Die ultimative Quelle des Glücks – eine Frage der Einstellung

Des einen Freud, der anderen Leid. Worauf wir achten und wie wir die Dinge betrachten, entscheidet über Glück oder Unglück in unserem Leben.
Mit der richtigen Einstellung auf dem Weg zum Glück. Foto: iStock
Mit der richtigen Einstellung auf dem Weg zum Glück.Foto: iStock
Von 11. November 2022

Stellen Sie sich eine Person vor, die „alles“ hat: eine liebevolle Familie, gute Freunde, Gesundheit, Reichtum, Macht oder sogar Ruhm. Dennoch fehlt dieser Person eines: der innere Frieden. Ihr Geist ist ständig von negativen Emotionen wie Wut, Angst und Traurigkeit besetzt; sie mag sich selbst nicht und hat kein Vertrauen in andere und sie sieht alles mit düsteren Augen. Kann man diese Person als glücklich bezeichnen?

Dieses kleine Gedankenexperiment offenbart die zentrale Rolle, die unsere Gedanken für unser Glück spielen. Ganz gleich, wie perfekt alles von außen aussehen mag, die Quelle des Glücks liegt in unseren Köpfen. Jahrzehntelange psychologische Forschung hat gezeigt, dass unser Glück in erster Linie von der Art und Weise bestimmt wird, wie unser Verstand funktioniert. Eine Ausnahme bilden diejenigen, die ein hartes Leben führen, in dem sie darum kämpfen, ihre grundlegendsten Bedürfnisse zu befriedigen. Für die meisten von uns Europäern wird unser Glück größtenteils durch unsere Gewohnheiten bestimmt, wie wir denken, fühlen und die Welt wahrnehmen.

Wir können uns unseren Verstand wie eine Fabrik vorstellen: Er nimmt das, was in der Außenwelt geschieht, als Rohmaterial auf, verarbeitet es und verwandelt es in verschiedene Gefühle und Gedanken. Das bedeutet, dass derselbe Rohstoff (beispielsweise eine Beförderung bei der Arbeit oder eine Trennung von einem Partner) von verschiedenen Menschen unterschiedlich verarbeitet werden kann. Nicht immer sind wir uns der eigenwilligen Produktionsprozesse in unserer Fabrik bewusst.

Einige von uns haben „Fabrikeinstellungen“, die der Produktion von Glück sehr förderlich sind. Andere tendieren dazu, unglücklich zu sein. Diese Einstellungen sind ein Erbe unserer Gene und Lebenserfahrungen. Die gute Nachricht ist: Es ist möglich, sie neu zu justieren. Mit viel Zeit und Mühe können wir die Gewohnheiten unseres Geistes ändern und glücklicher werden.

Unsere Einstellungen neu justieren

Wenn wir unseren Geist, unsere Gedanken kultivieren und aus den Rohstoffen des Lebens mehr Glück produzieren wollen, müssen wir vor allem an zwei Gewohnheiten arbeiten: Unserer Aufmerksamkeit (worauf wir achten) und unserer Interpretation (wie wir die Dinge betrachten).

Doch warum sind diese beiden „Einstellungen“ so wichtig für unser Glück? Und wie können wir diese zu unserem Vorteil anpassen?

Stellen Sie sich vor, Sie gehen langsam mit einer Taschenlampe in der Hand durch einen stockdunklen Raum. In diesem Raum könnten sich unzählige Gegenstände befinden – hübsche oder hässliche, amüsante oder beängstigende, gewöhnliche oder ungewöhnliche. Während Sie sich durch den Raum bewegen, werden Ihre Gedanken und Gefühle davon bestimmt, wohin Sie Ihre Taschenlampe richten und was für Sie sichtbar ist. Wenn Ihre Taschenlampe den Schokoladenbrunnen verfehlt, aber das Skelett beleuchtet, werden Sie eine ganz andere emotionale Reaktion zeigen als umgekehrt.

Auf unserem Weg durchs Leben erfüllt unsere Aufmerksamkeit die gleiche Funktion wie die Taschenlampe: Was sie beleuchtet, strömt in unseren Geist und wird zu unserer Realität. Für das, was sie nicht beleuchtet, sind wir blind. Wohin wir unsere Aufmerksamkeit lenken, hat einen direkten Einfluss auf unser Glück. Wenn wir uns einen Moment lang auf die guten Dinge in unserem Leben konzentrieren – beispielsweise die schöne Tasse Tee oder Kaffee, die wir gerade genießen dürfen – fühlen wir uns sofort besser. Dabei hat sich an unserer objektiven Situation nichts geändert. Probieren Sie es aus. Aber seien Sie sich auch bewusst, dass das Gegenteil passiert, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf negative Dinge richten.

Dieser Ansatz wird durch Studien gestützt, die individuelle Unterschiede in der Aufmerksamkeit mit Glück in Verbindung bringen. Glückliche Menschen fühlen sich eher zu positiven Reizen hingezogen, weniger glückliche Menschen zu negativen. Stellen Sie sich vor, Sie nehmen an einer Blickerfassungs-Studie teil und Ihnen wird eine Reihe von Gesichtern mit neutralem Ausdruck gezeigt. Unter all diesen neutralen Gesichtern befindet sich auch eines mit einem ängstlichen Ausdruck. Die Augen von Menschen, die eher zu Angst neigen, werden dieses negative Bild viel schneller finden und sich langsamer von ihm lösen.

