Wie viele Leben haben die COVID-19-Impfungen gerettet?

Eine neue Studie versucht zu quantifizieren, wie viele Leben in Europa durch COVID-19-Impfungen gerettet wurden. Während Befürworter der Impfkampagnen diese Untersuchung als starken Beweis für deren Wirksamkeit ansehen, werfen methodische Einschränkungen Fragen zur Aussagekraft der Studie auf.
Laut einer neuen Studie haben Impfungen gegen COVID-19 in Europa Millionen überwiegend ältere Menschen gerettet.
Laut einer neuen Studie haben Impfungen gegen COVID-19 in Europa Millionen überwiegend ältere Menschen gerettet.Foto: Christof Stache/AFP via Getty Images
Von 19. August 2024

Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sind die Impfungen gegen COVID-19 ein „Triumph der Medizin, den man nicht nachträglich herabwürdigen sollte“. In einem Post auf X (vormals Twitter) verweist er auf eine neue Studie, die gerade in einem renommierten medizinischen Fachjournal veröffentlicht wurde. Lauterbach erklärt, dass demnach allein in Deutschland schätzungsweise 182.000 Corona-Todesfälle durch Impfungen verhindert wurden.

Die wissenschaftliche Arbeit, auf die sich der Gesundheitsminister bezieht, ist kürzlich in „The Lancet“ erschienen. Es handelt sich um eine sogenannte retrospektive stratifizierte Studie, also eine Untersuchung von vorhandenen Daten, die die Wirkung der COVID-19-Impfkampagne in 34 europäischen Ländern und Regionen bewertet, indem sie unterschiedliche Gruppen von geimpften Personen untersucht.

Nach den Schätzungen der Autoren wurden im Zeitraum von Dezember 2020 bis März 2023 in den von ihnen untersuchten europäischen Ländern etwa 1,6 Millionen Menschenleben gerettet. Dabei waren 96 Prozent der geretteten Personen 60 Jahre oder älter.

Schätzung von erwarteten Todeszahlen ohne Impfungen

Die Wissenschaftler untersuchten die Auswirkungen von Grundimmunisierungen und Auffrischungsimpfungen auf verschiedene Altersgruppen. Dabei berücksichtigten sie sowohl den schwindenden Impfschutz im Laufe der Zeit als auch das ständige Auftreten neuer Varianten von SARS-CoV-2.

Ihre Aussagen über die lebensrettenden Erfolge der Impfkampagne basieren auf dem Vergleich der tatsächlich erfassten COVID-19-Todesfälle mit hypothetischen, erwarteten Todeszahlen, die ohne Impfungen aufgetreten wären. Die erwarteten Todesfälle wurden durch Berechnungen ermittelt, die auf Impfstoffwirksamkeiten basieren, welche aus verschiedenen anderen Studien abgeleitet wurden.

Die Autoren berücksichtigen in ihrer Analyse verschiedene Faktoren wie die Impfraten in der Bevölkerung, das Alter der geimpften Personen und den Abstand zur letzten Impfung. Die Aussagekraft der Studie und die Zuverlässigkeit der Schätzung der geretteten Leben hängen jedoch in erster Linie von der Genauigkeit der Erfassung der COVID-19-Todeszahlen und der präzisen Beurteilung der Impfstoffwirksamkeit ab.

Studienergebnisse abhängig von korrekter Erfassung der COVID-19-Todeszahlen

Eine fehlerhafte Erfassung von COVID-19-Todeszahlen würde sowohl die Schätzung der Impfstoffwirksamkeit als auch die Berechnung der geretteten Leben beeinträchtigen. Falls die COVID-19-Todeszahlen untererfasst wurden, wäre die tatsächliche Zahl der geretteten Leben wahrscheinlich höher als in der Studie angegeben.

Allerdings deuten Berichte eher darauf hin, dass die Zahl der COVID-Toten in der Vergangenheit oft überschätzt wurde. Es besteht also die Möglichkeit, dass viele Personen als COVID-19-Tote ausgewiesen wurden, obwohl sie tatsächlich an anderen Ursachen gestorben sind.

In diesem Fall wären die Schätzungen zur Impfstoffwirksamkeit und somit auch die berechneten erwarteten Todeszahlen zu hoch angesetzt. Dies würde bedeuten, dass die tatsächliche Zahl der geretteten Leben geringer wäre als in der Lancet-Studie angenommen.

Schwindende Immunität nach Impfungen

Während der Schutz vor Infektionen bereits wenige Wochen nach der letzten Impfung deutlich nachlässt, gehen viele Wissenschaftler und Mediziner davon aus, dass der Schutz vor Hospitalisierungen und Todesfällen länger anhält. Allerdings wurde bisher meist nur der schwindende Schutz vor Infektionen, aber nicht die Verhinderung von Todesfällen untersucht.

Auf Grundlage der Auswertung verschiedener Studien gehen die Autoren des Lancet-Artikels von einer wöchentlichen Abnahme der Schutzwirkung um 0,25 Prozent aus. Dabei ist anzumerken, dass aufgrund der Beschreibung von einem Rückgang um wöchentlich 0,25 Prozentpunkte auszugehen ist, es sich also um einen linearen Zusammenhang handelt und die Schutzwirkung zu einem bestimmten Zeitpunkt gänzlich verschwunden ist und sich sogar ins Gegenteil verkehren kann.

Hinzu kommt, die Datenlage hierzu ist alles andere als einheitlich, und es gibt Studien, die von einer deutlich schnelleren Abnahme der Schutzwirkung ausgehen. Daher bleiben die Annahmen der Autoren über einen moderaten und gleichmäßigen Rückgang der Impfstoffwirksamkeit spekulativ.

