Neue Besen kehren gut: Elon Musk erneuert Twitter
Elon Musk fackelt nicht lange: Am 28. Oktober übernahm er für 44 Milliarden US-Dollar den Kurznachrichtendienst Twitter, nicht mal eine Woche später sind schon elementare Änderungen in die Wege geleitet.
Der einfache Bürger scheitert schon daran, sich überhaupt vorzustellen, wie so ein Deal funktioniert, wie man 44 Milliarden Euro verschiebt. Immerhin entspricht die Summe in etwa dem Bruttosozialprodukt eines Landes wie Tunesien. Eine Summe, die dort knapp zwölf Millionen Menschen zusammenbringt.
Also, wieviel sind 44 Milliarden? Was könnte man alternativ dafür kaufen? Andy Warhols Tomatensuppendosen-Bilder beispielsweise kosten 50 Millionen Euro das Stück, man könnte demnach 880 Exemplare kaufen. Gäbe es allerdings so viele Exemplare, dann wäre jedes einzelne deutlich weniger wert. Ist also kompliziert.
Was will Tech-Milliardär Musk mit Twitter? An die Wand hängen kann er sich das Unternehmen nicht. Unternehmer wollen Geld verdienen und der neue Inhaber plant schnelle und radikale Umstrukturierungen.
Die Neuerungen betreffen zunächst das Unternehmen selbst und seine Struktur: Geplant sein sollen Massenentlassungen und die Wiedereinführung der Büropflicht. Aber auch für die Twitter-User soll es in Zukunft Änderungen geben, die nicht nur die Ankündigung von neuen Freiheiten betreffen: Für einige Elemente des Dienstes sollen zukünftig Gebühren anfallen.
Führungswechsel und Kündigungs-Tsunami
Musk startete die Übernahme des einflussreichen Social-Media-Portals, indem er als erste Amtshandlung mehrere langjährige Twitter-Führungskräfte entließ.
Am Montag hatte Elon Musk den gesamten, neunköpfigen Verwaltungsrat aufgelöst und sich somit zum alleinigen Twitter-Chef gemacht. Auch Geschäftsführer Parag Agrawal wurde gefeuert. Dessen ideologische Unternehmensführung – Haltung statt Meinungsfreiheit – verglich Musk schon mit dem kommunistischen Diktator Josef Stalin.
Ebenfalls ihren Hut nehmen und den goldenen Vogelkäfig verlassen mussten Finanzchef Ned Segal und Vijaya Gadde, Leiter der Abteilung Rechtspolitik, Vertrauen und Sicherheit (head of legal policy, trust, and safety) sowie Sean Edgett, der Chefsyndikus des Unternehmens. Die alte Chefetage wurde direkt aus dem Hauptsitz des Unternehmens in San Francisco eskortiert, wie die Washington Post berichtete.
Der eiserne Besen von Musk landete damit aber noch nicht in der Ecke: Mehr als die Hälfte der circa 7.500 Stellen bei Twitter sollen gestrichen werden. Die betroffenen Mitarbeiter sollen am heutigen Freitag offiziell darüber informiert werden, berichtet das US-amerikanische Nachrichtenportal Bloomberg.
Wer danach noch zum Team Twitter gehört, der wird aus dem Homeoffice zurück an den Arbeitsplatz bestellt. Bislang haben viele Twitter-Mitarbeiter von zu Hause aus gearbeitet. Die seit März geltende Regel im Unternehmen, nach der alle Beschäftigten frei sind, von dort aus zu arbeiten, wo sie sich am produktivsten wähnen, soll zurückgenommen und stattdessen die Büropflicht wieder eingeführt werden.
Mehr Kosten, mehr Meinungsfreiheit
Kommen wir zu den Neuerungen für die laut Statista weltweit 362,6 Millionen Nutzer des Kurznachrichten-Dienst:
Der blaue Twitter-Haken soll zukünftig kostenpflichtig sein. Dieser ist eine Art Gütesiegel, das die Identität der Person hinter dem Twitter-Profil bestätigt – eine von prominenten Persönlichkeiten gern genutzte Echtheitsbestätigung. Acht US-Dollar pro Monat will Musk zukünftig für die Verifizierung des Twitter-Accounts eintreiben.
Auch das Abo-Modell „Twitter Blue“, ein kostenpflichtiges Monatsabonnement mit zusätzlichen Funktionen, soll für alle, die einen blauen Haken an ihrem Profilnamen haben wollen, Pflicht werden. Hier soll eine Preiserhöhung von 4,99 auf angeblich 19,99 US-Dollar geplant sein, wie Platformer berichtet.