Was glauben Sie, wie Sie bei dieser Studien abschneiden würden? Wenn Ihre Antwort für Sie enttäuschend ist, sollten Sie sich vor Augen führen, dass es in unserer Hand liegt, unsere Aufmerksamkeit auf das Positive zu lenken. Dies ist eine geistige Gewohnheit und wie jede andere Gewohnheit wird sie durch Übung erworben.

Der Weg ins eigene Glück

Betrachten Sie das Leben mit Augen, die ein wenig mehr darauf bedacht sind, Dinge zu finden, die Sie schätzen und mögen: die Farben der Frühlingsblumen, Ihre Fähigkeit, sich zu bewegen, die Freude, die Musik bereitet, oder das Lächeln eines geliebten Menschen. Je mehr wir uns auf die guten Dinge in unserem Leben konzentrieren, desto mehr Glück werden wir aus dem Leben schöpfen.

Wir können dies sogar zu einem Spiel machen: Jedes Mal, wenn wir das Haus verlassen, können wir uns vornehmen, nicht zurückzukehren, bevor wir nicht drei angenehme Dinge bemerkt haben. Jedes Mal, wenn wir mit jemandem sprechen, können wir versuchen, mindestens eine gute Eigenschaft an ihm zu erkennen und zu schätzen. Jeden Abend, wenn wir ins Bett gehen, können wir uns vornehmen, an etwas Gutes und Nützliches zu denken, das wir tagsüber getan haben.

Zu erkennen, wohin wir gewohnheitsmäßig das Blitzlicht unserer Aufmerksamkeit richten, ist entscheidend für die Steigerung unseres Glücks. Welche Bücher lesen wir? Welche Videos schauen wir an? Welchen Beiträgen in den sozialen Medien folgen wir? Diese Fragen sind wichtig, denn unsere Antworten bilden die Nahrung, die unser Geist zu sich nimmt. Gleichzeitig gilt: Was die Unterernährung für unsere körperliche Gesundheit ist, ist die Unterernährung des Geistes für unser geistiges Wohlbefinden. Wenn wir negativ über uns selbst oder andere denken oder vielen Dingen Aufmerksamkeit schenken, die einen schlechten Nachgeschmack in unserer Seele und unserem Geist hinterlassen, dann sollten wir unsere Aufmerksamkeit neu ausrichten.

Glück und Interpretation

Wenn es bei der Aufmerksamkeit darum geht, was wir betrachten, dann geht es bei der Interpretation darum, wie wir die Dinge betrachten, die wir tun. Was ist unsere allgemeine Lebenseinstellung? Welche Bedeutung messen wir den guten oder schlechten Dingen bei, die uns widerfahren? Wie erklären wir das Verhalten anderer Menschen?

Es wäre zwar nicht gesund, unsere Sicht der Dinge ständig infrage zu stellen, aber es ist auch ein Fehler anzunehmen, dass unsere Sichtweise die einzig gültige ist. Zwei Menschen können ein und dieselbe Sache betrachten und sehr unterschiedlich wahrnehmen. Es liegt in den Augen des Betrachters, ob eine Frau alt und hässlich oder jung und elegant erscheint. Psychologen haben wiederholt nachgewiesen, dass unsere Gefühle eher eine Reaktion auf unsere Wahrnehmung der Situation sind, die weniger mit der objektiven Realität zu tun hat.

Natürlich lösen manche Situationen im Leben wie Tod oder Scheidung mehr Unglück aus als andere. Bei bestimmten Ereignisse fällt es sehr schwer oder scheint gar unmöglich, sie aus einer positiven Perspektive zu betrachten. Dennoch kann man praktisch alles im Leben auf eine Weise angehen, die uns besser oder schlechter fühlen lässt. Einer der größten Unterschiede zwischen glücklichen und unglücklichen Menschen besteht darin, dass glückliche Menschen dieselben Ereignisse positiver betrachten oder interpretieren als unglückliche Menschen.

Ob wir die Dinge von ihrer schlechten oder guten Seite betrachten, ist letztlich eine Gewohnheit. Solange wir eine optimistische Haltung bewahren, wird sich das positive Denken seinen Weg in unser Gehirn bahnen. Diese Wege werden sich mit der Zeit von schmalen Pfaden zu breiten Boulevards entwickeln und die Neigung unseres Geistes zur Positivität wird unweigerlich zunehmen.

Über die Autorin:

Dr. Pelin Kesebir ist Autorin, Rednerin und Beraterin mit einer Ausbildung in Sozial- und Persönlichkeitspsychologie. Sie ist Ehrenmitglied des Center for Healthy Minds an der University of Wisconsin-Madison.

Der Artikel erschien im Original im Radiant Life Magazine unter dem Titel: The Ultimate Source of Happiness: Our Minds. (deutsche Bearbeitung nmc, sua)



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