Debatte um Bürgergeld: 45 Prozent der Hartz-IV-Bezieher aus dem Ausland

Das geplante Bürgergeld soll der abstiegsgefährdeten Mittelschicht Ängste nehmen. Allerdings hat sich der Adressatenkreis des jetzigen „Hartz IV“ verändert.
Das Bürgergeld soll nach dem Willen der Ampel-Koalition die bisherige Grundsicherung Hartz IV ablösen.
Das Bürgergeld soll nach dem Willen der Ampel-Koalition die bisherige Grundsicherung Hartz IV ablösen.Foto: picture alliance / dpa
Von 14. November 2022

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Am heutigen Montag (14.11.) stand die Debatte um das geplante Bürgergeld im Bundesrat an. Das neue Konzept soll nach dem Willen der Ampelkoalition das seit 2005 geltende „Hartz IV“ ersetzen. Ob es wie geplant zur Einführung ab 1.1.2023 kommen wird, ist ungewiss.

Von der Union geführte Bundesländer verfügen in der Länderkammer über eine Mehrheit – und sie haben sich bis auf Weiteres dazu entschieden, das Vorhaben zu blockieren.

Vermittlungsausschuss muss sich mit Bürgergeld befassen

Die Ampel sieht im Bürgergeld eine Anpassung der Hartz-IV-Regelungen an die Lebensrealität. Ihr Ziel ist es, die Wiedereingliederung Betroffener in den Arbeitsmarkt qualitativ nachhaltiger und „auf Augenhöhe“ zu gestalten. Dazu soll es höhere Hürden bei der Verhängung von Sanktionen geben. Außerdem soll eine sofortige Vermittlung auf erstbeste Arbeitsmöglichkeiten nicht in jedem Fall einer Weiterbildung vorgehen.

Um die Lebensleistung vor allem von Betroffenen aus der Mittelschicht zu honorieren, soll das Schonvermögen höher bemessen werden. Zudem würde es über einen längeren Zeitraum hinweg keine Prüfung der Angemessenheit des Wohnraums mehr geben. Die Regelsätze sollen gegenüber dem heutigen Hartz IV ansteigen.

Die Union hat das Vorhaben gestoppt, weil sie das Prinzip des „Förderns und Forderns“ vermisst und Anreize zur zeitnahen Arbeitsaufnahme. Sozialverbände halten hingegen auch die gegenüber Hartz IV erhöhten Regelsätze nicht für ausreichend, um die Teuerung aufzufangen. Die fehlende Mehrheit in der Abstimmung im Bundesrat am Montag hat zur Folge, dass der Vermittlungsausschuss sich damit befassen wird.

Zusammensetzung der Bezieher von Hartz IV seit 2015 deutlich verändert

Einen Aspekt, der in der Debatte bislang zu kurz gekommen zu sein scheint, spricht unterdessen Wirtschaftskorrespondent Dietrich Creutzburg in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) an. Er erläutert, dass die Ansätze der Ampel tiefgreifenden Veränderungen in der potenziellen Zielgruppe möglicherweise nicht ausreichend Rechnung tragen.

Zwar sei die Zahl der Hartz-IV-Bezieher insgesamt auch in den Jahren des Aufschwungs vor Corona-Krise und Ukraine-Krieg nicht gesunken. Allerdings habe sich die Zusammensetzung der Betroffenen deutlich verändert.

Aus der Mittelschicht, die am meisten von der geplanten Neuregelung profitieren soll, haben viele erfolgreich in den Arbeitsmarkt zurückgefunden. Die Zahl der deutschen Staatsangehörigen unter den Beziehern von Hartz IV ist seit 2015 von 4,6 auf nur noch knapp drei Millionen Personen gesunken.

Debatte um Schonvermögen könnte am Wesentlichen vorbeigehen

Demgegenüber sei die Zahl der ausländischen Staatsangehörigen mit Hartz-IV-Bezug im gleichen Zeitraum von 1,3 auf 2,4 Millionen gestiegen. Das entspreche einer Steigerung des Anteils von 23 auf 45 Prozent. Bereits vor dem Krieg in der Ukraine hatte dieser bei 38 Prozent gelegen. Seit Juni seien etwa 600.000 Flüchtlinge aus dem kriegsgeschüttelten Land ins System der deutschen Grundsicherung hinzugekommen.

Eine solche Entwicklung wirft die Frage auf, wie treffsicher das Bürgergeld wirken könnte – oder wie stimmig die Widerstände dagegen. Es ist davon auszugehen, dass Problematiken wie Schonvermögen oder angemessene Wohnung wenig signifikant für Hartz-IV-berechtigte Migranten sein dürften. Entsprechend bliebe die Frage offen, welchen Nutzen die von der Union geforderten Verschärfungen in diesen Bereichen auf die Arbeitsaufnahme hätten.

Die FAZ unterstreicht, dass die Jobcenter bedingt durch den veränderten Adressatenkreis neben der Eingliederung in den Arbeitsmarkt zunehmend Integrationsaufgaben wahrnehmen müssten. Dazu werde es erforderlich sein, die entsprechenden Fachkräfte für Aufgaben dieser Art fit zu machen.

Vielen Hartz IV-Beziehern droht Altersarmut

Längerfristig zeichne sich zudem ein weiteres Problem ab. Selbst im Fall einer erfolgreichen Integration der zugewanderten Hartz-IV- oder Bürgergeld-Bezieher in den Arbeitsmarkt könne das Problem der Altersarmut bleiben. Viele der Betroffenen könnten die Kriterien erfüllen, die zur Aufstockung der gesetzlichen Rente mit Sozialleistungen berechtigen.

Sollte die Ampel auch ihr Vorhaben umsetzen, eine Garantierente von 48 Prozent der Rentenhöhe des sogenannten Eckrentners einzuführen, werde es zudem nicht dabei bleiben, so die FAZ. Die Gewerkschaften würden mit Fortdauer der Zeit Anpassungen nach oben fordern.

Dies würde weitere Milliarden an Kosten verursachen – und die Altersarmut nicht beseitigen, sondern vor allem Beziehern höherer Renten nutzen. Flüchtlinge und Migranten würden demgegenüber häufig dennoch eine Rentenaufstockung aus Mitteln der Sozialhilfe beantragen müssen.



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