Nutzer, die nicht innerhalb einer dreimonatigen Frist ein Abo für Twitter Blue abgeschlossen haben, werden zudem ihren blauen Haken, also ihre Echtheitsbestätigung, verlieren.
Viele haben es sich gewünscht, jetzt wird es auch kommen: Neu sein wird eine Editierfunktion, die in Kürze für jedermann zugänglich ist. Mit dem Edit Button können veröffentlichte Nachrichten nachträglich geändert werden. Musk soll außerdem einen “content moderation council”, eine Art Rat für Inhaltsmoderation, planen.
Wiederherstellungsverfahren gesperrter Konten
Bereits im Vorfeld der Übernahme hatte Musk Hinweise gegeben, was er tun würde, wenn er Twitter-Boss ist. Unter anderem hatte er angedeutet, dass er die Standards für die Überwachung von Fehlinformationen und Hassrede („harmful content such as misinformation and hate speech“) lockern will und hatte die Zensur durch Social-Media-Unternehmen angeprangert.
Auch zum Umgang mit vormals gesperrten Konten gibt es ein Update: Ein „magisches Wiederauftauchen“ von vormals gesperrten Konten werde es nicht geben. Musk teilte über Twitter mit, dass jeder, der wegen Verstoßes gegen die Twitter-Regeln gesperrt wurde, nicht automatisch zurückkehren wird, erst will das Unternehmen einen klaren Prozess zur Wiederherstellung der Konten einrichten.
Bekanntestes Opfer der Zensoren war wohl Donald Trump, dessen Account am 9. Januar 2021 aus dem Twitter-Universum gelöscht wurde. Man hatte dem ehemaligen US-Präsidenten angelastet, durch seine Twitterei tausende Menschen mobilisiert zu haben, das Capitol zu stürmen.
Musk hatte die permanente Sperre von Trump schon im Mai als „moralisch falsch und einfach nur dumm“ kritisiert. Allerdings ziert sich Trump noch: Der frühere US-Präsident will wohl nicht zurückkehren, mittlerweile hat er mit Truth Social seinen eigenen Dienst aufgemacht. Auch ein an große Geschäfte gewöhnter Unternehmer wie Trump konnte sich damals nicht vorstellen, dass es einmal einen Ritter in schimmernder Rüstung mit 44 Milliarden unterm Sattel geben könnte, der ihn zurückhaben möchte.
Twitter in Aufruhr
Elon Musk hatte direkt nach der Twitter-Übernahme einen Tweet abgesetzt, der mittlerweile schon über 2,4 Millionen „Gefällt mir“ bekommen hat. Musk signalisierte mit den vier Worten „the bird is freed“, der Vogel ist befreit. Übersetzt: Twitter ist wieder ein Raum der freien Meinungsäußerung. Und für die, die es nicht wissen: Das Logo und Maskottchen des Unternehmens ist ein blauer Vogel.
Aber genau bei der Auslegung des Begriffs der Meinungsfreiheit setzt auch die Kritik an: Zahlreiche US-Prominente verabschiedeten sich, nachdem der Tesla-Chef den Nachrichtendienst übernommen hat, wie „Grey’s Anatomy“-Schöpferin Shonda Rhimes oder der US-Schauspieler Alex Winter.
Diese neue Meinungsfreiheit, proklamiert durch den reichsten Mann der Welt, der den Grundstein seines Milliarden-Vermögens bei dem Bezahldienst PayPal legte, schmeckt vielen Promis und der etablierten Politik nicht.
Aus Europa kamen Reaktionen aus der EU-Kommission: EU-Politiker Thierry Breton meldete sich via Twitter: „In Europe, the Bird will fly by our rules“. Nur eine Ankündigung? Gar Drohung? Auch deutsche Politiker, wie SPD-Chefin Saskia Esken, folgen willig und löschten ihr Profil gleich ganz.
Spannend wird werden, zu beobachten, ob unter Elon Musk die bisherige Löschpraxis wegen angeblicher „Falschinformationen“, im Klartext Zensur, der Vergangenheit angehören wird. Der nämlich betonte, ihm gehe es nicht darum, mit Twitter viel Geld zu verdienen, sondern um Meinungsfreiheit. Wenn dem wirklich so ist, und das kann nur die Zukunft zeigen, wäre das eine wirkliche Neuigkeit aus Silicon Valley.
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