Seegurken schützen Korallenriffe – wenn sie nicht vorher gegessen werden

Seegurken werden seit Jahrzehnten als Nahrung aus allen Weltmeeren gefischt – nicht ohne Folgen. Ihre Entfernung aus dem Ökosystem kommt der Entlassung vieler Hausmeister gleich, ohne die das große Haus vermüllt und seine Bewohner untergehen.
Seegurken sind die Hausmeister der Meere
Seegurken sind wirbellose Meerestiere die es in allen möglichen Größen, Farben und Formen gibt.Foto: iStock
Von 5. März 2024

Korallen sind die Grundlage für das Leben im Meer. Die sogenannten „Regenwälder der Meere“ bieten Lebensraum für 25 Prozent aller Meeresorganismen, obwohl sie weniger als ein Prozent der Meeresfläche bedecken. Früher waren die Riffe in den Ozeanen weiter verbreitet. Aufgrund der zahlreichen vom Menschen wissentlich oder unwissentlich verursachten Belastungen werden sie jedoch anfälliger und weniger, so die Forscher vom Georgia Institute of Technology (USA).

„Das ist so, als ob alle Kiefern in Georgia in einem Zeitraum von 30 bis 40 Jahren verschwinden würden“, sagte Umweltbiologie Mark Hay. „Stellen Sie sich nur vor, wie sich das auf die biologische Vielfalt und die Ökosysteme des Ozeans auswirkt.“

Vor Kurzem entdeckten Hay und sein Kollege Cody Clements, dass ein anderes entscheidendes Element im Korallenriffsystem zunehmend fehlt. Dieses Element – besser gesagt diese Tiere – spielen eine wichtige, aber oft übersehene Rolle bei der Gesundhaltung von Korallen.

Jagd nach Seegurken

Die Rede ist von Seegurken – wirbellosen Meerestieren, die es in allen möglichen Größen, Farben und Formen gibt. Klein und unscheinbar liegen sie den ganzen Tag wie autonome Staubsauger auf und unter dem Sand und fressen, verdauen und scheiden Sedimente aus.

Da sie jedoch jahrzehntelang zur Nahrungsgewinnung gefischt wurden und sich in geringer Dichte nicht effektiv vermehren können, sind sie heute selten und erholen sich nur langsam von der Überfischung. Sie waren schon so lange verschwunden, dass Forscher nicht genau wussten, wie wichtig sie überhaupt sind – bis jetzt.

Hay und Clements waren nämlich neugierig auf die Rolle, die Seegurken für die Gesundheit der Korallen spielen. Mit ihrer Studie auf einer tropischen Insel in Französisch-Polynesien bot sich den beiden Forschern schließlich die Gelegenheit.

„Wir wussten, dass die Beseitigung großer Raubtiere kaskadenartige Auswirkungen hat, die die Organisation und Funktionsweise von Ökosystemen verändern“, so Hay. „Was wir nicht wussten, war, was nach dem Entfernen von Detritivoren – oder wie wir sie gern nennen, den Hausmeistern des Systems – passieren würde.“

Zu viel geht nicht

Die Idee entstand, als Hay in einem Museum auf den Fidschi-Inseln das Gemälde eines Segelschiffs aus dem 19. Jahrhundert sah. Die Bildunterschrift erklärte, dass das Schiff einst die Insel Fidschi mit vielen Tonnen getrockneter Seegurken verließ.

Hay wurde klar, dass die Lebewesen, die er beim Tauchen und bei der Arbeit an Riffen nur selten zu Gesicht bekommt, wahrscheinlich einst den Boden der flachen tropischen Ozeane bedeckten.

Eine andere Erfahrung mit Seegurken machte sein Kollege Clements. Dieser beschäftigt sich seit Jahren mit der Wiederherstellung von Korallen und hat in seiner Laufbahn mehr als 10.000 Korallen „gepflanzt“ – vor allem in einem Gebiet, in dem es viele Seegurken gab. Später beschloss er, die Seegurken aus dem Gebiet zu entfernen, weil es dort „zu viele“ gab.