Ausschluss von Risikogruppen

Zur Identifizierung von Studien, die die Wirksamkeit von COVID-19-Impfstoffen gegen Mortalität nach Altersgruppen und Virusvarianten (VOC) untersuchten, nutzten die Autoren den COVID-19 Study Explorer des International Vaccine Access Center. In ihrer Analyse haben sie ausschließlich Studien aufgenommen, die sich auf Erwachsene in Europa oder anderen wohlhabenden Ländern beziehen.

Ausdrücklich ausgeschlossen wurden hingegen Studien, die Personen mit Vorerkrankungen, immungeschwächte Personen oder auch Beschäftigte im Gesundheitswesen einschlossen. Diese Einschränkung ist besonders bemerkenswert, da gerade diese Gruppen überproportional von schweren COVID-19-Verläufen mit Todesfolge betroffen sind. Der Ausschluss solcher Risikogruppen dürfte dazu geführt haben, dass die berechnete Impfstoffwirksamkeit optimistischer ausfiel.

Bei der Erfassung der tatsächlichen Todesfälle wurden Personen mit Vorerkrankungen oder geschwächtem Immunsystem hingegen nicht ausgeschlossen. Dadurch wird die Zahl der geretteten Leben – also die Differenz zwischen den erwarteten und den tatsächlich erfassten Todeszahlen – künstlich vergrößert.

Corona-Tote versus Gesamtsterblichkeit

Für die Berechnungen der Impfstoffwirksamkeit schlossen die Autoren auch Studien aus, die die Wirksamkeit innerhalb von weniger als vier Wochen nach der Impfung bewerteten. Diese Entscheidung dürfte die Einschätzung der Impfstoffwirksamkeit ebenfalls optimistischer erscheinen lassen. Denn auch in den ersten vier Wochen nach einer Impfung können Infektionen mit SARS-CoV-2 auftreten, die schwerwiegend oder sogar tödlich verlaufen können.

Es ist nicht davon auszugehen, dass eine Reduktion des Infektionsrisikos durch Impfungen automatisch auch das allgemeine Sterberisiko senkt. Zwar kann die Wahrscheinlichkeit einer COVID-19-Infektion mit Todesfolge nach Impfung verringert sein. Dies führt jedoch nicht zwangsläufig zu einer Senkung der Gesamtsterblichkeit. Insbesondere bei älteren, vorerkrankten oder immungeschwächten Personen könnten andere Infektionen oder Erkrankungen als Todesursache die COVID-19-Infektion einfach ersetzen.

Um diesen Effekt zu berücksichtigen, sollte die Untersuchung auch die Gesamtmortalität betrachten. Die ausschließliche Fokussierung auf COVID-19-Todesfälle erweist sich als problematisch: Nach diesem Ansatz könnte sogar eine medizinische Intervention mit hohen Nebenwirkungsraten als positiv bewertet werden, wenn die Erfassung von Nebenwirkungen und anderen Todesursachen nach einer Impfung nicht ausreichend erfolgt.

Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass seit der Einführung der COVID-19-Impfstoffe keine Reduktion der Gesamtsterblichkeit in der Bevölkerung beobachtet wurde. Stattdessen wurde in den meisten Ländern sogar eine Übersterblichkeit verzeichnet. Zwar lässt sich daraus allein kein kausaler Zusammenhang zwischen der Impfkampagne und einer erhöhten Sterblichkeit ableiten. Es könnte jedoch darauf hindeuten, dass die Impfungen zwar die Zahl der Patienten reduzieren, bei denen als Todesursache eine COVID-19-Infektion festgestellt wurde, jedoch keinen generellen Nutzen im Hinblick auf das allgemeine Sterberisiko bringen.

Studie von WHO und Gesundheitsbehörden

Obwohl sich die aktuelle Studie auf Zahlen aus europäischen Ländern stützt, wurde sie von der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC finanziert. Diese Behörde war nicht nur für die Zulassung der Impfstoffe in den USA verantwortlich, sondern hat auch die Impfkampagne gegen COVID-19 massiv vorangetrieben.

Ein Großteil der beteiligten Autoren sind Mitarbeiter der WHO oder staatlicher Gesundheitsbehörden. Auch diese Institutionen waren für die Zulassung und Überwachung der COVID-19-Impfstoffe zuständig und haben die Impfkampagnen aktiv propagiert. Spätestens seit der Veröffentlichung der RKI-Protokolle ist bekannt, dass wissenschaftliche Unabhängigkeit in weisungsgebundenen Gesundheitsbehörden nicht immer Priorität genießt.

Retteten die Impfungen Millionen Leben?

Die Lancet-Studie unternimmt den anspruchsvollen Versuch einer komplexen Analyse und kommt zu einer äußerst positiven Bewertung der Impfkampagne. Positiv hervorzuheben ist, dass Faktoren wie Alter, nachlassende Immunität und unterschiedliche Virusvarianten in die Bewertung einbezogen wurden.

Allerdings legen die Wissenschaftler möglicherweise eine zu optimistische Wirksamkeit der Impfstoffe zugrunde und setzen voraus, dass die COVID-19-Todeszahlen grundsätzlich korrekt erfasst wurden. Das kann zu verzerrten Ergebnissen führen, insbesondere wenn eine fehlerhafte Erfassung der Todeszahlen die Schätzung der Impfstoffwirksamkeit ungenau macht.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion