Monopoly im Alltagsleben: Unerschwingliche Mieten und der Boden
Am 1. Juni sagte Vonovia-Chef Rolf Buch in einem Interview, dass bei einer Inflation von dauerhaft vier Prozent auch die Mieten künftig jährlich dementsprechend ansteigen müssten.
In den ersten drei Monaten des Jahres 2022 seien die Mieten bei Vonovia bereits um 3,1 Prozent gestiegen. 2021 hatten sich die Mieten bei Vonovia laut Handelsblatt im Durchschnitt um 2,4 Prozent erhöht, laut Angaben des Deutschen Mieterbundes dagegen um 3,8 Prozent, in Berlin gar um acht Prozent.
Der Protest erfolgte umgehend: Der Präsident des Deutschen Mieterbundes Lukas Siebenkotten kritisierte, dass Mieterinnen und Mieter nun für den eingebrochenen Aktienkurs von Vonovia und höhere Zinsen am Kapitalmarkt herhalten müssten. Das Geschäftsmodell börsennotierter Wohnungskonzerne sei unsozial und spekulativ. Am Ende würden alles die Mieterinnen und Mieter zahlen.
Vonovia hat derzeit etwa 505.000 eigene Wohnungen in Deutschland. Darin dürften etwa 1,4 Millionen Menschen wohnen. Künftige Mieterhöhungen des DAX-Konzerns würden also eine erhebliche Anzahl von Menschen betreffen.
Zum Vergleich: Laut Vonovia-Geschäftsbericht 2021 stiegen die Mieten in den Jahren 2017 bis 2021 um 4,2, 4,4, 3,9, 3,1 und 3,8 Prozent, jeweils gegenüber dem Vorjahr. Offenbar sollen sie künftig stärker steigen – sonst würde die Äußerung von Vorstand Rolf Buch wenig Sinn machen.
Üppige Dividendenzahlungen: Wohin fließen sie und wer zahlt sie?
In den letzten fünf Jahren erzielte Vonovia recht gute Gewinne, sodass die Dividende 2021 „zum achten Mal in Folge gesteigert“ werden konnte, zuletzt auf 1,66 Euro pro Aktie. 2022 wurden mit 1,289 Milliarden Euro Dividende 34,8 Prozent mehr ausgeschüttet als 2021, als es 956 Millionen waren.
Zum Vergleich: Die Mieteinnahmen betrugen bei Vonovia 2020 3,069 Milliarden Euro, 2021 3,465 Milliarden. Die Dividenden belaufen sich also auf etwa ein Drittel der Mietzahlungen. Die Mieteinnahmen stellen laut Geschäftsberichten über 95 Prozent der liquiditätswirksamen regulären Konzerneinnahmen dar. Letztlich kommen langfristig betrachtet praktisch alle liquiditätswirksamen Umsätze und Gewinne von Vonovia aus Mietzahlungen.
Die Dividenden fließen zu 96 Prozent an Großanleger, die zu 89,8 Prozent im Ausland sind, und die vermutlich nicht so genau wissen, wo sich ihre vielen hunderttausend Wohnungen eigentlich befinden.
Würde man die Dividenden, statt sie an die anonymen großen Kapiteleigentümer auszuschütten, den Mietern zurückgeben, woher sie ja stammen, könnte man die Mieten um etwa ein Drittel senken, statt sie ständig weiter zu erhöhen (rund eine Milliarde Dividende 2021 geteilt durch etwa drei Milliarden Mieteinnahmen 2020).
Vonovia hatte Ende 2020, vor der Übernahme von Deutsche Wohnen, 415.700 eigene Wohnungen. Die Dividende für das Jahr 2020 betrug wie erwähnt 956 Millionen Euro. Pro Wohnung wurden von den Mietern also 2.300 Euro Dividende gezahlt, das sind im Monat 192 Euro. Jeder Mieter von Vonovia zahlte also jeden Monat 192 Euro Extra-Miete, um die leistungslosen Dividenden an die Großeigentümer zu finanzieren.
192 Euro sind der Betrag netto nach Ertragssteuern. Setzt man vorsichtig einen Ertragssteuersatz von 30 Prozent an (laut Geschäftsbericht lag der Ertragssteuersatz 2021 bei 48,4 Prozent), so müssen brutto, vor Steuern, 275 Euro Mietzahlungen fließen, um netto, nach Abzug von 30 Prozent Ertragssteuern 192 Euro Dividende ausschütten zu können. Aus Mietersicht bedeutet das, dass von den Mietern jeden Monat im Durchschnitt etwa 275 Euro Mietaufschlag gezahlt werden müssen, um die Dividenden möglich zu machen.