Er bemerkte, dass die Korallen abzusterben begannen, was ungewöhnlich schien. „Ich habe in meinem Leben schon viele Korallen gepflanzt, und meine Korallen sterben normalerweise nicht“, sagte Clements. „Also dachte ich, da muss etwas dran sein.“

Großes Aquarium ohne Hausmeister

Hay und Clements richteten bestimmte Bereiche ein, um die Gesundheit der Korallen mit und ohne Seegurken zu erforschen. Sie markierten die Gebiete und kontrollierten diese täglich.

In den Gebieten ohne Seegurken beobachteten sie häufig, dass sich an der Basis der Korallen ein weißes Band bildete, das nach oben wanderte und schließlich die gesamte Kolonie tötete. Dies war ein Anzeichen der sogenannten Korallenkrankheiten, die mit dem Sediment verbunden ist und auf der ganzen Welt vorkommt. Die Anwesenheit von Seegurken schien dagegen die Korallenerkrankung zu unterdrücken, sodass Riffe mit Seegurken 15-mal seltener abstarben.

Ein ähnliches Experiment führten sie im geschützten Palmyra-Atoll durch, wo sie verschiedene Korallenarten und Seegurken untersuchten. Die Ergebnisse waren ähnlich, was auf eine starke Wechselwirkung zwischen Seegurken und Korallen schließen lässt.

Mit dieser Studie zeichnet sich eine Ursache für das Korallensterben ab: nämlich das Fehlen von Seegurken und somit ein nicht mehr intaktes Ökosystem. „Wenn wir alle Reinigungskräfte im großen Aquarium der Erde entfernen, wird es irgendwann schmutzig“, sagte Clements. „Die Menschen haben schon lange die Idee geäußert, dass Seegurken wichtig sein könnten, aber wir kannten bis jetzt nicht das Ausmaß ihrer Bedeutung.“

Für Hay kommt die Überfischung der Seegurken dem Anzünden einer ökologischen Lunte gleich – und diese brenne schon seit mehr als 100 Jahren. Durch die exponentielle Zunahme der menschlichen Bevölkerung, deren enormer Eintrag von Nährstoffen und organischen Stoffen ins Meer und der Überjagung kommt es nun zu einem vermehrten Bakterienwachstum. Wenn es genügend Seegurken gäbe, würden diese die übermäßigen Bakterien verputzen.

Im Grunde genommen haben wir unsere Umwelt verschmutzt, während wir gleichzeitig alle Hausmeister entfernt haben“, so Mark Hay.

Mehr Seegurken braucht das Meer

Die beiden Forscher erhoffen sich mit ihrer Arbeit, dass künftig das Fischen von Seegurken eingeschränkt und damit begonnen wird, wieder mehr Seegurkenarten anzusiedeln. Vor allem die in ihrer Studie untersuchten Arten haben nur einen geringen wirtschaftlichen Nutzen und Nahrungswert, weshalb sie vermehrt gezüchtet und ins Meer entlassen werden könnten. Dies würde dazu beitragen, Korallenkrankheiten einzudämmen und die Riffe weltweit wieder auf Vordermann zu bringen.

„Wenn wir diese kleinen Kerlchen vom Rande des Abgrunds zurückholen und das Bewusstsein für ihren Wert im Ökosystem schärfen, könnte sich die Situation insgesamt verbessern“, sagt Clements. „Es wird viel Mühe kosten, aber die Verbesserung der Gesundheit der Riffe würde die biologische Vielfalt und damit die Lebensgrundlage der Menschen in den Küstengemeinden verbessern.“

Trotz der vielen ökologischen Zündschnüre, die der Mensch wissentlich oder unwissentlich angezündet hat, hat Hay noch Hoffnung für Korallen und Seegurken. „Organismen wie Seegurken geben uns eine Versicherung für die nächsten Jahrzehnte, und wir sollten versuchen, uns auf ihre Bedeutung zu konzentrieren“, sagte Hay. Nur wenn der Mensch seine Fehler erkennt, kann er handeln und für Wiedergutmachung sorgen.

Die Studie erschien am 26. Februar 2024 in der Zeitschrift „Nature Communications“.



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