Der Gräberberg von Assiut als wichtiger Baustein für das kulturelle Gedächtnis Ägyptens
Vor rund 4.000 Jahren war Assiut ein bedeutendes kulturelles Zentrum in Ägypten. Die antike Stadt mit ihren Tempeln, Palästen, Bibliotheken und Wohnhäusern ist unter den Ablagerungen der Nilüberschwemmungen und moderner Überbauung verschwunden. Aus diesem Grund erreicht die historische Stätte kaum den Bekanntheitsgrad von Theben oder Luxor.
Im Gegenteil: Bis vor Kurzem war nur wenig über die Geschichte Assiuts bekannt und die moderne Großstadt genoss im Land kein hohes Ansehen. Doch das Bild verändert sich, seitdem ein deutsch-ägyptisches Kooperationsprojekt den Gräberberg Assiut al-gharbi im Westen der Stadt eingehend erforscht hat.
Assiut tritt aus den Schatten der Großen
Die 16-jährigen Arbeiten eröffnen einen Einblick in monumentale Fürstengräber, Schachtanlagen, vielfältige Deckenmuster und farbenprächtige Wanddekorationen, sowie endlose Inschriften und Grabbeigaben.
„Die Funde erweitern unsere Kenntnisse über die Geschichte und Kunst einer Region, die in den Epochen der Ersten Zwischenzeit und des Mittleren Reichs einen kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung erlebte“, sagt Prof. Dr. Ursula Verhoeven-van Elsbergen von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) in einer Pressemitteilung. „Assiut spielt damit eine wichtige Rolle für das kulturelle Gedächtnis Ägyptens.“
Gemeinsam mit Prof. Dr. Jochem Kahl von der Freien Universität Berlin hat van Elsbergen das Projekt in enger Kooperation mit Kollegen der ägyptischen Universität Sohag geleitet. In 14 Feldkampagnen arbeitete das internationale und interdisziplinäre Team jeweils im Sommer zwei Monate lang auf dem Nekropolenberg. Diese war 2003 zum ersten Mal nach 80 Jahren wieder für archäologische Arbeiten geöffnet.
Erste Dokumentationen über einzelne Gräber stammen von der Ägypten-Expedition unter Napoleon Bonaparte aus dem Jahr 1799. Nur wenig später brachten Steinbrucharbeiten ganze Gräber oder Teile dessen zum Einsturz. Raubgrabungen und archäologische Unternehmungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert führten zur Plünderung des Berges. Dabei gelangten viele wertvolle Grabbeigaben meist ohne ausreichend Informationen zu den Fundumständen in Museen auf der ganzen Welt.
Erster Nekropolenplan von Assiut mit über 300 Einträgen
Die großen Fürstengräber des „westlichen Wüstenbergs von Assiut“ entstanden in der Ersten Zwischenzeit und dem Mittleren Reich, also etwa 2200 bis 1900 v. Chr. Das 200 Meter hohe Kalksteinmassiv diente aber nicht nur Menschen der Pharaonenzeit als Friedhof, sondern auch Christen und Muslimen.
Außerdem war es Bestattungsplatz für Tiere, antiker und frühneuzeitlicher Steinbruch, Ausflugsziel, Rückzugsort für Eremiten, Standort von koptischen Klöstern und schließlich Jahrzehnte lang militärisches Sperrgebiet.
Als Behörden den Zugang wieder ermöglichten, konnte die erste wissenschaftliche Erforschung des Berges beginnen. Mit einer Langzeitförderung unterstützte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) dabei die Archäologen. Von Anfang an arbeitete das Team daran, den ersten Nekropolenplan für Assiut zu erstellen. Inzwischen umfasst er über 300 Einträge von Grabanlagen und anderen Strukturen. Im Gegensatz dazu umfasst die Funddatenbank sogar über 17.000 Einträge.
Ein unbekanntes Grab liefert zahlreiche neue Erkenntnisse
Aufgrund von Hinweisen eines lokalen Wächters entdeckte das Projekt 2005 ein bislang gänzlich unbekanntes Grab. Beinahe vollständig verschüttet war es das etwa 4.000 Jahre alte Grab des Regionalfürst Iti-ibi(-iqer).
