Fritz Vahrenholt: Habecks Strompreisbrücke ins Nirgendwo

In einem Gastkommentar spricht der ehemalige Hamburger Umweltsenator Prof. Fritz Vahrenholt über den tatsächlichen weltweiten Temperaturanstieg und das lange verneinte deutsche Stromproblem, die Konsequenzen für Strompreis und Industrie – und mögliche Lösungen.
Der hohe Strompreis macht Sparen immer schwerer.
Der politisch gewollte hohe Strompreis wirkt sich zusehend auf die Industrie und Verbraucher auf.Foto: iStock
Von 8. November 2023

Im Oktober 2023 ist die Abweichung der globalen Temperatur vom 30-jährigen Mittel der satellitengestützten Messungen der University of Alabama (UAH) gegenüber dem September noch einmal geringfügig angestiegen. Der Wert beträgt 0,93 Grad Celsius und stellt die höchste Abweichung vom langjährigen Mittel seit 1979 dar.

Wir befinden uns inmitten eines starken El Niño wie 2016, 2010 und 1998. In all diesen Jahren stiegen die Temperaturen sprunghaft an, nur um anschließend ebenso schnell und stark wieder zu sinken. Daher gibt auch der jetzige Ausreißer keinen Anlass zur Panik. Der Temperaturanstieg beträgt im Durchschnitt pro Jahrzehnt seit 1979 weiterhin 0,14 Grad Celsius.

Die Temperaturen im Oktober 2023 überstiegen das langfristige Mittel um +0,93 °C. Das ist die höchste Abweichung seit 1979. Der langfristige Trend liegt unverändert bei +0,14 °C pro Jahrzehnt. Foto: Dr. Roy SpencerUniversity of Alabama, Huntsville

Habeck 2022: „Wir haben kein Stromproblem“

Sie erinnern sich sicher noch an den Ausspruch des Wirtschaftsministers Robert Habeck inmitten der größten Energiekrise Deutschlands im Juli 2022: „Wir haben ein Gasproblem, kein Stromproblem. Und da hilft uns Atomkraft gar nichts.“ Ein Jahr später beklagt er in einer von seinem Ministerium herausgegebenen Broschüre mit dem Titel „Industriepolitik in der Zeitenwende“:

Während die Strompreise für stromintensive Unternehmen beispielsweise der Chemie-, Stahl- und metallverarbeitenden Industrie vor dem Ukrainekrieg wettbewerbsfähig waren, zahlen diese Unternehmen oft inzwischen einen vielfach höheren Strompreis als Wettbewerber etwa in Frankreich, den USA oder China.“

Wir haben also doch ein Problem und dieses ist durch Verteuerung und Verknappung des Stromangebots aufgrund grüner Politik erzeugt worden. Konkret gibt es zwei politisch erzeugte Ursachen:

Die eine ist die Stilllegung der letzten Kernkraftwerke in Verbindung mit der massiven Verteuerung der CO₂-Zertifikate bei Kohle- und Gaskraftwerken. Die Stilllegung der letzten sechs Kernkraftwerke durch die Ampelkoalition hat die preiswertesten Stromerzeugungskapazitäten aus dem Verkehr gezogen. Beim preiswerten Kernenergiestrom von 2,5 Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh) sind die Kosten der Endlagerung und des Rückbaus bereits enthalten.

Warum günstig, wenn es auch teuer geht?

Da Kernkraftwerke immer den preiswertesten Strom erzeugten, müssen nun teurere Gas- und Steinkohlekraftwerke einspringen. Da das teuerste Kraftwerk den Preis bestimmt, erhöht sich der Strompreis dramatisch.

Nach der sogenannten Merit-Order bestimmt der teuerste Anbieter den Strompreis.

Grafische Darstellung der Merit-Order (fiktive Werte) bei Abschaltung der günstigsten Kraftwerke. Die letzte benötigte – und am teuersten produzierte – Kilowattstunde (blaue Linien) bestimmt den Strompreis, gleichzeitig sinkt die Leistungsreserve der verfügbaren Kraftwerke. Foto: ts/Epoch Times mit Material von Arnold et al. EWI (2022): Merit-Order Tool – Dokumentation

Die Stilllegung der Kernkraftwerke hat also nicht nur die CO₂-Emissionen in Deutschland um fünf bis zehn Prozent erhöht. Die Stilllegung hat auch den Strompreis in Deutschland deutlich nach oben geschoben. Zum Vergleich: Habecks Heizungsgesetz bringt bis 1,4 Prozent CO₂-Minderung, aber nicht pro Jahr, sondern insgesamt bis 2030 kumuliert.

Der CO₂-Preis verdoppelt den Strompreis

Die zweite, durch grüne Politik erzeugte, Ursache der Strompreisexplosion ist die Verteuerung der CO₂-Preise durch das europäische Zertifikate-Handelssystem. 2021 trat die vierte Handelsperiode für CO₂-Zertifikate in Kraft, wonach die Anzahl der Berechtigungszertifikate für Emissionen um jährlich 2,2 Prozent verknappt wird.

