Vollbremsung in der Baubranche

Der Wohnungsbau bricht massiv ein, Zehntausende Vorhaben werden storniert. Der Verband fürchtet lang anhaltende Wohnungsnot.
Vollbremsung in der Baubranche
Nicht nur Ziegel fürs Dach sind viel teurer geworden.Foto: iStock
Von 24. September 2022

„Das ist keine Delle beim Neubau, das ist die Vollbremsung einer ganzen Branche.“ Mit drastischen Worten kommentiert Dirk Salewski, Präsident beim Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BfW), die Entwicklung in der Baubranche.

Die Folgen von Pandemie, Ukraine-Krieg, Energie- und Wirtschaftskrise sowie steigenden Zinsen haben nun auch den Bereich erreicht, der in den vergangenen Jahren stets wuchs. Doch damit scheint vorläufig Schluss zu sein.

Ziel der Regierung nicht ansatzweise erreichbar

Der Wohnungsbau bricht massiv ein, schreibt Salewski auf der Internetseite des Verbandes. „Die Mehrzahl der Unternehmen stellt ihre geplanten Projekte zurück oder hat sie bereits ganz aufgegeben“, beschreibt er die Situation. In einer Umfrage des BfW gaben 70 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie die Hälfte ihrer Projekte unter den aktuellen Bedingungen nicht beenden können.

„Hochgerechnet bedeutet das einen Rückgang zwischen 50.000 und 75.000 neuen Wohnungen. Die Ziele der Bundesregierung von 400.000 Neubauwohnungen werden so nicht ansatzweise zu erreichen sein“, resümiert Salewski.

Weiterhin hoher Bedarf

Dabei gibt es in Deutschland weiter einen hohen Bedarf an Wohnungen – vor allem im günstigen Segment. Salewski fordert daher, „dass alle Regelungen auf den Prüfstand gehören“. Zusätzliche „Kostentreiber“ müssen ausgesetzt oder abgeschafft werden. Das neue QNG-Fördersiegel (Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude) nennt Salewski „völlig unattraktiv und wirkungslos“.

Nach seinen Angaben stellen laut einer Umfrage nur sechs Prozent der Unternehmen einen entsprechenden Förderantrag.  „Wir brauchen jetzt verlässliche Förderbedingungen, wirtschaftliche und realistische Neubau-Anforderungen und vor allem mehr Bauland“, fordert der Verbandspräsident. „Wenn wir nicht bauen können, weil es zu teuer, zu kompliziert und einfach unrentabel ist, wird uns die Wohnungsnot noch lange begleiten.“

Jeder neunte Auftrag storniert

Den Abwärtstrend bestätigt auch das ifo-Institut. Im August waren 11,6 Prozent von Auftragsstornierungen betroffen, sagt ifo-Forscher Felix Leiss und stützt sich dabei auf das Ergebnis einer eigenen Umfrage. Bereits im Juli hat es mit 11,5 Prozent Streichungen einen fast identischen Wert gegeben, heißt es auf der Internetseite des Instituts.

„Seit April sehen wir, dass auffällig viele Projekte gestrichen werden. Die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau haben sich in den letzten Monaten massiv verschlechtert“, erläutert Leiss und nennt explodierende Baukosten, steigende Finanzierungszinsen und eingeschränkte Fördermöglichkeiten als Gründe.

Alle diese Aspekte belasten die Kalkulation potenzieller Bauherren schwer. „Einige Projekte werden damit unrentabel“, so der ifo-Forscher.

Dabei standen die Weichen im Wohnungsbau bis vor wenigen Monaten noch auf Wachstum. „Die Unternehmen verfügen immer noch über prall gefüllte Auftragsbücher, aber mit Blick auf die künftige Entwicklung greift die Angst um sich“, weiß Leiss zu berichten. Sehr viele Betriebe befürchten Geschäftsrückgänge.

Der Erwartungsindikator fiel auf minus 48,3 Punkte und markiert damit den niedrigsten Stand seit Beginn der Erhebung 1991. Der bisherige Tiefststand war laut Leiss erst im April erreicht worden – mit minus 47,4 Punkten.

Material knapp und teuer

Etwas entspannt haben sich dagegen die Lieferengpässe bei Baustoffen. „Dennoch ist das Material weiterhin vielerorts knapp und damit teuer“, stellt Leiss fest. Im August klagten 36,4 Prozent der Unternehmen über Lieferprobleme, knapp zehn Prozent weniger als im Monat zuvor (45,6 Prozent).

„Die hohen Energiepreise verteuerten das in der Herstellung oft energieintensive Baumaterial zusätzlich. Sehr viele Bauunternehmen planen vor diesem Hintergrund weitere Preiserhöhungen“, prognostiziert der Forscher.

Vereinzelt reagieren Unternehmen der Baubranche auf die hohen Energiepreise. So hat mit dem Familienunternehmen Nelskamp aus Schermbeck bei Düsseldorf bereits Ende August der erste große Ziegelhersteller die Produktion seiner Tondachziegel vorläufig unterbrochen. Die energieintensive Herstellung war unter den gegebenen Kosten „nicht mehr wirtschaftlich darstellbar“, zitiert die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ das Unternehmen.

Bereits im Frühjahr hatten sich die Kosten für die Ziegel, die bei etwa 1.000 Grad gebrannt werden, um bis zu 40 Prozent erhöht. Es gibt weniger neue Aufträge, während sich laufende Bauvorhaben zum Teil massiv verschieben. Die Lieferzeit ist mit bis zu fünf Monaten exorbitant hoch, heißt es in Dachdeckerkreisen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 63, vom 24. September 2022.



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