Habeck geht auf Nummer sicher – Grüne als „unideologische Problemlöser“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat am Dienstagabend, 27. September, erklärt, dass die KKWs Isar 2 und Neckarwestheim vorerst am Netz bleiben werden. Die Erklärung gilt zunächst für das erste Quartal. Ursprünglich sollte der 2011 beschlossene deutsche Atomausstieg mit Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.
Grüne inszenieren sich als „unideologische Problemlöser“
Habecks grüne Partei- und Kabinettskollegin Steffi Lemke begrüßte in der Fernsehsendung „Frühstart“ (RTL/ntv) die Ankündigung. Sie präsentierte die Entscheidung als Ausdruck davon, dass die Grünen „unideologisch alle vernünftigen Lösungen vorbereitet“ hätten. Ihre Partei habe sich „schon immer daran orientiert, was notwendig und was verantwortbar“ sei.
Gleichzeitig kritisierte sie die Forderung der FDP, die Kernkraftwerke noch für mehrere Jahre am Netz zu halten. Dies sei „nicht verantwortbar“, so Lemke. Der Koalitionspartner ignoriere, dass es einen „relevanten Unterschied“ mache, ob „vorhandene Brennelemente aufgebraucht würden oder neue bestellt“ werden müssten.
Die beiden süddeutschen Kraftwerke sollten ursprünglich zusammen mit dem KKW Emsland Ende des Jahres abgeschaltet werden.
Habeck geht nicht von Vollbetrieb in Frankreichs KKWs aus
Als wesentlichen Grund für seine Entscheidung, die Kraftwerke über den Winter weiterlaufen zu lassen, nennt Habeck die Netzstabilität. Einer der wesentlichsten Unsicherheitsfaktoren sei die Lage in Frankreich gewesen.
Dort werden üblicherweise etwa 70 Prozent des Strombedarfs aus Kernkraft gedeckt. Zudem exportiert Frankreich im Regelfall Strom aus seinen Kraftwerken nach Deutschland. Derzeit produzierten allerdings 28 von 56 Meilern keinen Strom, weil zum Teil komplexe Wartungsprozesse erforderlich seien.
Zudem wiesen insgesamt 13 Reaktoren Probleme mit Korrosion auf. Aufgrund der ausbleibenden Stromlieferungen aus Frankreich müsse Deutschland Gas verstromen – was seine Versorgungssicherheit gefährden könnte. Der „Focus“ macht zudem Bayerns restriktive Windkraftpolitik dafür verantwortlich, dass nicht ausreichend Strom aus erneuerbaren Energien in Deutschland selbst erzeugt werde.
Auf Druck der Politik hat der französische Energiekonzern EDF ein Konzept vorgelegt. Diesem zufolge könne die Wartung noch bis zum Ende des Jahres abgeschlossen sein. Habeck wollte sich jedoch offenbar nicht darauf verlassen, dass der Konzern alle Zusagen einhalten kann.
Derzeit seien nur 20 der 50 Gigawatt Kapazität am Netz, die bis Jahresende zur Verfügung stehen sollen. Er gehe von zu optimistischen Vorstellungen bei EDF aus und rechne nur mit 45 Gigawatt. Deshalb habe er im Zeichen der „europäischen Solidarität“ Bedenken gegen die „Hochrisikotechnologie Kernkraft“ in den Hintergrund treten lassen.
Stresstest kam zu eindeutiger Empfehlung für Weiterbetrieb der KKWs
Eine französische Kapazität von 45 Gigawatt war im Übrigen auch das, was im sogenannten Stresstest des Ministeriums im Worst-Case-Szenario angenommen war. Diesen hatten die vier regelzonenverantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber zur Stromversorgung für den bevorstehenden Winter 2022/23 ausgearbeitet – im Auftrag Habecks.
Die Ergebnisse waren mehr als besorgniserregend: Für alle drei untersuchten Szenarien diagnostizierten die Netzbetreiber eine „äußerst angespannte“ Versorgungssituation für das bevorstehende Winterhalbjahr. Explizit hieß es: „In Europa kann im Strommarkt die Last nicht vollständig gedeckt werden.“
In den beiden kritischeren Szenarien traten „in einigen Stunden Lastunterdeckungen auch in Deutschland auf“. In keinem der drei Szenarien reichten zudem die inländischen Redispatchpotenziale zum Management von Netzengpässen aus. Unter Redispatch versteht man Eingriffe in die Erzeugungsleistung von Kraftwerken, um Leitungsabschnitte vor einer Überlastung zu schützen.
Ein Weiterbetreiben der deutschen Kernkraftwerke würde den Redispatchbedarf in besonders kritischen Momenten immerhin von 5,1 Gigawatt auf 4,6 Gigawatt senken, so der Stresstest.
Bringt Habeck grüne Dogmatiker gegen sich auf?
Der Weiterbetrieb der KKWs für das erste Quartal 2023 soll bereits in der kommenden Woche im Kabinett beschlossen werden. Im Dezember soll entschieden werden, wie es danach weitergeht. Die FDP erneuerte unterdessen ihre Forderung nach einem längeren Weiterbetrieb der Kernkraftwerke.
Gegenüber der „Bild“-Zeitung sprach FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai von einem „Schritt in die richtige Richtung“. Allerdings könne dies noch nicht das letzte Wort sein, fügte er hinzu:
Wir brauchen eine Laufzeitverlängerung aller drei Kernkraftwerke – inklusive Emsland – bis ins Jahr 2024 hinein.“
Zudem könnte Habeck sich mit dem nunmehrigen Schritt in einigen besonders dogmatischen Kreisen seiner Partei keine Freunde gemacht haben. Außenministerin Annalena Baerbock und Ex-Minister Jürgen Trittin hatten sich bis zuletzt öffentlich gegen jeden Kompromiss in der KKW-Frage gesperrt. Auch die „Deutsche Umwelthilfe“ (DUH) fordert „aus Sicherheitsgründen“, am Atomausstieg zum Jahresende festzuhalten.
Trittin ist derzeit auch ein zentraler Faktor im Landtagswahlkampf in Niedersachsen. Dort wird am 9. Oktober gewählt. Ein mögliches schlechtes Ergebnis der Partei würde wahrscheinlich Habecks temporärem Abschied vom Atomausstieg angelastet werden. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit eines grünen Desasters gering: Die Partei startet mit 8,7 Prozent aus dem Jahr 2017 von einem verhältnismäßig niedrigen Vergleichsniveau aus.
(Mit Material von AFP)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion