Ein weiter Weg: Die Erfindung des Rades und seine Bedeutung
Das Rad ist eine der ältesten Erfindungen des Menschen – noch älter als die Schrift. Wer genau das Rad erfand, aus welchem Material es bestand, wo und wann die zündende Idee kam, ist bis heute unbekannt.
Zwei Ingenieure und ein Historiker aus den USA glauben jedoch, dass osteuropäische Bergleute das Rad ins Rollen brachten. Sollte dies stimmen, könnte die Erfindung des Rades nicht nur über die bisher angenommene Zeitspanne hinausgehen, sondern auch ihren Beginn ganz woanders genommen haben als bisher vermutet.
Osteuropa, Türkei oder Iran?
Über die Wiege und Wege des Rades diskutieren Wissenschaftler seit Langem. Grundsätzlich gibt es drei potenzielle Geburtsorte und damit Theorien zu seiner Entstehung. Die erste besagt, dass das Rad um 4000 v. Chr. in Mesopotamien erfunden wurde. Laut der zweiten Theorie sei auch eine Entwicklung um 3800 v. Chr. in der nördlichen Türkei möglich.
Wenn es nach dem Historiker Richard Bulliet, Professor an der Columbia University, geht, ist die dritte Theorie jedoch am plausibelsten. Demnach liegt der Ursprung in einer Kupfermine in den osteuropäischen Karpaten. Diese Idee beruht auf den Spuren alter Abbaugebiete.
Demnach sei es um 4000 v. Chr. für die Bergleute immer schwieriger gewesen, die tief liegenden und bereits damals äußerst begehrten Kupfererze an die Erdoberfläche zu bringen. Anstatt sie in Körben aus den Stollen zu schleppen, könnten sie in rollbaren Wagen hinausgeschoben worden sein.
„Die Umgebung, in der die Erfinder des Rades arbeiteten, wies bestimmte einzigartige Merkmale auf, die eine Verlagerung hin zum rollenbasierten Transport begünstigten“, erklärt Kai James, Ingenieur und Co-Autor von Bulliet, gegenüber „Live Science“. „Im Wesentlichen waren es diese Umgebungsmerkmale, zum Beispiel ein schmaler, umschlossener Weg, die die Erfinder zu dieser speziellen Entwicklung drängten.“
Dies decke sich auch mit den Wagenmodellen, die während der späten Kupferzeit in den Karpaten hergestellt wurden. So zeigen diese rechteckige Karren mit trapezförmigen Seiten, ähnlich den sogenannten Loren im modernen Bergbau.
Der Kupferabbau war für die frühen menschlichen Gesellschaften von entscheidender Bedeutung, da das Metall für die Herstellung von Werkzeugen, Waffen und Schmuck unerlässlich war.
Vom Baum zum Rad
Ob die Bergleute aus den Karpaten letztlich die Erfinder des Rades waren, ist damit weiterhin nicht eindeutig bewiesen. Was wir aber wissen, ist, dass sich das Rad im Laufe der Zeit aus einfachen „Werkzeugen“ entwickelt hat.
Als Vorläufer des Rades werden Rollen angesehen, beispielsweise entastete Baumstämme. Durch sie ließen sich selbst tonnenschwere Lasten bewegen. Wie diese Rollen dann zum Rad geworden sein könnten, haben die drei US-Forscher um Bulliet in ihrer Studie mithilfe eines Computerprogramms modelliert. Demnach könnten drei Innovationen innerhalb von 500 Jahren zum Erfolg geführt haben.
Bei der ersten Entwicklungsstufe seien die einfachen Rollen zunächst mit Rillen versehen worden. Diese Furchen verhinderten, dass eine Kiste mit Erz von einer der Seiten herunterrutschte.
Im zweiten Schritt seien die Rollen außen breiter und innen schmaler gestaltet worden, um für mehr Bodenfreiheit zu sorgen. Diese Verbreiterung am Rand führte zur Ausbildung des Rades und zur Entwicklung einer festen Achse. Damit ist es möglich, eine Erzkiste mit nur zwei Rollen zu versehen, leichter zu bewegen, sie begrenzt zu lenken und Hindernisse leichter zu überwinden.