Das entspricht Jahr für Jahr 48 Millionen Tonnen CO₂ weniger, was dazu führte, dass sich 2021 die CO₂-Preise massiv erhöhten. So kostete in den Vorjahren die Emission einer Tonne Kohlenstoffdioxid 20 Euro. Binnen Jahresfrist hat sich der Preis auf 80 bis 100 Euro vervier- bis -fünffacht. 2007 lag er sogar bei unter einem Euro.

Diese CO₂-Preiserhöhung hat in Deutschland, das noch immer etwas mehr als die Hälfte der Stromerzeugung aus Braunkohle, Steinkohle und Gas deckt, besonders starke Auswirkungen. Es führte zu einer Verdoppelung der Strompreise in Deutschland, das bereits die höchsten Strompreise der Welt aufwies und einen hohen Anteil an energieintensiver Industrie hat.

Strompreis nach Kraftwerkstypen, mit und ohne CO₂-Zertifikaten.

Die Preise für CO₂-Zertifikate haben sich 2021 vervier- bis -fünffacht. Bei seither über 80 €/t CO₂ ist Strom ebenfalls teils um ein Vielfaches teurer geworden. Foto: ts/Epoch Times nach Fritz Vahrenholt

Das hinderte jedoch weder die Bundesregierung noch die EU-Parlamentarier der Ampelparteien noch jene der CDU daran, die Verschärfung des Emissionshandels in Europa durchzuwinken.

Habeck 2023: „Wir haben ein Strompreis-Problem“

Das Ergebnis seiner Politik kann auch der Wirtschaftsminister jetzt nicht mehr negieren. Die Deindustrialisierung hat begonnen. Bei der Vorstellung seiner Industriestrategie Ende Oktober erklärte er: „Wir verlieren die Industrie und damit nicht nur Arbeitgeber und Branchen, sondern maßgeblichen Teil des Wohlstands, mit den entsprechenden politischen, gesellschaftlichen, demokratischen Konsequenzen.“

Wenn ein Minister eingestehen muss, dass das Ergebnis seiner Politik zum dramatischen Verlust an Wohlstand führt, wäre eigentlich ein Rücktritt angebracht. So heißt es in „Industriepolitik in der Zeitenwende“:

„Die starken Preisanstiege sind die Folge eines doppelten Fehlers der Energiepolitik“ sowie „für zahlreiche Betriebe der energieintensiven Industrie sind diese Preise existenzbedrohend, es droht eine Erosion der deutschen Grundstoffindustrie und damit der Wegfall integrierter Wertschöpfungsketten“.

Aber Robert Habecks Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat eine andere Begründung. Ursache für die Strompreisexplosion sei der „Angriffskrieg Putins auf die Ukraine“. Das mag für die Gaspreise zutreffen, für die Stromknappheit jedoch ist allein die Bundesregierung verantwortlich.

Die energieintensive Industrie in Deutschland schwächelt nicht erst seit dem Ukraine-Konflikt. Spätestens seit Anfang 2018 – dem ersten Preissprung der CO₂-Zertifikate – geht es bergab. Foto: ts/Epoch Times, mit Material von Statistisches Bundesamt (Destatis) und Wien Energie

Die Strompreisbrücke führt ins Nichts

Da Robert Habeck und sein Ministerium nun zur Erkenntnis gekommen sind, dass „unser Wohlstand auf das Engste mit industrieller Produktion verknüpft ist“, soll jetzt der Steuerzahler durch eine Strompreissubvention das Schlimmste verhindern. So will der Wirtschaftsminister für etwa 2.500 energieintensive Unternehmen den Strompreis von heute 10-12 €ct/kWh auf 6 €ct/kWh heruntersubventionieren.

Diese Unternehmen verbrauchen etwa 120 Terawattstunden Strom – etwa 22 Prozent des gesamtdeutschen Stromverbrauchs. Um die Kosten ein wenig einzugrenzen, sollen nur 80 Prozent dieses Verbrauchs bezuschusst werden. Trotzdem kommt man auf eine gewaltige Summe von sechs Milliarden Euro pro Jahr.