Anders gesagt: Wenn man die Dividenden einstellen würde, wenn Vonovia beispielsweise eine Wohnungsgenossenschaft im Eigentum der darin wohnenden Genossen wäre, könnten die Durchschnittsmieten rechnerisch um etwa 275 Euro pro Monat gesenkt werden.
Die Gretchenfrage: Die Bodenrenten
Und das führt uns zu einem Grundproblem des deutschen (und internationalen) Immobilienmarktes.
Ein großer Teil der Mieten stellt reine Rentenzahlungen dar: „Bodenrenten sind leistungslose Einkünfte, die sich aus den Vorteilen des Standorts bei Lage, Nutzungsintensität und Qualität ergeben“, wie die Bodenspezialisten Dirk Löhr et al. 2021 schreiben.
Bei Vonovia heißt das konkret: Nachdem alle Arbeiten, alle Leistungen erbracht sind, Reparaturen, Wartungen usw. und alle Zinsen für die Kredite bezahlt sind, bleibt ein Nettogewinn übrig, der nichts mehr mit Leistung oder Arbeit zu tun hat, sondern der leistungslos dadurch entsteht, dass man im Grundbuch steht und die Hand aufhalten kann, weil die anderen Menschen einfach Boden brauchen, um leben zu können.
Leistungslose Einkünfte heißt, dass man dafür keine Arbeit leisten muss. Sie sind so genannte Nichtarbeitseinkommen bzw. Renteneinnahmen. In der Ökonomie behandelt man dieses Thema unter dem Begriff rent seeking capitalism. In Deutschland beliefen sich die Bodenerträge 2017 auf etwa 400 Milliarden Euro, die zum großen Teil Bodenrenten darstellen. Das ist erheblich mehr als der damalige Bundeshaushalt von etwa 330 Milliarden Euro.
Es geht hier also nicht um „peanuts“, sondern um riesige Geldtransfers von sehr vielen an sehr wenige Menschen, die dafür gezahlt werden, dass jemand im Grundbuch steht oder Aktien von Wohngesellschaften hält – ohne irgendetwas dafür zu arbeiten oder zu leisten.
Letztlich findet hier ein perfekter, geräuschlos funktionierender Transfer „von Arbeit nach reich“, von vielen zu sehr wenigen statt. Denn sowohl der Aktienbesitz wie der Besitz von Grund und Boden ist äußerst ungleich verteilt und sehr stark konzentriert bei einer recht kleinen Gruppe von sehr wohlhabenden Menschen.
Für Boden wird überall mitbezahlt
Da man für alles und jedes Grund und Boden braucht, zum Wohnen, Arbeiten, für Freizeit, Fortbewegung, Essengehen, Einkaufen usw., sind die Bodenrenten in Form von Mieten und Pachten garantiert. Sie stellen eine Knappheitsrente dar, für die man nichts tun muss – außer im Grundbuch stehen.
Es ist wie beim Monopoly-Spiel: Fast egal, auf welches Feld man kommt, man muss dafür zahlen. Wenn man selber keine Straßen und Häuser hat, zahlt man alles an die anderen. Hat man ein wenig Grundbesitz, bekommt man auch ein wenig Einnahmen ab. Hat man viele Straßen und viele Häuser bzw. Hotels darauf, dann verdient man so richtig viel. Und diejenigen, die viele Immobilien haben, bekommen durch die Zahlungen der anderen immer noch mehr dazu. So ist es auch im wirklichen Leben, wie beispielsweise Zahlen aus den USA zeigen, wo sich der Bodenbesitz in den letzten zehn Jahren immer stärker bei den größten 100 Landeigentümern konzentriert hat.
Letztlich liegt der Grund für die permanent steigenden Bodenpreise daran, dass Boden ein nicht vermehrbares, „superiores Gut“ ist (ein Gut, das man bei steigendem Einkommen vermehrt nachfragt). Bei Wirtschaftswachstum steigt daher der Bodenpreis von ganz allein und automatisch stärker als die Wachstumsrate des nominalen Sozialproduktes – ohne dass man irgendetwas dafür tun muss.
Die Zahlungen für die Bodenrenten fließen nicht nur durch die Mieter, sondern auch durch jeden Produkt- und Dienstleistungskauf. So sind beispielsweise in jedem Produkt, das wir kaufen, Bodenrenten in Form von Mieten oder Pachten als Teil des Kaufpreises enthalten.
