Einwanderer pfeifen auf links: Türken wandern zur CDU, Aussiedler zur AfD
Nach der Definition des Statistischen Bundesamtes gilt eine Person in der Bundesrepublik Deutschland als eine solche mit Migrationshintergrund, wenn diese selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. In diese Kategorie fallen unter anderem zugewanderte oder nicht zugewanderte Ausländer, nicht zugewanderte Eingebürgerte, Aussiedler bzw. Spätaussiedler sowie die als Deutsche geborenen Nachkommen der genannten Gruppen.
Derzeit fallen 23 Prozent der Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland in eine dieser Gruppen. Bei Bundestagswahlen wahlberechtigt waren zuletzt 10,2 Prozent deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund. Die Tendenz ist weiter steigend.
Konsequenz daraus ist nicht nur, dass diese – außerordentlich inhomogene – Bevölkerungsgruppe insgesamt zunehmend zum Zünglein an der Waage bei Wahlen werden kann. Wie eine jüngst veröffentlichte Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) zeigt, erscheint auch bei kaum einer Bevölkerungsgruppe eine annähernd so starke Beweglichkeit in ihrer Wahlpräferenz.
Im Rahmen des Integrationsbarometers 2018 hat der SVR zwischen Juli 2017 und Januar 2018 insgesamt 9.298 Personen bundesweit telefonisch über Mobil- und Festnetznummern befragt. Davon waren 2.720 Personen ohne Migrationshintergrund, 1.438 aus der Gruppe der (Spät-)Aussiedler, 1.479 Personen aus der türkischen Einwanderercommunity, 1.532 Einwanderer aus einem EU-Land und 1.760 Personen mit einem Migrationshintergrund aus den übrigen Staaten der Welt. Entsprechende Gewichtungsfaktoren sollten eine repräsentative Auswertung gewährleisten.
Türken wählen SPD, Russlanddeutsche CDU – das war einmal
In früheren Jahren galten die politischen Fronten unter zwei größeren Gruppen von Neudeutschen als weitgehend begradigt. Türkische Einwanderer galten als sichere Bank für die SPD, Russlanddeutsche oder andere Auswanderer aus der GUS neigten der CDU zu. Mittlerweile hat sich das deutlich verschoben – und insbesondere die SPD bekommt das zu spüren.
Noch vor zwei Jahren hatten – wie auch zuvor über Jahrzehnte hinweg – fast 70 Prozent der Wahlberechtigten aus der türkischen Einwanderercommunity den Sozialdemokraten ihre Stimme gegeben. Dies lag an einer Vielzahl von Faktoren. Die erste Generation der sogenannten Gastarbeiter war hauptsächlich der Arbeiterschaft zuzuordnen, vielfach handelte es sich um Ungelernte, die auf Grund der türkischen Wirtschaftskrise in den 1960er Jahren zu Hause keine Arbeit fanden. Sie waren über Anwerbeabkommen und späteren Familiennachzug nach Deutschland gekommen.
Viele der Gastarbeiter hatten bereits in ihrem Heimatland Gewerkschaften angehört und traten diesen auch in Deutschland bei. Dies erleichterte der SPD den Zugang zu dem Milieu, außerdem versprachen sich die meisten türkischen Einwanderer von den Sozialdemokraten mehr an persönlichen Vorteilen.
Auch die sehr heterogene und polarisierte Natur der türkischen Einwanderercommunity schadete der SPD lange Zeit nicht. Während Kanzler Gerhard Schröder ein kollegiales Verhältnis zu Erdoğan pflegte und diesen beim EU-Beitrittsprozess zu unterstützen suchte, waren es eher dem säkularen, kemalistischen Gedankengut verpflichtete deutsch-türkische Kandidaten, die es bei der SPD auf die Wahllisten schafften.
In Deutschland wählten die türkischen Einwanderer und ihre Nachfahren Parteien, von denen sie glaubten, dass diese ihren Interessen dienten. In der Türkei hingegen jene, denen sie sich weltanschaulich am nächsten fühlten. Deshalb ging auch für die SPD der Spagat lange Zeit gut, Wähler in Deutschland für die Sozialdemokraten zu gewinnen, die in der Türkei Erdoğan oder gar die MHP favorisierten.