Der dritte Entwicklungsschritt umfasste die Zerlegung von Rad und Achse in einzelne Elemente. Dabei wurden die Räder mit einem mittig sitzenden Achsloch versehen und durch Anbringung von Teilen an den Achsenenden an Ort und Stelle gehalten. Damit ließen sich die Räder unabhängig voneinander bewegen.
Das Modell der Forscher bietet zwar eine mögliche Theorie, kann derzeit aber nicht als endgültig angesehen werden, da handfeste Beweise fehlen, wie die Forscher selbst sagen. „Ich denke, es ist immer noch möglich, dass mehrere Zivilisationen das Rad unabhängig voneinander entdeckt haben“, so James. Künftige Entdeckungen, bestenfalls in Form von erhaltenen Rädern und Wagen, müssen zeigen, ob sich diese Theorie bewahrheitet.
Ins Rollen gebracht
Sicher ist indes, dass das Rad bereits 3000 v. Chr. in der ganzen Welt rollte. Archäologische Belege aus Europa, Asien und Afrika in Form von Malereien, Miniaturrädern, Spielzeug und sogenannten Wagengräbern gibt es viele. Bei Letzteren werden die Toten der Bezeichnung entsprechend mit einem Karren ins Grab gelegt – eine Bestattungsform, die vom Kaukasus bis nach England reicht. Ein bekanntes Beispiel aus Deutschland ist das sogenannte Wagengrab von Bell im Hunsrück, Rheinland-Pfalz.
Als ältester indirekter Nachweis für Rad und Wagen gelten derzeit die Wagenspuren aus Flintbek bei Kiel in Norddeutschland, die um 3400 v. Chr. datieren. Weitere Belege stammen aus dem Iran (3300–3000 v. Chr.), aus Slowenien und dem Olzreuter Ried in Süddeutschland (2900–2897 v. Chr.).
Bei Letzterem handelt es sich um ein hölzernes Rad mit Achsloch, was bereits eine sich drehende Achse belegt. Dies entspricht dem zweiten Schritt der von James und Bulliet vorgeschlagenen Entwicklung. Eisenbahnwaggons nutzen diese Technik noch heute.
Doch die Erfindung des Rades brachte mehr ins Rollen als nur einen Karren. So revolutionierte die Innovation nicht nur den Transport und damit den Handel, sondern auch das Handwerk und die Landwirtschaft.
Mit Rad und Wagen gelangten zudem nicht nur Gegenstände schneller von A nach B, sondern auch Menschen, und das mitunter mit ihrem gesamten Hab und Gut. Noch schneller ging es später nur noch zu Pferd.
Kein Weg zu weit
Aber auch Rad und Wagen hatten ihre Grenzen und waren nicht für jeden Weg gemacht. Während steile Gebirge für Karren unbefahrbar waren, konnten feuchte Gebiete zumindest bedingt passierbar gemacht werden, wie Bohlenwege in Nordeuropa zeigen.
Besonders Niedersachsen, dessen Fläche zu einem Drittel aus Mooren besteht, zählt seit mehr als 5.000 Jahren über 500 angelegte Bohlenwege, davon 350 aus der Vorzeit. Der älteste Weg wurde 4629 v. Chr. im Campemoor südlich von Damme angelegt, während der längste Holzweg mit rund 6,5 Kilometern durch das Ipweger Moor bei Oldenburg führt und etwa 4.000 Jahre alt ist.
Ebensolche Gebiete sind wahre Fundgruben für Archäologen, da hier immer wieder hölzerne Räder und Wagenteile nach Tausenden von Jahren ans Tageslicht kommen – und vielleicht irgendwann auch weitere Hinweise zum Ursprung des Rades.
Die Studie erschien am 23. Oktober 2024 im Fachmagazin „Royal Society Open Science“.
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