Mit jedem Produkt, das wir kaufen, zahlen wir die Bodenbenutzung, die für seine Erstellung nötig ist, mit, ob wir es wissen oder nicht und ob wir es wollen oder nicht. Auch die Familien, die in ihren eigenen vier Wänden wohnen und keine Miete überweisen, zahlen tagtäglich Bodenrenten an die Bodeneigentümer.
John Maynard Keynes über „funktionslose Investoren“
Solche leistungslosen Rentier-Einkommen kritisierte schon 1936 der möglicherweise berühmteste Volkswirt John Maynard Keynes in seiner bahnbrechenden „General Theory“ scharf.
Er sieht in dem Rentier-Kapitalismus keinen Sinn und bezeichnet Investoren, die Renten-Einkommen beziehen als „funktionslose Investoren“ („functionless investors“), also sinnlose Investoren, die keinen Beitrag zum Wohlergehen in der Ökonomie leisten. Er spricht dabei explizit von solchen Eigentümern, die Bodenrenten (in Form von Mieten oder Pachten) erhalten.
Solche funktionslosen Investoren müssten laut Keynes verschwinden, weil sie keinen ökonomischen Zweck erfüllen, und dürften nicht länger einen Bonus erhalten. Genau das tun aber die Aktionäre von Vonovia (und anderen Immobilienunternehmen und andere große Bodenbesitzer). Sie bekommen zu Lasten der Mieterinnen und Mieter ohne zu arbeiten leistungslose Renteneinkommen in Form von Dividenden.
Insofern trifft der Präsident des Deutschen Mieterbundes Lukas Siebenkotten mit seiner Aussage „Am Ende zahlen alles die Mieterinnen und Mieter, das ist das Geschäftsmodell von Vonovia und Co., […] das Geschäftsmodell börsennotierter Wohnungskonzerne sei unsozial und spekulativ “ den Nagel auf den Kopf.
Was tun?
Es gibt eine ganze Reihe mögliche Ansätze, um dem Übel abzuhelfen. Vorschläge sind unter anderem:
1.) Die Enteignung von Großeigentümern, wie es bei dem Volksbegehren am 26.9.2021 in Berlin zur Abstimmung stand. Über 56 Prozent der Teilnehmer haben sich dabei für eine Enteignung ausgesprochen, 39 Prozent dagegen.
Man könnte 2.) ein neu, „smart“ ausgestaltetes, konzeptionell weiterentwickeltes kommunales Erbbaurecht einführen bzw. wiederbeleben. Auf diese Weise könnten Wohnungsbestände in die Sozialbindung zurückgeholt werden.
3.) Neue Wohnungsgemeinnützigkeit oder Gemeinwohlwohnungen ausbauen.
4.) Vorkaufsrecht für Kommunen bei zum Verkauf angebotenen Immobilien zu einem unter dem Marktpreis liegenden Wert. Im Anschluss könnten diese Liegenschaften auf Erbpachtbasis an private Nutzer oder Unternehmen für 99 Jahre vergeben werden.
5.) Vermehrung von Genossenschaften im Wohnbereich nach dem Vorbild der Raiffeisengenossenschaften.
6.) Progressive Abgabe auf Bodeneigentum, das nicht selbst genutzt wird. Nach Berücksichtigung eines Freibetrages von vielleicht 0,5 Millionen Euro für Bodeneigentum wird alles nicht selbst genutzte Bodeneigentum mit einem immer weiter steigenden Bodenwertsteuer belegt.
Bodenrenten sind ein sozialpolitisches Problem
Mindestens ein Drittel der Mietzahlungen durch die Mieter von Vonovia fließt in die Dividenden und damit an vermögende Großanleger. Würden diese leistungslosen Dividendenzahlungen an Großgrundbesitzer wegfallen, könnten die Mieten gesenkt werden. Das gilt nicht nur für Vonovia, sondern dürfte auf die meisten vermieteten Immobilien in Deutschland zutreffen.
Das Kernproblem ist die heutige stark ungerechte Verteilung des Grund und Bodens, dessen starke Konzentration in den Händen der Vermögenden. Solange die Bodeneigentumsfrage nicht ernsthaft angegangen wird, werden wir ein Mietproblem haben.
Dass Großeigentümer sich auf dem Rücken von Mieterinnen und Mietern bereichern, indem sie sich enorme leistungslose Einkommen aus Bodenrenten aneignen, ist ein Irrweg. Großgrundbesitz in Privathand ist meiner Meinung nach falsch und müsste langfristig abgeschafft werden, beispielsweise durch eine progressive Bodenbesteuerung.
Prof. Dr. Christian Kreiß ist seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Er war unter anderem sieben Jahre als Investment Banker tätig. www.menschengerechtewirtschaft.de
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