SPD war sich der deutsch-türkischen Stimmen zu sicher
Nur in Einzelfällen machte sich die Verschiebung in der türkischen Community hin zu Erdoğan und einer stärker religiösen Richtung bemerkbar, etwa 2009, als die links-laizistische SPD-Abgeordnete Lale Akgün vor allem auf Grund 15 000 verlorener Stimmen aus der Einwanderercommunity nach zwei Legislaturperioden ihr Direktmandat verlor. Eine als zu extrem empfundene Ideologisierung der Partei oder ihrer Kandidaten ließ auch bei Einwanderern interessenspolitische Erwägungen in den Hintergrund rücken.
Der über lange Zeit hinweg starke Rückhalt für die SPD in der deutsch-türkischen Community wiegte diese auch in Sicherheit – die Sozialdemokraten gingen davon aus, dass auch konservative Deutsch-Türken keine Alternative zu ihnen hätten. Den Grünen misstraute die Community, da deren elitär-linkes Publikum aus den Villenvierteln noch weniger Bezug zum Leben türkischer Einwanderer hatte als die sozialdemokratischen Genossen. Die Linke schied allein schon wegen ihrer Affinität zur kurdischen PKK als Option aus. Die Union wiederum sprach sich gegen doppelte Staatsbürgerschaften und einen EU-Beitritt der Türkei aus.
Mit den letztgenannten Faktoren konnten sich die Deutsch-Türken hingegen offenbar eher arrangieren als mit der Tatsache, dass die türkischstämmigen SPD-Abgeordneten die sogenannte Armenier-Resolution vom Juni 2016 mittrugen, als überdurchschnittlich Erdoğan-kritisch gelten und sich gerne mit öffentlicher Kritik an Teilen der eigenen Community profilierten.
Ein Teil der früheren SPD-Wähler unter den Deutsch-Türken dürfte ins Lager der Nichtwähler abgewandert sein. Zur CDU gewechselt sind eher jene konservativen türkischen Einwanderer, die Erdoğan kritisch gegenüberstehen, beispielsweise Anhänger der Gülen-Bewegung. Auch bei türkischstämmigen Frauen ist der Zuspruch zur CDU in nur zwei Jahren von 2,9 auf 47,6 Prozent hochgeschnellt. In NRW, dem einzigen Land, wo diese angetreten ist, haben 2017 bei der Bundestagswahl 12 Prozent der türkischstämmigen Wähler die Erdoğan-treuen, islamistisch dominierten AD-Demokraten gewählt. Neben radikal-islamisch oder nationalistisch gesinnten Wählern waren das vor allem auch solche, die infolge der durchwachsenen Leistungen bei der Aufklärung der NSU-Mordserie ihr Vertrauen in den Staat verloren hatten.
Meinungen über Merkels Einwanderungspolitik gehen auseinander
Die AfD ist, obwohl ihr Anteil unter Deutsch-Türken seit 2016 von 0,5 auf 1,1 Prozent etwas gestiegen ist, für die meisten Wähler mit türkischem Migrationshintergrund derzeit keine Alternative. Dies liegt zum einen daran, dass eine islamkritische Haltung zum programmatischen Kernbestand der Partei gehört und Erdoğan für sie in keiner Weise ein Sympathieträger ist. Dazu kommen noch unglückliche Auftritte wie die „Kameltreiber“-Rede des früheren Landesvorsitzenden von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, zum letzten Aschermittwoch.
Am ehesten sind es bislang türkischstämmige Einwanderer, die selbst dem Islam kritisch gegenüberstehen und den etablierten Parteien vorwerfen, dessen Gefahren zu unterschätzen, die den Weg zur AfD finden. Ein Beispiel dafür ist die Flüchtlingshelferin und „Frauenmarsch“-Initiatorin Leyla Bilge. Ein potenzielles Zielpublikum für die rechtskonservative Partei wären allerdings auch konservative Türkischstämmige, die ihre muslimische Prägung nicht verleugnen wollen, aber den politischen Islam ablehnen und sich um Akkulturation in die deutsche Gesellschaft bemühen.
Was die Bewertung der Einwanderungspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel anbelangt, ist die türkische Community gespaltener als andere Einwanderergruppen. Unter den religiösen Türken findet vielfach eine Solidarisierung mit Zugezogenen aus muslimischen Ländern statt. Andererseits sind es nicht selten türkische Einwanderer, auch aus der zweiten und dritten Generation, deren Eltern legal nach Deutschland gekommen waren, die nun auf dem Arbeitsmarkt die Konkurrenz durch illegal eingewanderte junge Männer spüren. Die Folge dürfte auch dort eine kritischere Position zu den jüngsten Wanderungsbewegungen sein, wie sie auch in anderen Migrantengruppen auftritt.
