Verbände fordern Einigung über Bürgergeld – Koalition kommt Union entgegen
Am Mittwochabend (23.11.) soll es im Vermittlungsausschuss zu einer Einigung zwischen Ampelkoalition und Union über den Systemwechsel von Hartz IV zum Bürgergeld kommen. Es handelt sich vielleicht um die letzte Gelegenheit, dessen Umsetzung zum 1. Januar 2023 zu ermöglichen. Zuletzt hatte die Union das Vorhaben über den Bundesrat blockiert.
Wie die „Bild“-Zeitung berichtet, soll sich die Ampel-Regierung gegenüber der Union in einem entscheidenden Punkt kompromissbereit zeigen. So soll die sogenannte Vertrauenszeit wegfallen, in der Leistungsempfänger bei Abschluss einer Kooperationsvereinigung mit dem Jobcenter nicht mit Sanktionen rechnen müssten.
Diese hätte sechs Monate betragen. Stattdessen sollen Sanktionen nun bereits ab dem ersten Tag möglich sein, wenn ein Bezieher von Grundsicherung beispielsweise Termine unbegründet nicht wahrnimmt. Vor allem die SPD wollte mit der Regelung der Rechtsprechung zu Hartz IV Rechnung tragen, die in vielen Fällen Sanktionen als rechtswidrig aufgehoben hat. Die Union hingegen befürchtet den Wegfall von Anreizen zur Arbeitsaufnahme.
Union will auch höheres Schonvermögen verhindern
Ob sich die Union mit dem Angebot zufrieden geben wird, ist ungewiss. Sie nimmt immer noch Anstoß am höheren Schonvermögen, das die Ampel in ihrem Konzept vorgesehen hat. Zwei Jahre lang sollen demnach Singles bis zu 60.000 Euro an Vermögen besitzen dürfen, ohne es verbrauchen zu müssen.
Für jedes weitere Familienmitglied kämen weitere 30.000 Euro dazu. Erst danach soll dieses auf 15.000 Euro sinken. Damit will die Koalition vor allem die Lebensleistung von Erwerbsfähigen würdigen, die im Alter in die Grundsicherung fallen.
Ungewiss ist auch noch, wie künftig die Angemessenheitsprüfung der Wohnsituation stattfindet. Auch hier sollen es zwei Jahre sein, in denen Bedürftige in Wohnungen bleiben dürfen, die nach den bisherigen Regelungen als zu groß eingestuft worden wären. Vor allem in Großstädten herrscht Knappheit auf dem Wohnungsmarkt, weshalb für viele Grundsicherungsempfänger kleinere Wohnungen nicht schnell verfügbar wären.
VdK drängt auf zeitnahe Einigung über Bürgergeld
Unterdessen steigt der Druck auf die Union, sich in Sachen Bürgergeld zu bewegen. Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) forderte CDU und CSU auf, sich zu überlegen, ob sie „die Partei dauerhaft über das Land stellen“ wolle. Gegenüber dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) sagte sie:
Es kann kluge Kompromisse geben, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren.“
Auch der Sozialverband VdK drängt zu einer zeitnahen Einigung zum Bürgergeld. Der Inflationsdruck gerade auf ärmere Haushalte sei so hoch, dass ein weiteres parteitaktisches Taktieren nicht möglich sei.
„Wer auf Grundsicherung angewiesen ist, kann nicht länger warten“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Dienstagsausgabe). „Darunter sind Alleinerziehende mit ihren Kindern, ältere Menschen oder Beschäftigte im Niedriglohnsektor, die ihr schmales Gehalt aufstocken.“
Wer in diesen Zeiten in Not gerate, benötige „kein Bürokratiemonster“, sondern einen erleichterten Zugang zum Bürgergeld. Deshalb seien gerade auch die Erleichterungen durch die von der Koalition geplanten Karenzzeiten besonders wichtig. Dies gelte mit Blick auf Sanktionen ebenso wie in den Bereichen Vermögen und Wohnraum, so Bentele:
Die aufwändige Vermögensprüfung muss unbedingt in dieser Karenzzeit entfallen, um schnell und unbürokratisch helfen zu können.“
Stephan Weil bescheinigt Union „erschreckende Ignoranz und soziale Kälte“
Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) mahnt die Union, das Bürgergeld nicht länger zu blockieren. Gegenüber der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“ erklärte er, mit gutem Willen sei ein guter Kompromiss möglich.
Das Thema eigne sich nicht für „politische Scheindebatten“. Weil wirft der Opposition „teilweise eine erschreckende Ignoranz und soziale Kälte“ mit Blick auf deren Äußerungen zum Bürgergeld vor.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz forderte am Montag einen fertig ausformulierten Gesetzesentwurf von der Ampel. Erst ein solcher könne Grundlage für eine Zustimmung der Union zum Bürgergeld sein.
Er verwies auf die Debatte um das sogenannte Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro im Frühjahr. Diesbezüglich habe die Union mit bloßen politischen Zusagen der Ampel „nur schlechte Erfahrungen gemacht“, so Merz. Die Ampel habe davon „keine einzige eingehalten“.
Keine Kostenexplosion im Bereich der Grundsicherung
Den Angaben des Statistischen Bundesamtes zufolge haben sich die Kosten für Leistungen nach dem SGB II in der Zeit zwischen 2011 und 2020 weitgehend zwischen 41 und 45 Milliarden Euro jährlich eingependelt. Lediglich im noch von den Folgen der Weltfinanzkrise gekennzeichneten Jahr 2010 schlugen Kosten in Höhe von knapp 47 Milliarden Euro für Grundsicherungsleistungen (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld), Sozialversicherungsbeiträge, Eingliederungsleistungen, Verwaltungskosten und weitere damit in Zusammenhang stehende Leistungen zu Buche.
Für reine Sozialhilfeleistungen ohne die Mittel zur Grundsicherung für Arbeitssuchende hatten die Sozialhilfeträger in Deutschland im Vorjahr 15,3 Milliarden Euro netto ausgegeben. Dies entsprach einem deutlichen Anstieg um 6,5 Prozent gegenüber dem Corona-Jahr 2020. Mehr als die Hälfte dieser Mittel standen im Zusammenhang mit der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit.
Tendenziell steigt der Anteil an Personen, die Nicht-EU-Staaten angehören, an den Beziehern von Hartz IV insgesamt deutlich an. Zahlen des Bundessozialministeriums aus dem Jahr 2019 waren entsprechenden Leistungen für ausländische Staatsangehörige von knapp 6,6 Milliarden Euro im Jahr 2007 auf 12,9 Milliarden im Jahr 2018 angestiegen. In der Zeit von September 2018 bis August 2019 gingen dabei etwa 2,4 Milliarden an Bürger aus anderen EU-Ländern.
(Mit Material von dts, afp und dpa)
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