637 km langer Nordsee-Staudamm soll Europa vor Anstieg des Meeresspiegels schützen
Ein 475 km langer Staudamm zwischen dem Norden Schottlands und dem Westen Norwegens und ein weiterer Damm von 160 km zwischen der Westspitze Frankreichs und dem Südwesten Englands könnte Europa schützen. Ein erwarteter Anstieg des Meeresspiegels „von mehreren Metern“ in den nächsten Jahrhunderten betreffe andernfalls mehr als 25 Millionen Europäer.
Zu diesem Ergebnis kommen Dr. Sjoerd Groeskamp, Ozeanograph am Königlich Niederländischen Institut für Meeresforschung (NIOZ), und sein schwedischer Kollege Joakim Kjellson von GEOMAR in Kiel. Die vollständige Studie veröffentlichten sie Ende Februar in der Fachzeitschrift „Bulletin of the American Meteorological Society“.
Ozeanograph: „Wenn der Klimaschutz misslingt, braucht Europa diesen Damm“
Die maximale Tiefe der Nordsee zwischen Frankreich und England beträgt knapp einhundert Meter. Die durchschnittliche Tiefe zwischen Schottland und Norwegen beträgt 127 Meter. Der tiefste Punkt des Damms liegt in 321 Meter unter Null vor der Küste Norwegen, erklärt Groeskamp. „Bereits heute können wir feste Plattformen in Tiefen von mehr als 500 Metern zu bauen, so dass dieser Damm technisch machbar erscheint.“
Die Kosten für dieses Mammutprojekt würden sich auf schätzungsweise 250 bis 500 Milliarden Euro belaufen. Dies entspräche „nur“ 0,1 Prozent des Bruttosozialprodukts, jährlich über 20 Jahre, für alle Länder, die durch einen solchen Damm geschützt würden.
Die Konstruktion eines solch extremen Staudamms sei jedoch „nicht nur eine mögliche Lösung, sondern vor allem eine Warnung“, so Groeskamp. Weiter sagte er: „Wenn der Klimawandel nicht eingedämmt wird, könnte der Bau des 637 km langen Nordeuropäischen Eindämmungsdammes (Northern European Enclosure Dam, NEED) die beste Lösung sein, um Nordeuropa vor dem Anstieg des Meeresspiegels zu schützen.“
Die Nordsee wird zum Süßwassersee
Die Schätzung der Kosten für den Bau des Staudamms basieren auf der Hochrechnung der Kosten für Großstaudämme beispielsweise in Südkorea. Bei der endgültigen Berechnung müssten zusätzliche Faktoren berücksichtigt werden. Dazu gehören der Einkommensverlust durch die Nordseefischerei und die gestiegenen Kosten für die Schifffahrt über die Nordsee.
Außerdem kämen Kosten für riesige Pumpen hinzu. Diese sollen gewährleisten, dass das Flusswasser, das derzeit in die Nordsee fließt, auf die andere Seite des Staudamms gepumpt wird. Andernfalls drohe der Damm „von hinten“ über die Ufer zu treten.
Die Autoren erkennen an, dass die Folgen dieses Staudamms für die Tierwelt der Nordsee beträchtlich wären. Nicht nur würden Ebbe und Flut in einem großen Teil der Nordsee verschwinden und mit den Gezeiten auch der Transport von Schlamm und Nährstoffen. Der abgeschlossene Teil würde schließlich sogar zu einem Süßwassersee werden. Das „wird das Ökosystem drastisch verändern und damit weitere Auswirkungen auf die Fischereiindustrie haben“, sagte Groeskamp.
Letztlich sei die Staudamm-Studie jedoch eher eine Warnung als eine Lösung. Zudem „zeige sie das Ausmaß der nötigen Intervention, wenn die Menschheit den Klimaschutz jetzt verpasst.“ Je nach Prognose müssten die Menschen mit einem Anstieg des Meeresspiegels von bis zu 10 Metern bis zum Jahr 2500 rechnen, so Groeskamp.
Kein Staudamm vor Amerika: Menschlicher Einfluss auf Anstieg des Meeresspiegels gering
Forscher der Universität York (Großbritannien) fanden indes Hinweise auf einen historischen Anstieg des Meeresspiegels. An drei Orten der amerikanischen Atlantikküste – Nova Scotia, Maine und Connecticut – zeigt ihre Studie einen „verstärkten vorindustriellen Meeresspiegelanstieg um etwa zwei bis drei Millimeter pro Jahr“.
Dieser Anstieg ist laut den Forschern auf natürliche Ursachen zurückzuführen. So ließen sowohl die Nordatlantischen Oszillation, eine großräumige Luftdruckschwankung über dem Nordatlantik, als auch Perioden verstärkter Eisschmelze in der Arktis das Wasser steigen.
„Im 20. Jahrhundert sehen wir Raten von bis zu drei oder vier Millimetern pro Jahr“, sagte der Hauptautor der Studie Prof. Roland Gehrels. Im 18. Jahrhundert war der Anstieg etwas langsamer, „aber immer noch viel schneller, als man für die ‚Kleine Eiszeit‚ erwarten würde“, so Gehrels.
Da dies zeitlich vor der Industrialisierung geschah, können menschliche Einflüsse größtenteils ausgeschlossen werden. Mit anderen Worten: Der rasche Anstieg des Meeresspiegels an der Nordostküste Amerikas im 18. Jahrhundert – und unter Umständen auch der aktuelle weltweite Anstieg – hat (auch) natürliche Ursachen.
Statt eines gigantischen Staudamms von Neufundland über Florida, Kuba und die Dominikanische Republik bis nach Venezuela schlagen Gehrels und Kollegen jedoch lediglich vor, „dass Städte wie New York und Boston diese natürliche Variabilität bei der zukünftigen Planung […] berücksichtigen müssen.“
(Mit Material des Königlich Niederländischen Instituts für Meeresforschung und der Universität York)
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