Preisdschungel der Fernwärme: Werden Verbraucher abgezockt?
Die Fernwärmepreise bewegen sich auch im ersten Quartal auf hohem Niveau. Das hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) anhand einer Untersuchung von Preisdaten aus 31 Fernwärmenetzen ermittelt. Demnach bezahlen private Haushalte in einem typischen Mehrfamilienhaus im Median effektiv 17 Cent in großen Wärmenetzen und 20 Cent in kleinen Wärmenetzen.
„Der Fernwärmemarkt in Deutschland muss endlich verbraucherfreundlicher werden“, sagt Ramona Pop aus dem vzbv-Vorstand.
„Für Verbraucher ist die Preisgestaltung im Fernwärmemarkt eine Blackbox. Verbraucher erwarten faire Preise und sie müssen Preisänderungen nachvollziehen können. Das muss die Bundesregierung sicherstellen und endlich eine verbraucherfreundliche Novellierung der Fernwärmeverordnung angehen“, so das Resümee von Pop.
Böses Erwachen bei Nebenkostenabrechnung
Tatsächlich kann die Nebenkostenabrechnung für Fernwärmekunden ein böses Erwachen sein. Gerade erst berichtete die MDR-Sendung „Umschau“ in einem Beitrag darüber.
Gerda Ahrendt wohnt in Magdeburg in einer Zweiraumwohnung. Sie soll nun über 8.000 Euro nachzahlen. Dieses Geld hat die 81-jährige Rentnerin aber nicht. Neben der hohen Nachzahlung muss sie nun auch noch eine Vorauszahlung von monatlich 988 Euro zahlen. Der Frau stehen die Tränen im Gesicht, als sie vor der Fernsehkamera über ihren Fall berichtet. Das ist allerdings kein Einzelfall.
Auch die „Tagesschau“ berichtete im Februar über den Fall von zwei Frauen aus Wedel in Schleswig-Holstein. Ihre Nebenkostenabrechnungen hatten es in sich: Rund 1.600 Euro bei Bettina Böttcher, knapp 2.000 Euro sind es bei ihrer Nachbarin Sabine Plohmann, die in einer größeren Wohnung lebt.
Bei Fernwärmekunden treten solche Fälle häufig auf. Bevor die Fernwärme genutzt wird, um Häuser zu heizen oder Wasser zu erwärmen, wird sie zentral erzeugt, meist in Kraftwerken oder als Abwärme in Industrieanlagen. Anschließend wird die Fernwärme über Rohrleitungen in die Wohnungen geleitet, wodurch eine eigene Heizanlage überflüssig wird.
Aktuell stammt der Großteil dieser Energie noch aus der Verbrennung von Gas oder Öl. Daher ist der Preis für Fernwärme in diesen Fällen an den entsprechenden Börsenpreis gebunden. Während des Ukraine-Kriegs im Jahr 2022 war der Gaspreis erheblich angestiegen. Obwohl sich der Markt inzwischen wieder stabilisiert hat, bleibt der Preis für Fernwärme jedoch hoch.
Einfach den Anbieter zu wechseln, ist für Fernwärmekunden nicht möglich. So haben die Versorger mit Fernwärme nicht selten eine Monopolstellung. Kunden sind ihnen quasi ausgeliefert, zumal Verträge größtenteils über einen langen Zeitraum abgeschlossen werden.
Preisgestaltung auf dem Prüfstand
Das ist allerdings nur ein Punkt. Auch die Preisgestaltung der Fernwärmeanbieter ist immer wieder Gegenstand von Konflikten. Gegen sechs Stadtwerke und Anbieter wurden letztes Jahr im November durch das Bundeskartellamt Verfahren eingeleitet. Es wird untersucht, ob die Anbieter im Zeitraum 2021 bis September 2023 die sogenannte Preisanpassungsklausel gezogen haben.
Fernwärmeversorger verwenden diese Klausel bei der Anpassung ihrer Preise, um sowohl die allgemeine Marktentwicklung als auch die Kosten für diejenige Energie, die konkret bei der eigenen Wärmeerzeugung eingesetzt wird, abzubilden.
„Die Fernwärmeversorger haben in ihren jeweiligen Versorgungsgebieten eine Monopolstellung“, erklärte damals Andreas Mundt, der Chef des Bundeskartellamts, gegenüber der „Tagesschau“. Für Verbraucher bestehe keine Möglichkeit, den Anbieter zu wechseln.
Daher sind diese Versorger auch dem kartellrechtlichen Missbrauchsverbot unterworfen. Die Preisgestaltung für Fernwärme sollte sich an den tatsächlichen Kosten der Versorger sowie an der allgemeinen Preisentwicklung in der Wärmeversorgung orientieren.
Laufende Missbrauchsverfahren gegen Energieversorger
Es muss auch geklärt werden, ob ein Unternehmen den Fernwärmepreis an die Entwicklung des Gaspreises angepasst hat, obwohl eigentlich günstigere Alternativen zur Wärmeerzeugung verfügbar gewesen wären.
Das Bundeskartellamt in Bonn hatte schon im Mai des vergangenen Jahres weitere Missbrauchsverfahren gegen Energieversorger eingeleitet. Neun Netzgebiete in vier Bundesländern sind betroffen.