„Dieses Grab N13.1 entstand in einer Zeit des politischen Umbruchs und ist daher historisch wichtig. Aber es hat auch gut erhaltene und ungewöhnliche Wanddekorationen“, erklärt van Elsbergen. Die Malereien zeigen unter anderem den Grabherrn selbst zusammen mit nahen Verwandten und göttlichen Wesen. Ergänzt werden die Darstellungen durch eine Reihe von Soldaten, Szenen mit Handwerk, Viehzucht, Jagd, Musik und Tanz.
Ein besonderer Schatz sind zudem 215 Tuschegraffiti, die Grabbesucher 500 bis 900 Jahre später anbrachten. Sie enthalten lobende Erwähnungen der lokalen Tempel sowie Schreib- und Zeichenübungen. Außerdem umfassen sie umfangreiche Auszüge von berühmten Lebenslehren, die bislang meist nur aus Theben überliefert waren. Der längste dieser Texte verläuft über mehrere Wände und misst elf Meter.
Ein Lied für die Göttin Hathor
Die in den Besuchertexten enthaltenen Informationen über Personen, Gottheiten und Tempelanlagen von Assiut im Neuen Reich (ca. 1550-1070 vor Christus) sind dabei besonders wertvoll. Bislang konnten die Archäologen diesen entsprechend alten Friedhofsteil nicht finden.
„Das sind oft wunderbare Texte. Einzigartig ist etwa ein Lied, das in mehreren Strophen und mit fantasievollen Vergleichen die Schönheit des Gesichts der lokalen Göttin Hathor beschreibt“, so van Elsbergen.
Die Ägyptologin ist Expertin für die hieratische Kursivschrift, in der die Texte verfasst sind. Teilweise sind diese aber kaum noch zu erkennen. Es erfordert Detektivarbeit und viele Vergleiche mit Paralleltexten, um die Schrift zu entziffern, in Standardhieroglyphen zu übertragen, zu übersetzen und schließlich zu interpretieren. Die Texte, aber auch Bilder von Tierstudien hat das Projekt fotografisch, zeichnerisch und digital festgehalten.
Größte Fürstengrab von Assiut ist 120 Meter lang
Ein weiterer Höhepunkt war die Entdeckung bis dahin unerforschter Bestattungsschächte mit einzigartiger Architektur. Darunter befand sich auch ein 28 Meter tiefer Schacht in Grab I, der erst nach sechs Kampagnen vollständig freigelegt war. Der Schacht gehört zu dem größten Grab auf dem Gebel Assiut al-gharbi und gehörte dem Fürsten Djefai-Hapi I. (um 1900 vor Christus).
Auch von anderen Orten ist kein vergleichbar großes Grab eines hohen Beamten aus dieser Epoche bekannt. Es war in seiner ursprünglichen Form mindestens 120 Meter lang, wovon heute jedoch nur noch 55 Metern erhalten sind. Zudem besitzen die Decken eine Höhe von bis zu 11 Metern.
Im Innern ist das Felsgrab mit Malereien und in Stein gemeißelten Inschriften versehen. Viele dieser Texte verbreiteten sich noch mehr als 2.000 Jahre in Ägypten. Laut den Archäologen sei dies ein Beispiel für die Wertschätzung und theologische Bedeutung Assiuts sowie der sprachlichen Qualität der Inschriften.
Dank enger Zusammenarbeit zum Erfolg
Als einzigartig beschreibt Projektleiterin van Elsbergen auch die Zusammenarbeit zwischen den Forschern aus Deutschland und den ägyptischen Kollegen der Universität Sohag. Jährlich waren etwa 25 Wissenschaftler aus verschiedenen Teilen der Welt und bis zu 100 lokale Grabungsarbeiter vor Ort tätig. Deren Aufgabe war es vor allem, hohe Schuttberge und Geröll von den Grabungsstätten zu entfernen.
„Durch die Forschungen am Gräberberg und unsere Dokumentation hat die Stadt ihre ursprüngliche Bedeutung zurückerhalten“, so van Elsbergen. „Assiuts Rolle in der Geschichte Ägyptens konnte wiederbelebt werden.“
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