Wagenknecht-Partei nach Rückzug von Mohamed Ali wahrscheinlicher – Netzwerke werden aktiv
Die Linkspartei muss Umfragen zufolge um ihren Verbleib im Bundestag zittern. Der jüngste Rückzug der Co-Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali hat der Wahrnehmung der Partei in der Öffentlichkeit kaum geholfen. Stattdessen geht ein Gespenst um in den Reihen der Linken und darüber hinaus. Es ist das einer möglichen Parteigründung durch Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht.
Fraktionssprecherin führt politische Gründe für Entscheidung an
Mohamed Ali führt seit 2019 gemeinsam mit Dietmar Bartsch die linke Bundestagsfraktion. Am Sonntag, 6. August, hat sie auf Twitter bekannt gegeben, bei der kommenden Vorstandswahl nicht mehr für dieses Amt kandidieren zu wollen.
Ich habe mich entschieden, bei der kommenden Vorstandswahl nicht mehr für den Fraktionsvorsitz der Linken im Bundestag zu kandidieren.
Diese Entscheidung hat politische Gründe. Meine Erklärung: pic.twitter.com/c6UxsvkyeI— Amira Mohamed Ali (@Amira_M_Ali) August 6, 2023
In ihrem Schreiben kritisiert die Politikerin die inhaltliche Schwerpunktsetzung der Partei. Diese biete kein „grundsätzliches Nein“ zum Kurs der Ampelregierung, die sie für Kinderarmut und niedrige Löhne beziehungsweise Renten verantwortlich macht.
Auch bemängelt sie eine Klimapolitik, die nicht den Klimawandel bekämpfe, sondern vor allem das Leben vieler Menschen erschwere. Mohamed Ali vermisst bei der Linken zudem eine konsequente Friedenspolitik.
„Bewegungslinke“ Rackete als Kampfansage an Grünen-kritische Wähler?
Die Parteiführung wolle vor allem enttäuschte Grünen-Anhänger zurückgewinnen, diagnostiziert die Politikerin. Als ein eindeutiges Signal dafür steht die Ankündigung, die „Bewegungslinke“ Carola Rackete ins EU-Parlament schicken zu wollen. Allerdings gelinge dies nicht – gleichzeitig gehe die Fähigkeit verloren, Nichtwähler oder Menschen zurückzugewinnen, die aus Protest AfD wählten.
Explizit nennt Mohamed Ali allerdings auch den einstimmigen Beschluss des Bundesvorstands vom 10. Juni 2023 als Grund für den Rückzug. Diesen hätte sich auch die große Mehrheit der Landesverbände zu eigen gemacht. In dem Beschluss heißt es, Sahra Wagenknecht habe „in der Linken keine Zukunft mehr“. Gleichzeitig fordert man sie und Abgeordnete, die mit ihr sympathisieren, zur Mandatsniederlegung auf. Mohamed Ali äußert dazu:
Dies zeigt in bis dahin noch nicht gekannter Deutlichkeit den Wunsch und das Ziel, einen Teil der Mitgliedschaft aus der Partei zu drängen.“
Ende des Jahres soll die Entscheidung über Wagenknecht-Partei fallen
Noch halten sich mögliche Protagonisten bedeckt, aber der Rückzug Mohamed Alis macht die Gründung einer Wagenknecht-Partei wahrscheinlicher. Die frühere Fraktionschefin hatte angekündigt, über eine solche nachzudenken, sollte sich die Linke bis zum Jahresende nicht grundlegend reformieren.
Auch Umfragen weisen ein nicht unwesentliches Potenzial für eine Wagenknecht-Partei aus. Bereits im März wies Kantar ein solches bundesweit mit 19 Prozent aus, in Ostdeutschland liege es bei 27. Neuere Analysen wie jene von „wahlkreisprognose.de“ bestätigen diese Einschätzung. In Thüringen gaben in einer Umfrage Mitte Juli 25 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, eine Wagenknecht-Partei wählen zu wollen – wenn es sie gäbe und wenn jetzt Landtagswahl wäre.
Im Juli gaben sich potenzielle Kandidaten wie der frühere Bundestagsabgeordnete Alexander Neu noch kryptisch. So erklärte dieser damals:
Ich habe noch keine Informationen über die Gründung einer neuen Partei. Aber es gibt auf jeden Fall im Parteienspektrum eine Lücke für eine linke Partei, die die zeitgemäßen Fragen beantwortet.“
Die Linkspartei selbst scheint unterdessen weiterhin mit einer Austrittswelle konfrontiert zu sein. Mittlerweile hat sie eine eigene Website ins Leben gerufen, die Austrittswilligen Gesprächsangebote macht.
Hausfriedensbruch in Büro von Hamburger Linksabgeordneter?
Einer der Kristallisationspunkte einer möglichen Wagenknecht-Partei könnte dabei Hamburg werden. Dort verfügt die Linkspartei über einen ihrer stärksten Landesverbände – aber auch einen der am tiefsten zerstrittenen.
Die Hamburger Bundestagsabgeordnete Żaklin Nastić verdächtigt sogar ihre eigenen Parteifreunde, widerrechtlich in ihr Büro eingedrungen zu sein. Nastić gilt als Vertraute von Sahra Wagenknecht. Im Fall der Gründung einer Partei durch die Ex-Fraktionschefin gilt sie als mögliche Führungspersönlichkeit.
