Heil will „modernstes Einwanderungsrecht in Europa“ für Deutschland

Bundesarbeitsminister Heil will Deutschland im Rennen um Fachkräfte konkurrenzfähig machen. Reformen im Einwanderungsrecht seien dazu unabdingbar.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will mehr Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt gewinnen.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will mehr Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt gewinnen.Foto: Annette Riedl/dpa
Von 30. November 2022

Die geplante Erleichterung der Einbürgerung, an der das Bundesinnenministerium arbeitet, ist nicht der einzige Aspekt eines Migrationsreformpakets der Ampel-Regierung. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will zudem ein Punktesystem zur Einwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland vorlegen. Schon am Mittwoch (30.11.) will das Bundeskabinett dazu ein Eckpunktepapier beschließen.

Minister Heil klagt über bürokratische Hürden

Heil möchte auf diesem Wege die Einwanderung von Arbeitskräften erleichtern und die Bereitschaft internationaler Fachkräfte steigern, nach Deutschland zu kommen. Der „Welt“ zufolge soll dies dem Umstand Rechnung tragen, dass das Land mit anderen „um kluge Köpfe und helfende Hände“ konkurriere.

Gegenüber dem SWR-Hauptstadtstudio forderte er eine „gesamtstaatliche Anstrengung“ von Bund, Ländern, Kommunen – und der Wirtschaft selbst. Man müsse die Fachkräfteeinwanderung „massiv wollen“, so Heil. In der Vergangenheit habe man sie eher nur „bürokratisch hingenommen“.

Die geplanten Neuerungen sollen bis spätestens 2025 auch auf dem Arbeitsmarkt Erfolge zeigen, äußerte der Minister. Im kommenden Jahr will man es auf den Weg bringen.

Union zeigt sich reserviert – Merz zweifelt an Sinn eines Punktesystems

Heil spricht von einem „transparenten unbürokratischen Punktesystem“, das als eine Art „Chancenkarte zur Arbeitsplatzsuche“ dienen soll. Drittstaatsangehörigen „mit gutem Potenzial“ will man auf diese Weise ein Aufenthaltsrecht bereits zur Suche eines Arbeitsplatzes ermöglichen.

Kriterien sollen dabei unter anderem Alter, Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung und Deutschlandbezug sein. Der Minister unterstreicht gegenüber dem Sender:

Dass wir die richtigen Kräfte bekommen, sichert den Wohlstand in Deutschland.“

Darüber hinaus sollen anerkannte Fachkräfte mit einem gültigen Arbeitsvertrag einfacher als bisher nach Deutschland kommen können.

Reserviert zeigt sich die Union. CDU-Chef Friedrich Merz kündigte zwar an, die Vorschläge „vorurteilsfrei prüfen“ zu wollen. Er meint jedoch, das Punktesystem sei „wahrscheinlich für andere Länder besser anwendbar als für unseres“.

Rückendeckung für Heil aus Gewerkschaften und Wirtschaft

Unterstützung für das Vorhaben kommt hingegen aus der Wirtschaft – aber auch aus den Gewerkschaften. Der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, betonte gegenüber der „Deutschen Presse-Agentur“ die gesellschaftliche Bedeutung qualifizierten Arbeitskräftezuzugs. Dieser stoße heute noch auf vermeidbare Erschwernisse:

Bürokratische Hürden – beginnend bei der Visa-Beantragung bis zur Anerkennung von Berufsabschlüssen – behindern heute den Zuzug.“

Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) begrüßt die Bemühungen um eine leichtere Zuwanderung von Fachkräften. Allerdings müsse es noch Nachbesserungen geben, etwa mit Blick auf Gehaltsgrenzen, aber auch Ausbildungsverträge. DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks äußert gegenüber der „Rheinischen Post“:

Hierzu enthält das Eckpunktepapier noch recht wenig. Bei der wachsenden Zahl unbesetzter Ausbildungsplätze in Deutschland müssen wir noch pragmatischer werden, um verstärkt Auszubildende aus Drittstaaten zu gewinnen.“

Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer will Ausländerbehörden und deutsche Botschaften im Ausland in die Pflicht nehmen. Aus Ausländerbehörden sollen „Welcome-Center“ und Visa sollten schneller erteilt werden:

Sonst kommen die Leute nicht, zumal Deutschland ja ohnehin nicht den allerbesten Ruf als Einwanderungsland hat.“

Demografische Entwicklung ist EU-weites Phänomen

Wie gravierend der Engpass ist, erläutert die geschäftsführende Direktorin des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, Catherina Hinz, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND). Die geburtenstarken Jahrgänge erreichen das Rentenalter, gleichzeitig nimmt die Zahl der Menschen in erwerbsfähigem Alter ab.