Um dieses Ergebnis der eigenen Politik ein wenig zu kaschieren, spricht Habeck von der Strompreisbrücke, die lediglich bis 2030 zu zahlen sei, nach seiner Rechnung etwa 25 bis 30 Milliarden Euro. Denn – so seine Annahme – ab 2030 wären ja ausreichend preiswerte erneuerbare Stromerzeugungen installiert worden. So heißt es in der Broschüre seines Ministeriums:

In Zukunft wird die Industrie durch Erneuerbaren Strom, Wasserstoff und klimaneutrale Kohlenwasserstoffe versorgt werden. Erneuerbare Energien […] stärken auch nachhaltig Preisstabilität und Versorgungssicherheit für die Industrie.“

Subventionen nur für Auserwählte

Hier liegt jedoch der eigentliche Fehler der Energiepolitik der Bundesregierung. Sie glaubt eine Stromversorgung oder gar eine Energieversorgung Deutschlands allein durch Solarstrom und Windenergie wettbewerbsfähig sicherstellen zu können. Kein anderes Land der Welt versucht das.

In meinem letzten Newsletter habe ich darauf hingewiesen, dass Windenergieanlagen riesige Kostenschübe durch Material- und Kapitalkosten zu gewärtigen haben. Will man dann noch die fluktuierenden Erneuerbaren zu einem bedarfsgerechten, verlässlichen Stromangebot formen, werden 14 bis 16 €ct/kWh erreicht.

Das ist dann das Ende energieintensiver industrieller Produktion in Deutschland. Und es klingt in Habecks Industriestrategiepapier schon wie eine Drohung, wenn das Ministerium zusammenfasst: „Es haben nur Unternehmen eine Chance, die mit den langfristigen Kosten des neuen Energiekonzepts werden arbeiten können.“

Zudem heißt es: Industrieunternehmen, die die Subvention bekommen, müssen „eine klare Transformationsverpflichtung eingehen, bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen“. Übersetzt heißt das: Es überleben nur Unternehmen, die dem grünen Narrativ folgen.

Was müsste eine neue Bundesregierung tun?

Die Ampelkoalition will zwar die CO₂-Abscheidung bei ausgewählten Industrien erlauben, die Anwendung der Technologie bei Kohlekraftwerken jedoch nicht zulassen. Anstatt 25 bis 30 Milliarden – aus dem Klimaschutzfonds – zur Subventionierung des Industriestroms bereitzustellen, sollte eine neue Bundesregierung mit diesem Geld die CO₂-Abscheidung bei Kohlekraftwerken finanzieren. Das würde auf Dauer das Stromangebot absichern und die Stromkosten senken, da die Abscheidung von CO₂ deutlich preiswerter ist (50-70 €/t CO₂), als die Zahlung einer Strafgebühr für Zertifikate in Höhe von 80 bis 100 €/t CO₂.

Damit könnte man sich auch den extrem teuren Weg eines Backups durch Wasserstoffkraftwerke sparen, da deren Regelungsfunktion von den „grünen“ Kohlekraftwerken übernommen werden könnte.

Eine neue Bundesregierung hätte zum Zweiten durch die Abschaffung des Fracking-Verbotsgesetzes die Möglichkeit, preiswertes und wettbewerbsfähiges Erdgas in Deutschland für die nächsten 20 bis 30 Jahre zu erschließen. Der Förderungsbeginn wäre innerhalb einer Jahresfrist möglich.

Drittens müsste eine neue Bundesregierung das Forschungsverbot für neue, störfallfreie Kernkrafttechnologien der 4. Generation abschaffen, bei denen keine langlebigen Abfälle entstehen. Das hilft uns zwar nicht sofort, wird uns aber langfristig aus der Sackgasse führen. Denn es verdichten sich die Hinweise, dass diese Technologien Strom für 2 €ct/kWh erzeugen können.

Wer langfristig industrielle Produktionen in Deutschland aufrechterhalten will, muss die Weichen hierfür rechtzeitig stellen.

Über den Autor:

Prof. Dr. Fritz Vahrenholt ist promovierter Chemiker, SPD-Politiker, Manager, Wissenschaftler und Buchautor. Seit 1976 arbeitete er unter anderem im Umweltbundesamt, als Staatsrat bei der Umweltbehörde und als Umweltsenator in Hamburg. Er war Vorstand für Erneuerbare Energien der Deutschen Shell AG sowie Gründer und Vorstand des Windenergie-Anlagenbauers REpower Systems.

Seit 1999 ist er Honorarprofessor im Fachbereich Chemie der Universität Hamburg. Sein Bestseller „Seveso ist überall“ (1978) war eines der wirkmächtigsten Bücher in den Anfangsjahren der Umweltbewegung. 2020 erschien sein Bestseller „Unerwünschte Wahrheiten“, 2021 folgte „Unanfechtbar – Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zum Klimaschutz im Faktencheck“. www.vahrenholt.net

Hat sich umfassend mit dem IPCC-Bericht und der Klimapolitik beschäftigt: Prof. Dr. Fritz Vahrenholt

Prof. Dr. Fritz Vahrenholt. Foto: privat

Dieser Artikel erschien im Original auf klimanachrichten.de/ unter dem Titel: Fritz Vahrenholt: Habecks Brücke ins Nirgendwo (redaktionelle und grafische Bearbeitung ts/Epoch Times)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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