschwemmungen waren allgegenwärtig“ und prägten das Leben der grönländischen Bevölkerung. Besonders gravierend waren sie für den Bereich der Landwirtschaft und somit für die Ernährung.

Laut den Forschern stiegen die Nordmänner von ihren eigenen landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf Lebensmittel aus dem Meer um, wie Siedlungsreste zeigen. Ein Grund für die Ernährungsumstellung könnte das Versalzen der Felder sein, die vom Meerwasser überschwemmt wurden. Eine solche Umstellung zeige, „dass sie versuchten, sich an den steigenden Meeresspiegel anzupassen“, so Borreggine.

Die vermehrte Abhängigkeit von natürlichen Nahrungsquellen und der Verlust der sicheren Nahrungsversorgung durch Land- und Viehwirtschaft könnte schließlich zu gesellschaftlichen Unruhen geführt haben. Diese und andere Herausforderungen können dazu führen, dass selbst alteingesessene Gemeinschaften zusammenbrechen und Wikinger ihre Siedlungen endgültig aufgeben, so die Forscherin.

Die Studie erschien am 17. April 2023 im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“.

Wer war der erste Wikinger auf Grönland?

Um 900 nach Christus: Aus östlicher Richtung über den Atlantik kommend, segelte ein Schiff um die Küste einer eisfreien Landmasse – heute als Grönland bekannt. An Bord des Schiffes, so heißt es, war der Wikinger Gunnbjörn Úlfsson mit seiner Mannschaft. Eigentlich auf dem Weg von Norwegen nach Island, gerieten sie plötzlich in einen Sturm und kamen vom Kurs ab.

Ohne das Neuland zu betreten, kehrten Úlfsson und seine Mannschaft um und segelten zurück nach Hause. Dort angekommen verbreitet sich seine Neuigkeit von dem entdeckten fernen Land wie ein Lauffeuer.

So erreichte die Nachricht auch den wegen Mordes verurteilten Wikinger Erik Thorvaldsson – auch bekannt als „Erik der Rote“. 982 wird er für sein Verbrechen für drei Jahre aus Island verbannt. Zusammen mit seiner Mannschaft segelt er nach Grönland über und soll somit der erste Wikinger gewesen sein, der seinen Fuß auf die Insel setzte.

Nach Ablauf seiner Verbannungszeit kehrte Erik der Rote zurück nach Island. Sein Plan: Gefolgsleute zu finden, die mit ihm ein neues Leben in Grönland aufbauen wollen.

Er hatte Erfolg. Noch im selben Jahr soll sich der berüchtigte Wikinger mit 25 Schiffen voller Freiwilliger auf den Weg nach Grönland gemacht haben – doch nur 14 erreichten das Festland. Zusammen mit den Überlebenden gründete er die Gemeinschaften in Eystribyggð („Ostsiedlung“) und Vestribyggð („Westsiedlung“). Diese sollten sich später als äußert erfolgreich herausstellen und über Jahrhunderte hinweg florieren – bis sie ab dem 14. Jahrhundert schrittweise aufgegeben wurden.



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