Chirurgie vor 31.000 Jahren: Ältester Beweis einer Amputation entdeckt
Ein Team aus indonesischen und australischen Forschern hat in Borneo den bislang ältesten Fall einer chirurgischen Amputation entdeckt. Die in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichte Entdeckung beschreibt die Skelettreste eines jungen Erwachsenen, den Forscher in einer Höhle auf Borneo fanden. Dieser Person wurde (wahrscheinlich als Kind) vor mindestens 31.000 Jahren ein Teil des linken Unterschenkels und Fußes amputiert. Das überraschende Ergebnis: Der Patient überlebte den chirurgischen Eingriff und lebte noch sechs bis neun Jahre weiter.
Somit stellt der Fund eine bemerkenswerte Leistung in der Menschheitsgeschichte dar. Noch heute haben Ärzte Schwierigkeiten, bei chirurgischen Amputationen eine Infektion zu verhindern. Vor 30.000 Jahren war eine Gemeinschaft jedoch in der Lage, die Wunde sauber zu halten, sodass sie erfolgreich verheilte. Der junge Patient lebte bis ins Erwachsenenalter weiter, bis er an einer bislang unbekannten Ursache verstarb.
Die prähistorische Anthropologin Dr. Melandri Vlok von der Universität Sydney bezeichnete den Fund als „unglaublich aufregend und unerwartet“. „Die Entdeckung deutet darauf hin, dass zumindest einige Jäger und Sammler im tropischen Asien schon lange vor dem Übergang zur jungsteinzeitlichen Landwirtschaft hoch entwickelte medizinische Kenntnisse und Fähigkeiten entwickelt hatten.“
Die Person war zum Zeitpunkt ihres Todes möglicherweise Mitte 20. Die Mitglieder ihrer Lebensgemeinschaft bestatteten den Toten sorgfältig in der Höhle Liang Tebo auf der Insel Borneo. Dieser Ort birgt zudem einige der ältesten Felszeichnungen der Welt.
Amputation mit Happy End
Archäologen der Griffith University und der University of Western Australia (UWA) entdeckten die Bestattung im März 2020. Im Anschluss brachten die Forscher die menschlichen Überreste an die Universität Sydney, wo die Anthropologin Dr. Vlok den Fund untersuchen sollte. „Niemand sagte mir, dass sie den linken Fuß nicht im Grab gefunden hatten […], um zu sehen, was ich feststellen und sagen würde“, so Dr. Vlok.
Es ist üblich, dass Anthropologen nicht über die Bestattungsform der Toten, ihre Haltung und möglichen Beigaben sowie der Zeit, aus der sie stammen, informiert werden. So sind die „Knochenforscher“ unvoreingenommen und ihre Ergebnisse unbeeinflusst.
Als Dr. Vlok die Knochen ausbreitete, wirkte das linke Bein verdorrt. Außerdem hatte es die Größe eines Kinderbeines, obwohl es sich um einen Erwachsenen handelte. Bei genauerer Betrachtung des Beins erkannte die Forscherin zudem einen sauberen Schnitt, der gut verheilt war und keine Anzeichen einer Infektion aufwies. „Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei der Amputation um einen Unfall handelte, war verschwindend gering“, sagte Dr. Vlok. „Die einzige Schlussfolgerung war, dass es sich um eine uralte Operation handelte.“
Begeistert von ihrer Entdeckung rannte Dr. Vlok in das Büro ihrer Kollegen. „Ich sagte ihnen, dass es wie eine chirurgische Amputation aussah“, sagte sie. „Erst dann teilten mir meine Kollegen mit, dass sie dies bereits ahnten, da der Fuß fehlte.“ Dr. Vlok hatte also den Verdacht ihrer Kollegen bestätigt.
Dass bereits in der Steinzeit in ganz Eurasien und Amerika Operationen durchgeführt wurden, ist bereits durch diverse Entdeckungen bekannt. Der älteste bisher gefundene Beweis für eine Amputation war bislang das 7.000 Jahre alte Skelett eines Steinzeitbauern aus Frankreich, dessen linker Unterarm knapp oberhalb des Ellenbogens sorgfältig entfernt wurde. Die neue Entdeckung ist mehr als viermal so alt.
Leben im Gebirge mit fehlendem Bein
Welcher Grund genau zu der Amputation führte, ist den Forschern bislang nicht bekannt. Die Anthropologin entdeckte jedoch auch einen sehr gut verheilten Halsbruch und ein Trauma am Schlüsselbein. Laut Dr. Vlok könnten diese Verletzungen in etwa zur gleichen Zeit wie die Amputation stattgefunden haben. „Ein Unfall, wie zum Beispiel der Sturz von einem Felsen, könnte die Verletzungen verursacht haben. Die Gemeinde erkannte klar, dass der Fuß abgenommen werden musste, damit das Kind eine Überlebenschance hatte.“
Bei der Heimat des Kindes handelt es sich um eine extrem zerklüftete Umgebung mit steilen Bergen und Höhlen. Bereits bei den Ausgrabungen mussten die Archäologen mit dem Kajak in das Tal fahren und anschließend riesige Klippen erklimmen, um zu den Höhlen zu gelangen. Das Gebiet hat demnach eine Herausforderung für die dort lebenden Menschen dargestellt.
„In der Tat war es eine große Überraschung, dass diese Person eine sehr schwere und lebensbedrohliche Operation im Kindesalter überlebte, dass die Wunde zu einem Stumpf verheilte und dass er dann jahrelang in bergigem Gelände mit veränderter Mobilität lebte. Dies lässt auf ein hohes Maß an gemeinschaftlicher Fürsorge schließen“, so Dr. Vlok abschließend.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 63, vom 24. September 2022.
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