„In diesen Verfahren prüfen wir insbesondere, ob die verwendeten Preisanpassungsklauseln den rechtlichen Vorgaben entsprechen und ob sie zu überhöhten Preisen für die Verbraucher geführt haben“, so Mundt.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband führt zudem zwei Sammelklagen gegen die Fernwärmeanbieter E.ON und HanseWerk Natur aufgrund enormer Preiserhöhungen seit einigen Jahren. Dabei geht es um Preisanstiege von mehreren Hundert Prozent. Die Unternehmen weisen die Vorwürfe zurück, der Ausgang der Klagen ist offen.
Mit den Klagen möchten die Verbraucherschützer einerseits Rückerstattungen für die Kunden erwirken und andererseits grundlegende Fragen zur Fernwärmeversorgung klären. So soll beispielsweise geklärt werden, wie stark die Preisentwicklung auf dem Wärmemarkt in die Berechnungsformeln einfließen sollte. Das Urteil könnte richtungsweisend für zukünftige Fälle sein.
Kaum verständliche Preisformeln
Der Finanzmathematiker Werner Siepe hat die Preisformeln verschiedener Anbieter analysiert. In seiner Studie ist er auf Tricks gestoßen, wie Anbieter die Preise nach oben treiben.
„Durch die Preisformel ist es möglich, dass die tatsächlichen Preise, die von den Fernwärmeversorgern gezahlt werden, zum Beispiel für Erdgas, überhaupt nicht widergespiegelt werden“, sagt Siepe im MDR-Beitrag. Dass diese nicht widergespiegelt werden, hinge vor allem mit börsennotierten Indizes zusammen. Man nutze den Börsenwert für Erdgas, zum Beispiel von der Gasbörse in Leipzig, um in Zeiten hoher Gaspreissteigerungen auch den Arbeitspreis nach oben zu treiben.
In einem Interview mit der „Welt“ hatte Siepe schon im Februar die Preisbildungspraxis der Fernwärmeanbieter kritisiert:
„Die Anbieter arbeiten mit kaum verständlichen Preisformeln, sodass niemand wirklich nachvollziehen kann, wie eine Rechnung zustande kommt. Es wird zum Beispiel auf völlig unübliche Preisindizes zurückgegriffen, sie werden zudem willkürlich ausgewählt und unterschiedlich gewichtet. So entstehen große Preisunterschiede: Ich habe etwa in mühsamer Kleinarbeit ermittelt, dass die Arbeitspreise bei erdgasbetriebenen Fernheizwerken je nach Anbieter extrem weit auseinander liegen. Der Arbeitspreis bei dem einen kann durchaus dreimal so hoch ausfallen im Vergleich zu einem anderen Anbieter.“
Die Verbraucherzentralen kritisieren diese Preispolitik der Fernwärmeanbieter schon länger. Das aktuelle System, bei dem die bei den Versorgern entstehenden Kosten für Fernwärme über Marktindizes abgebildet werden, muss aus Sicht des vzbv grundlegend überarbeitet werden.
Obwohl es sich bei Wärmenetzen um Monopole handelt, erfolge hier nach wie vor keine systematische Kontrolle der Preise und der Preiszusammensetzung. Der vzbv fordert deshalb die Einführung einer bundeseinheitlichen Preisaufsicht durch eine unabhängige Stelle.
Fernwärmeverband sieht kein Transparenzproblem
Der Fernwärmeverband AGFW sieht jedoch kein Transparenzproblem, da die Preisbildung auf den Internetseiten der Versorger dargestellt würde, sagte eine Sprecherin gegenüber der „Tagesschau“. „Hätten Fernwärmeversorger nicht die Möglichkeit, die bei Vertragsbeginn vereinbarten Preise, an sich ändernde Umstände anzupassen, müssten sie die zu erwartenden Risiken von Anfang an in den Wärmepreis einpreisen“, so die Sprecherin weiter.
Trotz der behaupteten Transparenz der Versorger sind die Kunden von der hohen Heizkostenabrechnung überrascht worden. Allein hohe Energiepreise können das nicht erklären, da Brennstoffe wie Erdgas, Kohle oder Heizöl zuletzt günstiger waren.
Der Verband verweist auf die Preisgleitklauseln, die beispielsweise an bestimmte Erdgaspreisentwicklungen gebunden sind.
Es gebe immer einen gewissen Verzögerungseffekt: „Was vor einem Jahr auf den Weltmärkten für die Energiepreise passiert ist, wird erst ein Jahr später bei der Fernwärme weitergegeben. Und umgekehrt: Die Erdgaspreise haben sich wieder beruhigt, was letztlich dazu führen wird, dass die Fernwärmepreise in Kürze sinken werden“, so eine Sprecherin des AGFW. Weiter kündigte der Verband eine Plattform an, die die Fernwärmepreise in Deutschland offenlegen soll.
Rahmenbedingungen sollen verbessert werden
Das Bundeswirtschaftsministerium geht davon aus, dass die Wärmepreise bis zur Jahresmitte 2024 sinken werden.
Die Fernwärmeverordnung soll überarbeitet werden, um „insgesamt für Kunden und Versorger attraktive Rahmenbedingungen für eine günstige Versorgung der Verbraucher mit Fernwärme“ zu schaffen, so das Ministerium gegenüber der „Tagesschau“.
Konkrete Details sind bislang nicht bekannt, so eine Sprecherin. Neben der Wärmepumpe soll die Fernwärme künftig eine entscheidende Rolle bei klimafreundlicher Wärme spielen. Aktuell nutzen etwa 14 Prozent aller Haushalte in Deutschland Fernwärme. Die Bundesregierung plant, das Netz mittelfristig auszubauen, sodass jedes Jahr 100.000 neue Haushalte angeschlossen werden sollen.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion