Mehr Meer: Verbesserten Meeresfrüchte die kognitiven Fähigkeiten der Neandertaler?
Bereits die Neandertaler ernährten sich vor über 80.000 Jahren regelmäßig von Muscheln, Fisch und anderen Meeresbewohnern. Den ersten umfangreichen Nachweis dafür fand ein internationales Forschungsteam unter der Beteiligung der Universität Göttingen bei einer Ausgrabung in der Höhle von Figueira Brava (Portugal).
Dr. Dirk Hoffmann vom Göttinger Institut für Isotopengeologie datierte anschließend Sinterlagen (Kalzitablagerungen) mit der Uran-Thorium-Methode. So konnte der Wissenschaftler die Ausgrabungslagen auf ein Alter von 86.000 bis 106.000 Jahren bestimmen. Sie stammen also aus dem Zeitraum, in dem die Neandertaler Europa besiedelten.
Die damalige Nutzung des Meeres als Nahrungsquelle schrieben Archäologen bislang nur dem anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens) in Afrika zu. Die Ergebnisse der Studie veröffentlichten die Forscher in der Fachzeitschrift „Science“.
Reichhaltige Nahrung aus dem Meer
Die Höhle von Figueira Brava befindet sich 30 Kilometer südlich von Lissabon an den Hängen der Serra da Arrábida. Heute direkt am Wasser gelegen, war sie damals bis zu zwei Kilometer von der Küste entfernt.
Das Forschungsteam um Prof. Dr. João Zilhão von der Universität Barcelona, Erstautor der Studie, fand heraus, dass die dort lebenden Neandertaler routinemäßig Muscheln ernten, fischen oder Robben jagen konnten.
Ihr Speiseplan bestand zu 50 Prozent aus Küstenressourcen wie Muscheln, Krebstieren und Fisch (Hai, Aal oder Seebrasse) sowie Vögeln (Stockente, Gans, Kormoran oder Reiher) und maritimen Säugetieren wie Delfin oder Seehund. Ergänzt wurde dies durch die Jagd auf Hirsche, Ziegen, Pferde, Auerochsen und andere kleine Beutetiere wie Schildkröten.
Weiterhin entdeckten die Forscher verkohlte Pflanzen wie Olivenbäume, Weinreben, Feigenbäume und andere für das Mittelmeerklima typische Arten. Am häufigsten war unter anderem die Steinkiefer vertreten, die die Menschen vermutlich als Brennstoff verwendeten.
Ein besonderes Hauptaugenmerk legten die Wissenschaftler allerdings auf die Nahrung aus dem Meer. Diese ist reichhaltig an Omega-3-Fettsäuren und anderen Fettsäuren und begünstigt die Entwicklung von Hirngewebe.
Entwicklung von abstraktem Denken
Bislang wurde vermutet, dass ihr Konsum die kognitiven Fähigkeiten der afrikanischen Populationen steigerte.
„Hiermit wurde unter anderem das frühe Auftreten einer symbolischen materiellen Kultur unter den modernen Menschen erklärt, wie zum Beispiel Körperbemalung mit Ocker, Verwendung von Ornamenten oder Dekoration von Behältern aus Straußeneiern mit geometrischen Motiven“, erklärt Hoffmann.
„Solche Verhaltensweisen spiegeln die Fähigkeit des Menschen zum abstrakten Denken und zur Kommunikation durch Symbole wider, die auch zur Entstehung organisierter und komplexerer Gesellschaften des modernen Menschen beitrug“, so Hoffmann weiter.
Die aktuellen Ergebnisse der Ausgrabung von Figueira Brava bestätigen nun, dass, falls der gewohnheitsmäßige Verzehr von Meeresbewohnern eine wichtige Rolle bei der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten spielte, dies für den Neandertaler wie für den modernen Menschen gilt.
Klassischer Neandertaler möglicherweise nur ein Vorurteil
„Die Studie zeigt auch andere Ergebnisse“, wie Prof. Zilhão erklärt. So könnte die Idee vom Konzept der Neandertaler als kalte Tundra-Bewohner und Experten für die Jagd von Mammuts, Nashörnern, Büffeln und Rentiere ein Vorurteil sein.
„Die meisten Neandertaler hätten in den südlichen Regionen gelebt, besonders in Italien und auf der Iberischen Halbinsel. Außerdem könnte ihr Lebensstil dem der Figueira Brava Bewohner sehr ähnlich gewesen sein“, bemerkt Zilhão.
Für die Forscher ist die Studie zudem eine weitere Bestätigung für die Vertrautheit der Menschen mit dem Meer und seinen Ressourcen. So könnte sich diese Verbindung als wesentlich älter und breiter darstellen, als man bislang annahm.
„Dies könnte wahrscheinlich dazu beitragen zu erklären, wie der Mensch vor 45.000 bis 50.000 Jahren die Timorsee überqueren konnte, um Australien und Neuguinea zu besiedeln, und darüber hinaus“, sagt Zilhão.
Die Kunst der Neandertaler
Hoffmann und seine Co-Autoren fanden bereits zuvor heraus, dass Neandertaler vor mehr als 65.000 Jahren in drei Höhlen auf der Iberischen Halbinsel Höhlenmalereien angefertigt hatten. In einer Studie von 2018 stellten Hoffmann und Zilhão die Malereien aus den Höhlen La Pasiega, Maltravieso und Ardales vor.
Außerdem müssen perforierte und bemalte Muscheln ebenfalls den Neandertalern zugeordnet werden. Dies ging aus einer weiteren, ebenfalls 2018 veröffentlichten Studie hervor. Als Beleg dafür sehen die Forscher mehr als 115.000 Jahre alte durchlöcherte Meeresmuscheln mit Ockerresten. Diese stammen aus der Cueva de los Aviones in Spanien und sollen von Neandertalern als Anhänger getragen worden sein. Weiterhin zeigen Muschelbehälter mit Resten von komplexen Pigmentgemischen, die frühen Fähigkeiten der Neandertaler.
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