Dies entspricht auch der Einschätzung des Bundesvorsitzenden der Vereinigung „Neudeutsche Hoffnungsträger“- Migranten in der AfD, MdBB Alexander Tassis, der gegenüber der Epoch Times erklärte:
„Die Merkel’sche ‚Flüchtlingspolitik‘ hat Auswirkungen. Es ist völlig klar, dass eine unbegrenzte Flutung Deutschlands mit ungebildeten Fremden bei Menschen, die bei vorangegangenen Migrationsströmen nach Deutschland gekommen sind und dies fast alle unter anderen Auspizien erlebt haben, abgelehnt wird. […] Nun sinken also erwartungsgemäß die Prozente bei allen Parteien unbegrenzter Einwanderung. CDU, FDP und AfD gewinnen, weil sie dagegen die integrierten Migranten gewinnen.“
Russlandpolitik könnte Grund für Verschiebungen bei Aussiedlern sein
Bei den Spätaussiedlern ist der Absturz bei den großen Parteien nicht ganz so spektakulär wie jener der SPD bei den Türken, aber die Veränderungen sind dennoch erheblich. Die CDU baut in diesem Segment von 45,2 Prozent auf 40,6 ab, die SPD, die in der Ära Schröder dort eine gewisse Stärke aufbauen konnte, von 25,6 auf 15. Demgegenüber legt die Linke seit 2016 von 11,5 auf 15,6 Prozent zu, die AfD gar von 4,7 auf 12,0 zu. Die FDP steigt gar von 0,7 auf 7,9 Prozent und legt damit noch mehr zu als bei den Türkischstämmigen, wo sie von 0,7 auf 4,6 stieg.
Über die möglichen Gründe für diese Verschiebung bleibt der SVR vage. Sie erschöpft sich im Wesentlichen im Hinweis auf Medienberichte über wachsende AfD-Sympathien in dieser Gruppe. Der biografische Bezug der betreffenden Personen zur GUS im Allgemeinen und zur Russischen Föderation im Besonderen legt jedoch nahe, dass die Außenpolitik der deutschen Regierung gegenüber der alten Heimat einen erheblichen Einfluss gehabt haben könnte.
Die konfrontative Politik von Union, SPD und Grünen gegenüber Russland und die besonders feindselige Berichterstattung deutscher Leitmedien dürfte diesen Parteien in der genannten Wählergruppe geschadet haben. Mit der Linken und der AfD gewannen demgegenüber Parteien deutlich dazu, die sich als freundlicher gegenüber Russland positioniert hatten. Die FDP ist in dieser Frage eher ambivalent – neben Einpeitschern wie dem EU-Abgeordneten Alexander Graf Lambsdorff, die dafür bekannt sind, gerne Öl ins Feuer zu gießen, haben Parteichef Christian Lindner oder sein Vize Wolfgang Kubicki wiederum Dialogbereitschaft erkennen lassen.
Am schwierigsten zu deuten sind Trends bei Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund, die aus EU-Ländern oder der übrigen Welt kommen. In beiden Fällen sind CDU und CSU deutlich stärker als innerhalb der Gesamtbevölkerung, AfD und FDP sind etwas schwächer als sonst – was zum Teil etwas überrascht, da in diese Gruppe auch Einwanderer aus eher konservativ oder wirtschaftsliberal geprägten Staaten wie Polen oder Italien fallen. Die Bereitschaft dieser Befragten, sich einer bestimmten Parteipräferenz zuzuordnen, ist jedoch insgesamt gering. Auch könnte sich hier eine programmatische Gratwanderung bei Parteien wie der FDP oder der AfD abzeichnen, die mit einer zu eindeutig russlandfreundlichen Politik etwa potenzielle Wähler aus der polnischen oder ukrainischen Einwanderercommunity abschrecken könnten.
Viele der befragten Zuwanderer aus südeuropäischen Staaten sind auch schwer einzuordnen, weil sie angegeben haben, nur temporär, etwa zum Zwecke einer Ausbildung, in Deutschland bleiben zu wollen.
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