Im gleichen Zusammenhang fällt auch der Name des Sprechers für Entwicklungszusammenarbeit im Landesverband, Andreas Grünwald. Er äußert auf Facebook Verständnis für den Rückzug von Mohamed Ali.
Er wirft Vertretern der „Bewegungslinken“ vor, die Linkspartei zu einer „schlechten Kopie der Grünen“ machen zu wollen. Sie hätten „die Linke bereits jetzt so tief gespalten, dass es keinen Kitt mehr gibt, das rückgängig zu machen“.
Sogar Lafontaine soll im Hintergrund die Lage sondieren
Grünwald weist auf weit über 10.000 Parteiaustritte hin, die es seit den Bundestagswahlen gegeben haben soll. Das „kleinbürgerliche Projekt“, das die Lifestyle-Linke anstrebe, werde scheitern, „weil es an der Lebensrealität der meisten Menschen vollständig vorbeigeht“. Weiter heißt es in dem Post:
Der Schaden, den diese Leute gemeinsam mit ihren Koalitionspartnern, den so genannten Progressiven Linken, angerichtet haben, ist trotzdem von historischer Tiefe.“
Eine gut informierte Quelle aus dem Umfeld der Linkspartei hat mit Epoch Times unter der Bedingung der Anonymität gesprochen. Sie sieht Grünwald als „in den Hamburger Strukturen sehr gut vernetzt“. Er selbst bewirbt auf seiner Facebook-Seite das „Was tun?! Netzwerk“, das bereits in elf Bundesländern über Strukturen verfüge.
Die Quelle geht davon aus, dass sich auch Personen, die sich aus der ersten Reihe der Linkspartei zurückgezogen hätten, mittlerweile formieren. Diese Entwicklung habe bereits mit dem Parteiaustritt des früheren MdB Fabio de Masi begonnen. Im Hintergrund sollen auch Protagonisten wie Sevim Dağdelen, Mohamed Ali, Dieter Dehm und sogar Oskar Lafontaine die Lage sondieren.
Wer eine Partei der früheren Links-Politikerin wählen würde
Das Potenzial einer Wagenknecht-Partei liegt Experteneinschätzungen zufolge bei Personen, die „linke“ Positionen in der Sozialpolitik mit kulturellem Konservatismus verbinden. Diese würden sozialstaatliche Absicherungen und gewerkschaftliche Anliegen gutheißen, außerdem zu strikten Klimaschutz ablehnen, wenn dieser den Alltag verteuere.
Potenzielle Wagenknecht-Wähler wären auch unter Personen zu finden, die das etablierte Narrativ zum Ukraine-Krieg ablehnen. Sie würden Waffenlieferungen an die Führung in Kiew ablehnen und Russland wieder als Wirtschafts- und Energiepartner gewinnen wollen.
Für die Wahl einer Wagenknecht-Partei wären auch Bürger zu gewinnen, die Migration und Flüchtlingsaufnahme begrenzen wollen. Gleichzeitig würden diese aber die aggressive „Islamkritik“ und Rhetorik der AfD gegen Schutzsuchende ablehnen. In der Außen- und Entwicklungspolitik würde Wagenknecht eher für einen antikolonialistischen Kurs stehen. Demgegenüber befinden sich auf der AfD-Europawahlliste auch Personen, die beispielsweise Afrika eine Ein-Kind-Politik aufzwingen wollen.
Projekt von Mélenchon als Blaupause für Wagenknecht-Partei?
Zu den Risiken für eine Wagenknecht-Partei gehört jedoch jenes der ideologischen Engführung. Die Quelle, mit der Epoch Times sprach, ist sich der Notwendigkeit bewusst, die Basis zu verbreitern. Eine Partei, die sich personell und inhaltlich auf frühere Linksfunktionäre beschränke, habe wenig Potenzial.
Es würden „da sicher einige dazustoßen“, hieß es gegenüber der Epoch Times. Allerdings gebe es „intern Ängste bezüglich dieser Figuren, die ja auch Störer und Querulanten sein können“.
Einzelne Akteure könnten wegen ihrer bisher pointierten Positionen potenzielle Zielgruppen vergraulen. So gilt beispielsweise die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen als enge Vertraute Wagenknechts – und als mögliche Führungsfigur eines Parteiprojekts.
Allerdings würden beispielsweise politisch weitgehend alleingelassene Gruppen wie konservative türkische oder syrische Einwanderer auf Distanz gehen. Der Grund: Dağdelen hatte in der Vergangenheit wiederholt scharfe Kritik an der türkischen Regierung unter Präsident Erdoğan geübt. Zudem hat sie sich durch eigenes Verhalten dem Verdacht ausgesetzt, Sympathien für die terroristische PKK zu hegen.
Will eine Wagenknecht-Partei, ähnlich wie es Jean-Luc Mélenchon in Frankreich praktiziert, muslimische Wählerschichten ansprechen, wird sie hier Kompromisse machen müssen. Ähnlich sieht es mit Blick auf den Mittelstand aus, den zu weitreichende Umverteilungsideen abschrecken könnten.
(Mit Material der dpa)
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