Heute liege diese noch bei etwa 50 Millionen. Bis 2035 wird diese Zahl jedoch auf 44 Millionen zurückgehen, prognostiziert das Berlin-Institut. Die Schätzungen, wie viele Arbeitskräfte aus dem Ausland jährlich zusätzlich erforderlich wären, reichen von 260.000 bis 400.000. Letztgenannte Zahl nannte zu Beginn der Woche die Präsidentin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles.
Hinz weist darauf hin, dass Deutschland mit diesen Aussichten in der EU nicht allein dastehe:

Da die Hauptherkunftsländer in der EU ähnliche demografische Entwicklungen erleben wie Deutschland, wird die EU-Zuwanderung aller Voraussicht nach zurückgehen. Zuwanderung aus Drittstaaten wird an Bedeutung gewinnen.“

Deutschland konkurriert jedoch nicht nur mit anderen EU-Staaten um Arbeitskräfte aus Drittstaaten. Bereits in der Vergangenheit hatten sich Länder wie die USA, die Schweiz, Großbritannien, aber auch die Türkei oder Russland als Alternativen erwiesen. Letztere waren insbesondere für Arbeitssuchende aus dem Nahen Osten oder der Kaukasusregion attraktiv.

Arbeitskräftebedarf reicht bereits in Adenauer-Ära zurück

Der anhaltende Bedarf des Industrielandes Deutschlands an Arbeitskräften aus dem Ausland reicht bereits zurück in die Adenauer-Ära. Unter dem Eindruck des Wirtschaftswunders, aber auch eines zunehmenden Arbeitskräftemangels schloss die Bundesrepublik erste Anwerbeverträge.

Deren Ziel war es unter anderem, dem Wildwuchs sogenannter Übersetzungsbüros entgegenzuwirken, die auf privater Ebene Arbeitsvermittlung betrieben. In Westberlin verschärfte der Mauerbau 1961 die Lage – Arbeitskräfte aus dem Osten der Stadt standen Großunternehmen wie Siemens oder AEG mit einem Mal nicht mehr zur Verfügung.

Aber auch in Westdeutschland waren Arbeitgeber wie die Ford-Werke in Köln oder Bergbauunternehmen in NRW oder an der Saar auf der Suche nach Arbeitskräften. Im Jahr 1955 kam es zum ersten Anwerbeabkommen mit Italien, 1960 folgten jene mit Spanien und Griechenland.

Später schloss die BRD auch noch Abkommen mit der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968). Die Auswahl der Staaten folgte dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. In einigen Fällen spielten auch Erwägungen eine Rolle, innenpolitischen Spannungen in den Ländern entgegenzuwirken, die einen möglichen Anknüpfungspunkt für kommunistische Unterwanderung darstellten.

Kühn-Memorandum ging erstmalig von Deutschland als Einwanderungsland aus

An eine dauerhafte Einwanderung der sogenannten Gastarbeiter war nicht gedacht, zudem waren die bürokratischen Hürden hoch. Von 14 Millionen angeworbenen Arbeitskräften der Jahre 1955 bis 1973 kehrten mindestens 12 Millionen wieder in ihre Heimatländer zurück.

In vielen Fällen machte die Industrie Druck, die Bleibeperspektive der Beschäftigten zu stabilisieren. Dennoch verfügte die Bundesregierung 1973 unter dem Eindruck der ölbedingten Wirtschaftskrise einen Anwerbestopp. Die heutigen türkischen, italienischen oder ex-jugoslawischen Einwanderercommunitys gingen auf jene Fälle zurück, in denen Familiennachzug möglich war. Im Fall der italienischen Gastarbeiter erleichterten die EG-Mitgliedschaft und selbstständige Existenzgründungen deren dauerhaften Verbleib.

Allerdings dauerte es bis 1979, dass der damalige Ausländerbeauftragte Heinz Kühn (SPD) erstmals von Deutschland als einem „Einwanderungsland“ sprach. In jenem Jahr legte er das Memorandum „Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Bundesrepublik Deutschland“ vor.

Dieses Memorandum sprach erstmals von einer Notwendigkeit sozial- und arbeitsmarktpolitischer Integration sowie politischer Teilhabe von Einwanderern. An das Kühn-Memorandum knüpften sich bildungs- und sozialpolitische Maßnahmen sowie spätere Reformen wie die Staatsbürgerschaftsreform der Regierung Schröder.

Die Union stand demgegenüber noch bis in die 1990er-Jahre auf dem Standpunkt, Deutschland sei „kein Einwanderungsland“. Einige Exponenten der Partei beharren bis heute auf dieser Position – obwohl eingebürgerte Einwanderer mittlerweile zum Zielpublikum geworden sind.

(Mit Material von dpa)



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